Molekulare Schleusen in der Zellhülle |
10.11.2003 00:00 Uhr |
Herzrhythmusstörungen, Mukoviszidose und Epilepsie – alle diese Krankheiten gehen auf fehlerhafte Ionenkanäle zurück. Peter Agre und Roderick MacKinnon halfen, diese winzigen Kanäle besser zu verstehen, wofür sie den Nobelpreis für Chemie 2003 erhielten.
Wie Zellen mit ihrer Umgebung Stoffe austauschen und Informationen weiterleiten, war lange unklar. Zwar wurde vermutet, dass die Zellmembran beteiligt ist. Doch die aus Lipiden bestehenden Barrieren sind weder für Wasser noch für Ionen passierbar. Membranen müssen daher Poren enthalten, die wie winzige Schleusen wirken. Dass solche Kanäle existieren, wiesen Erwin Neher und Bert Sakmann mit der Patch-Clamp-Technik nach. Doch wie sie tatsächlich aussehen, wusste bis Ende der 90er-Jahre niemand.
Roderick MacKinnon von der Rockefeller-Universität in New York gelang es 1998, eine Art dieser molekularen Schleusen, einen Kanal für Kaliumionen, in akribischer Detailarbeit zu kristallisieren. Damit lieferte er die Grundlage, den Stofftransport in und aus einer Zelle zu verstehen.
MacKinnon erhält den Chemie-Nobelpreis zusammen mit Peter Agre von der Johns Hopkins University in Baltimore, der sich ebenfalls mit winzigen Schleusen beschäftigt hat: Er entdeckte die Kanäle, durch die Wasser in Zellen hinein- und aus ihnen herausgelangt, die Aquaporine. Sie spielen beispielsweise in den Nieren eine Rolle: Fast 200 Liter Wasser resorbieren die Organe mit Hilfe der Aquaporine täglich aus dem Harn zurück. Ein Defekt in diesen Proteinen kann zu Nierenleiden führen. Fehlerhafte Ionenkanäle können dagegen Krankheiten wie Herzrhythmusstörungen, Mukoviszidose, aber auch Epilepsie verursachen.
Schon heute wirken eine ganze Reihe von Arzneistoffen, indem sie Ionenkanäle beeinflussen: Calciumkanalblocker, 5-HT3-Antagonisten, Muskelrelaxantien und Lokalanästhetika. Die enorme medizinische Bedeutung der Membrankanäle würdigt auch das Nobelpreiskomitee in Stockholm: „Der diesjährige Preis illustriert, wie die heutige Biochemie bis auf das atomare Niveau hinabgeht, um die Lebensprozesse im Grundsatz zu begreifen.“
Die höchste Auszeichnung für Chemiker ist in diesem Jahr mit umgerechnet 1,1 Millionen Euro (10 Millionen Schwedische Kronen) dotiert. Die seit 1901 verliehenen Nobelpreise werden am 10. Dezember im Namen des Dynamit-Erfinders Alfred Nobel in Stockholm und Oslo übergeben.
Ionenkanäle Die winzigen Poren in der Zellmembran unterscheiden sich nach der Ionenart, die sie bevorzugt durchlassen,. So gibt es Kanäle, die nur Calciumionen passieren lassen. Manche sind für Kalium durchlässig, andere sind selektiv für Natrium oder für Chlorid. Außerdem lassen sich Ionenkanäle nach dem Schaltmechanismus unterteilen.
Spannungs-gesteuerte Kanäle öffnen und schließen sich in Abhängigkeit vom Membranpotenzial der Zelle. Dieser Typ Ionenkanal ist am Weiterleiten von elektrischen Impulsen beteiligt. Die Spannungs-gesteuerten Kanäle verfügen zum Teil über ungewöhnliche Eigenschaften. Unter anderem verleihen sie einigen Zellen eine faszinierende Fähigkeit: Sie sind rhythmisch aktiv. Diese Eigenschaft ist für viele Körperfunktionen lebenswichtig, zum Beispiel für das Herz. Rhythmische Aktivierungsmuster treten auch in Nervenzellen auf, wo sie beispielsweise die Wach- und Schlafphasen regulieren.
Liganden-gesteuerte Schleusen werden tätig, wenn der richtige Ligand angedockt hat, beispielsweise ein Neurotransmitter. Der Komplex aus Ligand und Ionenkanal lässt die intrazellulären Botenstoffe cAMP (cyclo-Adenosinmonophosphat) beziehungsweise cGMP (cyclo-Guanosinmonophosphat) in Aktion treten, die schließlich Öffnen und Schließen des Kanals steuern. Das Kanalprotein muss also einen Bereich besitzen, an den die zelleigenen Botenstoffe cAMP und cGMP binden können. Liganden-gesteuerte Ionenkanäle spielen eine wesentliche Rolle bei der Übermittlung chemischer Signale.
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