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Sport schützt vor Krebs und hilft gegen Fatigue

19.11.2001  00:00 Uhr

Sport schützt vor Krebs und hilft gegen Fatigue

von Ulrike Wagner, Marburg

Für Darmkrebs ist der Nachweis erbracht, bei Brustkrebs weisen viele Indizien darauf hin: Sport schützt vor Krebs. Und auch bei der Nachsorge von Krebserkrankungen holen Ärzte die Patienten inzwischen aus dem Bett und stellen sie mindestens eine halbe Stunde am Tag aufs Laufband. Denn Sport wirkt angstlösend, antidepressiv, vermittelt eine neues Selbstwertgefühl und steigert die Abwehrkräfte. Das will man sich in Zukunft sowohl in der Prävention als auch in der Nachsorge stärker zu Nutze machen, hieß es während eines Symposiums in Marburg.

"Sport muss in der Krebsvor- und -nachsorge als Medikament anerkannt werden", forderte Professor Dr. Klaus Norpoth von der Deutschen Krebsgesellschaft auf der von der Deutschen und der Hessischen Krebsgesellschaft sowie der Zeitungsgruppe Lahn-Dill organisierten Veranstaltung. Die Voraussetzungen dafür sind seit letztem Jahr geschaffen, denn die Krankenkassen können seitdem nach § 20 SGB V präventive Maßnahmen fördern. Die Ausrede vieler Ärzte, eine solche Verordnung sprenge ihr Budget, müssen die Patienten nicht gelten lassen, denn die entsprechenden Rezepte fallen unter die Heil- und Hilfsmittelverordnung und belasten nicht das Budget, erklärte Dr. Friederike Damm, Ärztin und Mitglied im Ausschuss Frauen im Sport des Landessportbundes Hessen.

Dr. Ernst von Aaken hat 1967 zum ersten Mal die These aufgestellt, dass Sport vor Krebs schützt, erklärte Professor Dr. Gerd Uhlenbruck, Köln. Er musste seine Untersuchungen in der Zeitschrift "turnen" veröffentlichen, weil sich in Fachkreisen niemand für das Thema interessierte. Inzwischen bestätigen epidemiologische und experimentelle Studien den präventiven Nutzen körperlicher Aktivität. So hat eine amerikanische Studie mit mehr als 13.000 Teilnehmern gezeigt, dass Menschen mit einer guten Fitness ein um fast 70 Prozent reduziertes Risiko haben, an Krebs zu erkranken.

Bestandteil gesunden Lebensstils

Dass solche Effekte tatsächlich mit der körperlichen Aktivität in Zusammenhang stehen, ist sehr wahrscheinlich. Die meisten Sportler ernähren sich jedoch auch gesünder und rauchen seltener als ihre unsportlichen Kollegen. Einzeln konnte die Wirkung von Sport bislang nicht nachgewiesen werden, denn nur wenige Studien erfassen auch andere Risikofaktoren und verrechnen sie mit den Sport-Daten. Welcher Faktor tatsächlich welchen Effekt ausmacht, ist letztlich egal. "Es ist wahrscheinlich sehr viel einfacher, Lungenkrebs zu vermeiden, wenn man die Menschen dazu überredet, Sport zu treiben, anstatt sie vom Rauchen abzubringen", veranschaulichte Norpoth.

Um durch Sport das Krebserkrankungsrisiko zu senken, müssen sich Frauen weniger anstrengen als Männer. Bei ihnen reicht moderater Sport, Männer müssen schon etwas härter trainieren, sagte Uhlenbruck. Eine Teilnahme bei den Olympischen Spielen sollte man aber besser nicht anstreben. Denn Leistungssport hat im Gegensatz zu moderatem Ausdauersport negative Auswirkungen auf das Immunsystem.

Zum Zusammenhang von Brustkrebs und Sport wurden inzwischen 36 Untersuchungen veröffentlicht. In 24 dieser Studien reduzierte regelmäßige körperliche Aktivität das Brustkrebsrisiko im Durchschnitt um 30 bis 40 Prozent. In 15 Studien hatte sich gezeigt, dass der Nutzen abhängig vom Grad der Fitness ist. Acht Studien wiesen keinen Effekt nach, in zwei Studien hatte Sport eine negative Wirkung, berichtete Dr. Christine Graf von der Sporthochschule in Köln.

Die unterschiedlichen Ergebnisse begründete sie unter anderem mit methodischen Schwierigkeiten bei solchen Studien, bei denen die Teilnehmer meist ausschließlich befragt werden. Zudem würde körperliche Aktivität jenseits von Sport, zum Beispiel Hausarbeit, oft gar nicht erfasst.

Kein Hochleistungssport

Wieviel Sport man treiben muss, um sich optimal zu schützen, darin sind sich die Experten im Detail noch nicht einig. Klar ist jedoch: Ausdauersport wie Radfahren, Schwimmen, Walking, mehrmals wöchentlich mit niedriger Intensität scheint die beste Wirkung zu zeigen. Und Spaß soll es machen, denn die Freude an der Bewegung trägt zu den positiven Effekten des Sports bei.

Auch in der Nachsorge gewinnt Sport an Bedeutung. Selbst Patienten, die gerade eine anstrengende Chemotherapie hinter sich haben, profitieren von regelmäßiger Bewegung. Die Einstellung, dass ein Krebspatient ins Bett gehört, verschlimmert oft seinen Zustand, erklärte Dr. Fernando Dimeo vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Berlin. Die meisten Ärzte seien auch heute noch davon überzeugt, dass ein Tumorpatient sich schonen, erholen und ausruhen soll und körperliche Anstrengungen nicht verkraftet. Damit wird der Patient zum passiven Betrachter seiner Behandlung - "ein niederschmetternde Situation".

