Proinsulin als früher Marker |
14.02.2005 00:00 Uhr |
Am Anfang eines Typ-2-Diabetes steht meist eine Insulinresistenz, der eine Dysfunktion der Betazellen des Pankreas folgt. Im Verlauf der Erkrankung wird vermehrt Proinsulin ins Blut abgegeben, das ein eigenständiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sein scheint.
Beim gesunden Menschen verläuft die postprandiale Insulinsekretion in zwei Phasen. Auf eine Kohlenhydratzufuhr antworten die Betazellen sofort mit der Abgabe des Hormons ins Blut. Dieser erste steile Insulinpeak stoppt die hepatische Gluconeogenese sowie die Lipolyse und sensibilisiert die Muskelzellen für die Aufnahme von Glucose. Die zweite, ausgeprägtere Phase der Insulinausschüttung, die nach einigen Minuten einsetzt, ist primär für den Transport von Glucose aus dem Blut in die Zellen verantwortlich, erklärte Professor Dr. Burkhard Göke von der Uni-Klinik München-Großhadern bei einem Presseworkshop der Firma Lilly.
Ein Nachlassen der ersten Insulinantwort gilt als ein Frühwarnzeichen dafür, dass sich eine Fehlfunktion der Betazellen entwickelt. In dieser Frühphase des Diabetes nimmt – besonders bei übergewichtigen Menschen – die Ansprechbarkeit der Zellen auf Insulin ab (Insulinresistenz). Die Betazellen kompensieren den steigenden Insulinbedarf zunächst mit einer Mehrproduktion, aber auf Dauer lässt ihre Sekretion nach: Der Typ-2-Diabetes wird manifest.
„Zu dieser zeitlichen und quantitativen Fehlsekretion bei Typ-2-Diabetes kommt noch eine qualitative hinzu“, berichtete Professor Dr. Andreas Pfützner vom Institut für Klinische Forschung und Entwicklung in Mainz. Das heißt, die Betazelle gibt vermehrt das Vorläufermolekül Proinsulin ins Blut ab. Dieses Protein aus 84 Aminosäuren wird in den Betazellen produziert und gespeichert. Durch proteolytische Abspaltung von C-Peptid entsteht daraus aktives Insulin.
Normalerweise wird nur wenig Proinsulin abgegeben. Wenn jedoch die Spaltungskapazität der Betazelle nachlässt, aber die Sekretion steigt, gelangt mit dem aktiven Hormon auch mehr Proinsulin ins Blut. Dieses senkt den Blutzucker fünf- bis zehnmal schwächer als Insulin, stimuliert aber vermutlich wie dieses die Adipogenese und steigert eine Insulinresistenz. Zudem hemmt es die Fibrinolyse über Stimulation von Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1 (PAI-1) und fördert die Entwicklung eines Hochdrucks. Daher sei Proinsulin als unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Schäden beim Diabetiker einzustufen, postulierte Pfützner.
Zudem sei es ein sehr früher und hoch spezifischer Marker einer Dysfunktion der Betazellen. Nüchternwerte an intaktem Proinsulin über 11 pmol/l zeigten in Tests mit 100-prozentiger Spezifität eine Dysfunktion an. Eine Insulinresistenz beginnt aber meist noch früher. Anhand der Nüchternspiegel von Insulin und Proinsulin schlug der Arzt eine pathophysiologische Stadieneinteilung des Typ-2-Diabetes vor. Im Stadium I liegt nur eine zeitliche Störung der Sekretion vor, die Hormonwerte sind noch normal. Im Stadium II wird die steigende Insulinresistenz durch vermehrte Insulinausschüttung kompensiert. In der Phase IIIa sind die Insulinwerte erhöht oder normal, aber es ist intaktes Proinsulin im Blut messbar. Bei weiterer Krankheitsprogression bricht die Betazellfunktion zusammen; Insulin ist noch normal oder bereits erniedrigt und Proinsulin erhöht (Phase IIIb).
Pfützner riet, schon bei der Erstdiagnose eines Diabetes auch die Proinsulinspiegel (morgens nüchtern) zu erfassen und die Therapie darauf abzustimmen. Bei Werten unter 11 pmol/l könne man Sulfonylharnstoffe oder Glinide geben, bei höheren Werten seien diese nicht sinnvoll, weil mit der erhöhten Insulinsekretion auch die Proinsulinspiegel steigen. Dann müsse die Behandlung auf Überwindung der Resistenz abzielen. „Die Patienten müssen sich mehr bewegen.“
Prospektive Studien hätten zudem gezeigt, dass Metformin, Glitazone und Insulin die Betazelle schonen und die Proinsulinspiegel senken können. Für die neue Substanzklasse der Inkretinmimetika wie Exenatide gebe es noch keine Erfahrungen. Möglicherweise könnten diese Stoffe aber die Betazelle anregen, die tatsächliche Insulinsekretion zu steigern. Exenatide, das die Insulinsekretion ab Blutzuckerwerten von etwa 70 mg/dl und höher ankurbelt, befindet sich in den USA im Zulassungsverfahren.