Der „kleine Unterschied“ im Gehirn |
23.06.2003 00:00 Uhr |
Männer können nicht zuhören, und Frauen schlecht einparken. Vorurteile dieser Art halten sich hartnäckig und haben in jüngster Zeit durch zwei populäre Bücher neue Nahrung bekommen. Die Frage, wie sich männliche Gehirne von weiblichen unterscheiden, ist jedoch auch für Wissenschaftler reizvoll.
Einige kognitive Geschlechtsunterschiede sind gut belegt: Frauen sind bei verbalen Fähigkeiten überlegen, Männer lösen Aufgaben leichter, die das räumliche Vorstellungsvermögen fordern. Diese Unterschiede könnten auf unterschiedliche Erziehungsstile oder biologische Faktoren zurückgehen. Für letztere Möglichkeit spricht, dass Testergebnisse in unterschiedlichen Kulturen und seit mehreren Jahrzehnten relativ konstant sind.
Sucht man die kognitiven Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf biologischer Ebene, so liegt es nahe, hormonelle Einflüsse zu vermuten. Doch dann müsste sich auch der weibliche Monatszyklus in veränderten kognitiven Leistungen niederschlagen. Ob dies tatsächlich der Fall ist, untersuchten Professor Dr. Onur Güntürkün und Dr. Markus Hausmann vom Institut für Kognitive Wissenschaft der Ruhr-Universität Bochum sowie Dr. Martin Tegenthoff von der dortigen Neurologischen Klinik.
Sie testeten weibliche Probanden während der Lutealphase (22. Tag des Zyklus) sowie während der Menstruation, wenn die Konzentrationen aller Sexualhormone ihren Tiefpunkt erreichen. Das Ergebnis war eindeutig: Die Probandinnen schnitten beim mentalen Rotationstest, der das räumliche Vorstellungsvermögen prüft, nicht grundsätzlich schlechter ab als die männlichen Teilnehmer, es kam nur darauf an, wann die Wissenschaftler die Fähigkeiten testeten. Während der Menstruation erzielten die Frauen deutlich bessere Ergebnisse als in der Lutealphase.
Wenn nur eine Hirnhälfte sieht
Um das verblüffende Ergebnis zu verifizieren, hatte sich das Team aus Neurobiologen und Psychologen ein weiteres raffiniertes Studiendesign ausgedacht: Sie überprüften funktionelle Unterschiede zwischen linker und rechter Hirnhälfte. Die linke Seite hat ihre Stärke bei verbalen Fähigkeiten, während die rechte bei visuell-räumlichen Fähigkeiten überlegen ist. Dabei hemmt die jeweils dominante Hirnhälfte ihr gegenüberliegendes Pendant, wobei die inhibierenden Signale über die große Faserverbindung zwischen den Hirnhälften, das Corpus callosum, vermittelt werden. Solche funktionellen Links-Rechts-Unterschiede sind bei Männern ausgeprägter als bei Frauen. Zumindest für das räumliche Vorstellungsvermögen scheint dies Vorteile zu bringen.
Die Asymmetrien untersuchten die Bochumer Wissenschaftler mit der so genannten „Visuellen Halbfeldtechnik“, die es ermöglicht, quasi nur einer Hirnhälfte Bilder zu zeigen: Wenn eine Versuchsperson ein Kreuz in der Monitormitte betrachtet, wird die Figur links von diesem Fixationskreuz nur von ihrer rechten Hirnhälfte gesehen. Ein Bild auf der rechten Seite verarbeitet dagegen die linke Hemisphäre. Sobald der Proband die Figur zentral anschaut, nehmen beide Hirnhälften das Muster wahr.
In der Untersuchung prägte sich die Testperson zunächst ein Muster in der Monitormitte ein. Kurze Zeit später wurde sie mit einem Vergleichsmuster konfrontiert und musste rasch entscheiden, ob es sich um das gleiche oder ein abweichendes Muster handelt. Die Testpersonen antworteten schneller und auch korrekter, wenn die zweite Figur auf der linken Monitorseite erschien, da die rechte Hemisphäre, in der das Signal eintrifft, bei visuell-räumlichen Aufgaben dominiert. Bei Frauen in der Lutealphase war jedoch zwischen beiden Hirnhälften fast kein Unterschied auszumachen. Die nicht dominante Seite kann bei experimentell sehr einfachen Aufgaben in ihrer Leistung anscheinend zur dominanten Hirnhälfte aufschließen, wenn über die Faserverbindung keine hemmenden Signale übertragen werden.
