Pharmazie
DAC/NRF
Wie lassen sich Vitamin-A-Säure-Cremes oder
-Salben ohne in der Zubereitung mit bloßem Auge sichtbare Kristalle herstellen? Wegen
des Mangels an geeigneten standardisierten Vorschriften wurden Vorbehalte gegen das
unkritische Rezeptieren von Tretinoin geäußert (1 - 3). Diese werden durch die 1998 ins
NRF neu aufgenommenen Tretinoin-Monographien 11.100., 11.101. und 11.102. entkräftet.
Voraussetzung für die Herstellung der halbfesten Zubereitungen ist das jeweils in der
Monographie vorgeschriebene 2-prozentige Tretinoin-Rezeptur-Konzentrat, die hydrophile
Verreibung S.28. beziehungsweise die lipophile Verreibung S.29. Mit diesen
Stammzubereitungen können tretinoinhaltige Dermatika in der Apotheke technisch
einwandfrei hergestellt werden.
Die Verwendung solcher Stammzubereitungen zur Herstellung qualitätsgesicherter
Rezepturen wird aus den für Tretinoin spezifischen Problempunkten verständlich:
- Aus Sicht des Arbeitsschutzes ist beim Umgang mit der Tretinoin-Ausgangssubstanz
besondere Vorsicht geboten, da es sich um das am stärksten teratogen wirkende Retinoid
und um einen die Haut, Schleimhäute und Augen reizenden Gefahrstoff handelt (4 - 8). Der
Umgang mit Tretinoin-Rezeptursubstanz soll deshalb auf das Notwendige beschränkt bleiben.
Bei Verwendung der halbfesten Konzentrate lassen sich auch die Arbeitsschutzmaßnahmen auf
ein Minimum begrenzen.
- Die im Handel erhältliche grob kristalline Ausgangssubstanz darf nicht ohne weiteres in
Dermatikagrundlagen zu Suspensionen verarbeitet werden: Weder die ausreichende
Partikelfeinheit noch die Homogenität der Verteilung wären sichergestellt (2, 3). Durch
die Verwendung der NRF-Konzentrate sind beide Probleme gelöst. Bisher liegen keine
Erkenntnisse darüber vor, inwieweit bei Herstellung der Suspensionskonzentrate
hochtourige mechanische Rührsysteme eine Alternative zum Dreiwalzenstuhl sein könnten.
- Bei dermatologisch durchaus berechtigten Konzentrationen niedriger als 0,05 Prozent (9 -
11) ist eine Direkteinwaage der Ausgangssubstanz wegen der unzureichenden Genauigkeit bei
kleinen Rezepturansätzen nicht sinnvoll. Für die deshalb verwendeten
Tretinoin-Verreibungen muss im Gegensatz zur bekannten Salicylsäure-Verreibung 50 Prozent
eine niedrigere Wirkstoffkonzentration gewählt werden.
- Die Wahl der Tretinoin-Verreibung ergibt sich aus der jeweils verschriebenen Gel-,
Creme- oder Salbengrundlage. Da sich die lipophile Verreibung nur schlecht in hydrophile
Grundlagen einarbeiten läßt und umgekehrt, wurden zwei getrennte Zubereitungen
monographiert.
- Die naheliegende Verwendung einer Tretinoin-Stammlösung anstelle von
Suspensionssystemen würde mehrere Folgeprobleme nach sich ziehen: erhöhte Oxidations-
und Lichtempfindlichkeit, die Gefahr der Rekristallisation des Wirkstoffes in den so
rezeptierten Lösungssalben und Einschränkungen bei der Konzentration für die
Tretinoin-Stammlösung. So ist die Löslichkeit in Alkoholen begrenzt, und zudem eignen
sich nur wenige hydrophile Grundlagen für die Einarbeitung eines nennenswerten Anteils
von Alkohol.
Für die lipophile Stammzubereitung S.29. ist die Weiterverarbeitungsfrist von einem
Jahr bestätigt worden. Die hydrophile Verreibung nach NRF musste jedoch 1999
überarbeitet und reformuliert werden. Mit der ursprünglichen Zusammensetzung traten nach
mehreren Wochen physikalische Stabilitätsprobleme auf. Auf Grund der deshalb neuerlich
durchgeführten Haltbarkeitsuntersuchungen läßt sich die Weiterverarbeitungsfrist der
Tretinoin-Verreibung S.28. von bisher drei auf neun Monate verlängern.
Obgleich noch nicht abschließend untersucht, erscheint es vertretbar, mit Hilfe der
Tretinoin-Verreibungen auch individuelle Rezepturen zum alsbaldigen Verbrauch
herzustellen. Hierbei ist die lipophile Verreibung für lipophile Grundlagen, zum Beispiel
bei hydrophoben Cremes und bestimmten Schleimhauthaftgelen, und die hydrophile Verreibung
für hydrophile Grundlagen, zum Beispiel bei Hydrogelen, zu verwenden.
Literatur.
- Kresken, J., Schürer, N., Die trockene Haut. In: Bayerische Landesapothekerkammer
(Hrsg.), Schriftenreihe der Bayerischen Landesapothekerkammer, Heft 57. München (1998),
S. 73.
- Reimann, H., Qualitätssicherung dermatologischer Rezepturen, PZ-Dermopharmazie Nr. 4 /
1997, S. 4-10, Beilage Pharm. Ztg. 142 (1997).
- Reinhard, H. W., Kritischer Blick in die Fantaschale, PTA heute 12 (1998) 113 - 116.
- AMK-Meldung 169/30/94. Tretinoin-haltige Arzneimittel zur topischen Anwendung, Pharm.
Ztg. 139 (1994) 2370.
- AMK-Meldung 264/45/94. Tretinoin-haltige Arzneimittel zur topischen Anwendung, Pharm.
Ztg. 139 (1994) 3898.
- Buchan, P., Evaluation of the teratogenic risk of cutaneously administered retinoids,
Skin Pharmacol. 6 / Suppl. 1 (1993) 45 - 52.
- Lipson, A. H., Collins, F., Webster, W. S., Multiple congenital defects associated with
maternal use of topical tretinoin, Lancet 341 (1993) 1352.
- Niedner, R., Interna in der Dermatologie. In: Niedner, R., Ziegenmeyer, J., Dermatika.
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1992, S. 59.
- Altmeyer, P., Therapielexikon. Dermatologie und Allergologie. Springer Verlag, Berlin,
Heidelberg, New York 1998, S. 954 - 955.
- Baumgartner, A., Aknetherapeutika. In: Niedner, R., Ziegenmeyer, J. (Hrsg.), Dermatika.
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1992.
- Zesch, A., Externa Galenik. Wirkungen. Anwendungen. Springer Verlag, Berlin,
Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo (1988), S. 121.
Okka Hagemeyer
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