Bei Kindern oft ein einziges Gen verantwortlich |
23.06.2003 00:00 Uhr |
Defekte in einem einzigen Gen, also monogene Ursachen, werden für die meisten Erkrankungen bei Kindern verantwortlich gemacht, in deren Folge chronisches Nierenversagen auftritt. Welches Gen betroffen ist, ist bei vielen Nierenkrankheiten inzwischen klar. Der Funktion der Proteine sind die Wissenschaftler aber gerade erst auf der Spur.
„Bei Nierenerkrankungen von Kindern, die zum totalen Nierenversagen führen, handelt es sich fast ausschließlich um erbliche Erkrankungen oder Erkrankungen mit einer starken erblichen Komponente“, sagte Professor Dr. Friedhelm Hildebrandt von der University of Michigan, USA, auf dem Weltkongress für Nierenheilkunde kürzlich in Berlin.
Am häufigsten sind angeborene Fehlbildungen der ableitenden Harnwege. Etwa 40 Prozent der Kinder mit totalem Nierenversagen sind davon betroffen. Die Krankheit entwickelt sich vom Harnstau über eine dadurch bedingte bakterielle Nierenbeckenentzündung bis zum Verlust der Nierenfunktion. Eine Glomerulonephritis, also eine Entzündung der Nierenfilter, beobachten Ärzte bei rund 20 Prozent der betroffenen Kinder. Zystennieren kommen bei etwa 25 Prozent der kleinen Patienten vor. Rund zehn Prozent der Kinder leiden an Stoffwechselerkrankungen mit Ablagerungen störender Substanzen in der Niere. Und 10 Prozent der Kinder mit totalem Nierenversagen leiden an erblichen Defekten von Transportsystemen der Harnkanälchen (Tubulopathien), wie dem nephrogenen Diabetes insipidus. Insgesamt sind unter den mehr als 4000 Menschen, die in Deutschland jährlich an akutem Nierenversagen sterben, mehrere hundert Kinder.
Oft ist eine lebenslange Therapie notwendig. Dabei leiden die Kinder besonders stark unter der Dialyse. Auch sie müssen bei einer dialysepflichtigen Nierenerkrankung dreimal pro Woche für mindestens vier Stunden an eine Dialysemaschine zur Blutwäsche angeschlossen werden. Neben schulischen bedeutet dies auch oft Probleme im sozialen Bereich. Denn häufig müssen zusätzlich lange Fahrten zu den Zentren in Kauf genommen werden. Selbst wenn die Blutwäsche durch eine Bauchfell-Dialyse - mit Hilfe eines Kunststoffschlauches im Bauchraum - zu Hause stattfinden kann, sind häufige Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte notwendig. Zudem beeinträchtigt die Krankheit das Körperwachstum der Kinder.
Zu wenige Spenderorgane
Transplantation ist vielfach die einzige Alternative. Allerdings besteht eine große Diskrepanz zwischen der Anzahl der benötigten Transplantate zum Spenderaufkommen. Da eine Niere ausreicht, ist unter bestimmten Voraussetzungen die Spende einer Niere durch einen Elternteil möglich. Von den im Jahr 2000 insgesamt in Deutschland verpflanzten Nieren waren von 2219 Transplantaten 346 Lebendspenden. Ihre Überlebenszeit überschreitet bei weitem die der Organe aus Verstorbenen.
„Derzeit warten in Deutschland rund 10.000 Menschen auf eine neue Niere. Die Wartezeit beträgt fünf bis sieben Jahre“, sagte Professor Dr. Ulrich Frei von der Charité in Berlin. Dabei kommt es hier zu Lande immer wieder zu Problemen, die durch Definitionen entstehen, so der Mediziner. So können die Organe von Herztoten in Deutschland zum Beispiel nicht verpflanzt werden, da eine Hirntotbestimmung einen intakten Kreislauf voraussetzt. Im Ausland sei dies jedoch keine gesetzliche Hürde.
„Oft geht es den Kindern nach einer Transplantation deutlich besser“, sagte Hildebrandt. Sogar das Körperwachstum holen sie teilweise auf, die Leistungsfähigkeit ist wesentlich größer. Trotzdem ist auch eine Organtransplantation mit einer lebenslangen Therapie verbunden, und die Arztbesuche bleiben auch nach der Operation notwendig.
Hoffnung für neue Therapien schöpfen die Ärzte jetzt aus genetischen Erkenntnissen. Weltweit werden derzeit in Forschungsprojekten Familien untersucht, in denen zwei oder mehr Kinder an erblich bedingten Nierenerkrankungen leiden. Meist identifizierten die Wissenschaftler Defekte in einem einzelnen Gen. Sie mussten sich von der These verabschieden, dass mehrere Gene bei der Entstehung der Erkrankungen eine Rolle spielen könnten.
Gentest zur Diagnostik
Das betroffene Gen wird rezessiv vererbt. Ist die zweite Kopie des Gens im doppelt vorhandenen Chromosomensatz des Menschen gesund, haben auch die Nieren ihre volle Funktion. Eltern können also gesunde Träger der Mutation sein und die Familie damit bisher frei von einer Nephropathie. Um bei einem Kind eine Nierenerkrankung auszulösen, sind zwei defekte Gen-Kopien nötig. Sind beide Eltern Träger des defekten Gens wird nach den Mendelschen Regeln in der ersten Generation eines von vier Kindern erkranken und zwei weitere werden wie die Eltern Träger der Erbinformation sein.
Der Nachweis des Gendefektes gilt als Beweis für die entsprechende Erkrankung. So ist etwa bei Glomerulonephritis mit nephrotischem Syndrom unter anderem die Mutation des Proteins Podocin typisch. Diese Kinder sprechen nicht auf eine Therapie mit Corticosteroiden an. „Auch bei einer Nephronophthise macht eine Screening-Untersuchung inzwischen Sinn“, sagte Hildebrandt. Hier könne ebenfalls heute schon die Behandlung auf den Befund eingestellt werden.
Von der Entdeckung eines defekten Gens bis zum Verstehen des Krankheitsmechanismus kann es 10 bis 15 Jahre dauern. Die Entwicklung neuer Medikamente wird in den nächsten 50 Jahren erwartet. „Neue Therapie muss nicht unbedingt Gentherapie heißen“, sagte Hildebrandt. Vielmehr erwartet er, dass durch das Verständnis der Mechanismen in Zukunft besser pharmakotherapeutisch eingegriffen werden kann.
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