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Spenderdatei soll Organmangel entgegenwirken

14.07.2003  00:00 Uhr
Organspende

Spenderdatei soll Organmangel entgegenwirken

von Christian Wetzler, Frankfurt am Main

Rückläufige Spenderzahlen haben in den vergangenen Jahren zu einem Mangel an transplantierbaren Organen und Geweben geführt. In Frankfurt am Main forderten nun Mediziner einen pragmatischeren Umgang mit Gewebetransplantaten.

„Das Transplantationsrecht in Deutschland ist ein Holzweg“, erklärte Professor Dr. Hansjürgen Bratzke, Direktor des Instituts für Forensische Medizin an der Universitätsklinik Frankfurt, anlässlich der Pressekonferenz zum 2. Frankfurter Symposium Gewebetransplantation. Das im Dezember 1997 erlassene Transplantationsgesetz schreibt die „erweiterte Zustimmungslösung“ vor: Für die Entscheidung über eine Organspende ist der Wille des Verstorbenen maßgeblich. Angehörige sollen in seinem Sinn entscheiden, wenn er seinen Willen vorher nicht geäußert hat.

In der Praxis erweist sich diese Regelung als heikel, denn der Spenderausweis wird, wenn vorhanden meist nicht mitgeführt. Und die Angehörigen, falls sie denn innerhalb der für Gewebetransplantationen vorgeschriebenen 24-Stunden-Frist zu erreichen sind, sprechen sich oft gegen das „Zerfleddern der Leiche“ aus. „Hinzu kommt, dass offenbar auch der durch den Transplantationsausweis zum Ausdruck gebrachte Wille von Angehörigen häufig nicht umgesetzt wird. Dies ist zwar emotional verständlich, stellt aber einen Eingriff in das nach dem Tode fortwirkende Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen dar“, so Bratzke.

Wachsende Organknappheit

Die Angst vor Missbrauch sei im Bereich der Organspende besonders groß, erklärte Markus Parzeller, Mediziner und Rechtsanwalt am Zentrum der Rechtsmedizin der Universitätsklinik Frankfurt. „Das hat dazu geführt, dass viel reglementiert wurde – und zwar auch dort, wo es eigentlich keinen Sinn macht.“ Doch ethische Bedenken und der restriktive Charakter des Transplantationsgesetzes bleiben nicht ohne Folgen: „Während die Warteliste immer länger wird, nimmt die Bereitschaft zum Spenden stetig ab“, so Parzeller.

In Deutschland warten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation mehr als 10.000 schwerkranke Menschen auf ein Spenderorgan; im Jahre 2002 konnten nur 3305 Organe (558 weniger als im Vorjahr) transplantiert werden. Angesichts dieses Mangels muss der behandelnde Arzt oftmals auf Gewebebanken im Ausland – in erster Linie in den Vereinigten Staaten – zurückgreifen. Ein paradoxer Zustand, den Bratzke ironisch kommentierte: „Die Ethik reicht in Deutschland nur bis zur eigenen Haustür.“

 

Deutsche Stiftung Organtransplantation Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) ist die bundesweite Koordinierungsstelle für Organspenden. In Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat die DSO einen Informationsdienst zur Organspende eingerichtet. Apotheken können Plakate und Informationspakete telefonisch unter (08 00) 9 04 04 00 anfordern.

  

Transplantationsgesetz überdenken

Nun steht eine umfassende rechtliche Neuordnung auf europäischer Ebene an. Die neue EU-Richtlinie zur „Qualität und Sicherung von Geweben und Zellen“ will die Spende von Geweben, deren Bereitstellung und Qualitätsuntersuchung wie auch die weitere Verarbeitung und Verteilung durch Kontrollinstanzen regeln. Angesichts dieser Entwürfe fordern Kritiker, die aktuelle Regelung in Deutschland zu überdenken.

„Die Widerspruchslösung oder zumindest die längst ausstehende Schaffung eines Spenderregisters würde die gegenwärtige Situation entschärfen“, erläuterte Bratzke. Die Rahmenbedingungen für die Einrichtung einer solchen Spenderdatei seien bereits seit 1997 im Transplantationsgesetz vorgegeben, es mangele derzeit allein an der Bereitschaft zur Umsetzung.

Nach wie vor erste Wahl

In der Öffentlichkeit finden die spektakulären Erfolge der letzten Jahrzehnte - wie die Verpflanzung von Herz und Leber - großen Anklang. Diese täuschen jedoch darüber hinweg, dass wesentlich häufiger avitale Gewebe verpflanzt werden. Menschliche Organe und Gewebe sind aber in aller Regel der Goldstandard. Als Beispiel nannte Bratzke die menschlichen Faszien. Dieses den Muskel umgebende Bindegewebe eignet sich wie kaum ein anderes Gewebe für die Verpflanzung. „Tiergewebe und Plastik sind hier nur zweite Wahl", betonte Bratzke.

Als weiteres Beispiel nannte der Rechtsmediziner die Hornhauttransplantation: Der Transparenzverlust der Hornhaut ist in Westeuropa die Ursache für rund ein Fünftel aller Erblindungen. Für diese Patienten stellt die Implantation kultivierter Spenderhornhäute die Therapie der Wahl dar. Allerdings überschreitet auch hier der Bedarf das Angebot bei weitem.

Um der zunehmenden Organ- und Gewebeknappheit entgegenzuwirken, wollen die Organisatoren im nächsten Jahr - abgesehen vom Fachpublikum - auch die breite Öffentlichkeit ansprechen. Parzeller: „Neben dem wissenschaftlichen Teil wird es Programmpunkte geben, die sich insbesondere an den Laien richten, um ihn für das Thema Organspende zu sensibilisieren.“

Organspende im Ländervergleich In Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern gilt die „erweiterte Zustimmungslösung“. Dies besagt, dass der Verstorbene zu Lebzeiten, zum Beispiel per Organspendeausweis, einer Organentnahme zugestimmt haben muss. Fehlt eine derartige Stellungnahme, dann entscheiden die Angehörigen über eine Entnahme.

In den meisten europäischen Staaten wird die Transplantation von Spendergewebe gegenwärtig anders geregelt. Die „Widerspruchsregelung“ gilt zum Beispiel in Belgien. Hat der Verstorbene einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen, so können Organe zur Transplantation entnommen werden. Der Widerspruch erfolgt etwa durch Eintrag in ein entsprechendes Register, welches im Todesfall abgefragt wird. Diese Regelung hat in Belgien zu einem deutlichen Anstieg der Organspenden geführt.

In Ländern wie Frankreich gilt die „Informationsregelung“. Auch hier geht der Gesetzgeber grundsätzlich von einer Bereitschaft zur Organspende aus, allerdings werden die Angehörigen von der Organentnahme informiert. Die Auslegung der gesetzlichen Vorgaben kann dabei in jedem Land – und teilweise von Transplantationszentrum zu Transplantationszentrum - unterschiedlich gehandhabt werden.

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