Dämpfendes Progesteron
Die Untersuchungen zeigten, dass die Asymmetrie vor allem mit dem steigenden Progesteronspiegel abnahm. Das Hormon wirkt insgesamt dämpfend auf viele Hirnprozesse: Es erhöht die Empfindlichkeit der Rezeptoren für den hemmenden Botenstoff GABA und vermindert Aufnahme und Umsetzung des aktivierenden Glutamats. Da die Nervenzellen des Corpus callosum fast ausschließlich Glutamat als Botenstoff verwenden, könnte Progesteron möglicherweise das Ungleichgewicht zwischen rechter und linker Hirnhälfte abschwächen, indem es den Informationsaustausch zwischen den beiden Hemisphären verändert. Auf diese Weise könnte das Hormon während der Lutealphase die Effizienz der Faserverbindung herabsetzen und die inhibierenden Signale unterdrücken.
Hormonabhängige Aktivität
Diese Hypothese überprüften die Wissenschaftler mithilfe der transkraniellen Magnetstimulation, einem in der klinischen Neurologie etablierten Diagnoseverfahren: Dabei wird durch einen starken Stromfluss in einer Rundspule ein Magnetfeld aufgebaut, das durch elektromagnetische Induktion in der Hirnsubstanz einen elektrischen Strom erzeugt. Durch eine spezielle Reiztechnik lässt sich die Erregbarkeit der Zielregionen im Gehirn untersuchen, wobei ein inhibitorischer von einem exzitatorischen Einfluss auf die nachgeschalteten Nervenzellen abgegrenzt werden kann.
Bei den Probandinnen unterschied sich die Aktivität der hemmenden und erregenden Neuronenverbände zwischen den einzelnen Zyklusphasen stark: Bei hoher Konzentration von Estrogen und Progesteron wurden hemmende Zellverbände aktiviert, erregende dagegen gedämpft. Zudem war ein verminderter Informationsaustausch zwischen den beiden Hemisphären über das Corpus callosum nachweisbar.
Die Untersuchungsergebnisse wurden mit sehr unterschiedlichen Verfahren erzielt und belegen eindrucksvoll eine hormonvermittelt schwankende Asymmetrie der Hirnfunktion: Bei Frauen während der Menstruation sowie bei Frauen nach der Menopause fanden die Wissenschaftler Links-Rechts-Unterschiede für visuell-räumliche Reize, die denen von Männern entsprachen, was sich in ihren besseren Testergebnissen niederschlug.
Der kleine Unterschied existiert also auch im Gehirn. Er ist zwar klein, aber mit verschiedenen Methoden belegbar – und er schwankt hormonabhängig. Ob die kognitiven Geschlechtsunterschiede nun allein auf diesem biologischen Unterschied beruhen oder doch Folge eines ganzen Geflechts aus biologischen Faktoren, unterschiedlichen Erziehungsstilen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind, bleibt offen.
Die emotionale Botschaft entschlüsseln Einem ganz anderen Aspekt ging Professor Dr. Angela Friderici vom Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung in Leipzig nach. Sie untersuchte die neuronalen Hintergründe des Sprachverstehens. Dabei wurden männlichen und weiblichen Probanden Sätze mit fehlerhafter Wortbedeutung oder falscher Grammatik präsentiert und untersucht, welche Hirnareale beim Erkennen der Fehler aktiv sind. Bei dieser Verarbeitung von semantischen und syntaktischen Informationen unterschieden sich Männer und Frauen nicht.
Doch gesprochene Sprache enthält noch eine weitere Information, die so genannte prosodische Botschaft: Betonung und Intonation eines Satzes. Diese haben neben einer inhaltlichen auch eine emotionale Komponente – sie vermitteln, ob etwas fröhlich oder traurig gesagt wird. Bei den Untersuchungen wurde ein Satz mit emotional positiv oder negativ besetzten Wörtern entweder mit passender oder unpassender Stimmfärbung vorgetragen: Männerhirne reagierten auf eine falsche Information langsamer als Frauenhirne, die auf prosodisch emotionale Botschaften schon nach 200 Millisekunden ansprachen. Hierin könnte ein Grund für manche zwischengeschlechtlichen Missverständnisse liegen.
© 2003 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de