Dimeo zeigte anhand eigener Daten, dass Bewegung Krebs-Patienten mit Fatigue-Syndrom hilft. Deren Symptome entstehen zunächst durch die aggressive Chemotherapie und die Krebserkrankung selbst. Eine Anämie sorgt für ständige Müdigkeit und Erschöpfung. Selbst Jahre nach der Behandlung bessern sich die Symptome bei einem bis zwei Dritteln der Patienten nicht, auch wenn das Blutbild wieder normale Werte aufweist. "Ausruhen hilft beim Fatigue-Syndrom nicht", erklärte Dimeo. Die Patienten geraten durch die Schonhaltung, zu denen ihnen Ärzte und oft auch Angehörige raten, in einen Teufelskreis. Durch ihre Abgeschlagenheit bewegen sie sich nicht und wenn sie sich bewegen, sind sie rasch erschöpft. Der Mangel an Bewegung bedingt wieder einen weiteren Verlust an Kondition. Denn unterforderte Muskeln werden abgebaut.

Nicht einfach losrennen

Wenn man den Patienten jedoch erklärt, dass sie selbst etwas gegen ihre Erkrankung tun können, blicken sie viel optimistischer in die Zukunft. Sie brauchen körperliche Aktivität sowie Motivation, geeignetes Training schadet ihnen nicht. "Allerdings kann man Tumorpatienten nicht einfach aufs Laufband stellen oder in einen Sportverein schicken", warnte Dimeo. Schließlich ist für einen Patienten mit chronischer Fatigue Spazierengehen wie Marathonlaufen für einen Hochleistungssportler.

Die Berliner Wissenschaftler kontrollieren die Aktivitäten ihrer Patienten sehr genau. So stehen vor Beginn des Trainings verschiedene Untersuchungen wie Echokardiogramm, Ruhe- und Belastungs-EKG sowie die Bestimmung der Laborwerte. Die Patienten beginnen das Training direkt nach der Anti-Tumor-Therapie mit kurzen Intervallen, unter ärztlicher Kontrolle. In der ersten Woche gehen sie für insgesamt eine halbe Stunde abwechselnd drei Minuten auf dem Laufband und erholen sich drei Minuten lang. In den folgenden Wochen werden die Trainingsintervalle dann verlängert. "Die Leistungsfähigkeit der Patienten nimmt schnell zu", sagte Dimeo.

Ein solches Ausdauertrainingsprogramm bewirkte innerhalb von sechs Wochen eine Reduktion der Fatigue bei Patienten nach allogener Knochenmarktransplantation beziehungsweise Hochdosis-Chemotherapie und autologer peripherer Blutstammzelltransplantation. Zudem stiegen Selbstwertgefühl und Selbstständigkeit der Studienteilnehmer. Ob man mit Sport auch Rezidive und Metastasen verhindern und die Lebenszeit verlängern kann, ist noch unklar. Mehrere Untersuchungen haben jedoch belegt, dass das Ausdauertraining keine Zunahme der Chemotherapie-bedingten Komplikationen verursacht.

Kontraindiziert ist das Training für Patienten mit Knochenmetastasen, Schmerzen unbekannter Ursache, mit Infekten, Fieber und bei Mangelernährung. Wenn die Blutwerte extrem schlecht sind, also die Leukozytenspiegel unter 5000/µl liegen und die Thrombozyten unter 50.000/µl, sollte man mit Sport sehr vorsichtig sein.

Krebsnachsorge-Sportgruppen

Aber auch Krebspatienten, die nicht sofort im Krankenhaus oder während der Rehabilitation zu mehr Sport motiviert wurden, können jederzeit damit anfangen. In Deutschland gibt es inzwischen 550 Krebsnachsorge-Sportgruppen mit speziell ausgebildeten Übungsleitern. Die Gruppen sind jedoch regional sehr unterschiedlich verteilt. Bayern rangiert mit 32 Gruppen am unteren Ende der Liste, Hessen bewegt sich mit 60 Gruppen im Mittelfeld und ganz vorne liegt Nordrhein-Westfalen mit 200 Sportgruppen. Listen der Sportgruppen können Interessierte über die Landessportbünde erhalten, oft werden Adressen auch in den Reha-Kliniken verteilt.

 

Broschüre und 40.000 DM erradelt "5000 Kilometer gegen den Krebs" war das Motto einer Benefizradtour vom Nordkap bis nach Sizilien. Mit ihrem Engagement wollten die Initiatoren, der Österreicher Erich Postl und Christiane Müller, Wetzlar, die Menschen dazu bewegen, sich im Kampf gegen Krebs zu engagieren. In 38 Tagen legten die beiden Journalisten 5752 Kilometer zurück, auf einer Teilstrecke begleitet von ihrem Freund Manfred Schehl, der inzwischen an Krebs gestorben ist. Das Team sammelte auf seinem Weg 40.000 DM für die Deutsche Krebsgesellschaft und die Österreichische Krebshilfe. Unterstützt wurden sie dabei von der Zeitungsgruppe Lahn-Dill. Das eingefahrene Geld wurde unter anderem dafür eingesetzt, die Broschüre "Sport und Krebs" herauszugeben, die sich an Krebspatienten richtet und an Menschen, die Prävention betreiben wollen. 

Interessierte können die Broschüre in Einzelexemplaren kostenlos bei der Deutschen Krebsgesellschaft anfordern, Hanauer Landstraße 194, 60314 Frankfurt, Telefon (0 69) 6 30 09 60, Fax (0 69) 63 00 96 66, E-Mail: service@krebsgesellschaft.de. Im Internet kann man sich die Broschüre unter www.krebsgesellschaft.de herunterladen.

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