Medizin
Autofahren bei Nacht erfordert
gutes Sehen
Auffahrunfälle sind typische
Verkehrsunfälle bei Dunkelheit. Der Grund liegt häufig
in einem reduzierten Dämmerungssehen, das der
Stäbchenapparat in der Netzhaut des Auges vermittelt. Im
Gegensatz dazu sorgen die Zapfen-Sinneszellen für das
photoptische Farb- und Tagessehen.
In der Dämmerung, nachts oder auch in einem
Tunnel vergrößert sich nicht nur die Pupille des Auges,
um mehr Licht einzufangen, sondern das Zapfensehen tritt
zugunsten des Stäbchensehens in den Hintergrund. Damit
werden viel geringere Leuchtdichten, aber kaum noch
Farben wahrgenommen. Für den Autofahrer bedeutet dies,
daß er bei gutem Dämmerungssehen Kontraste, zum
Beispiel vorausfahrende Autos oder Fußgänger, auf
größere Entfernung wahrnehmen kann.
Als Maßstab für die Sehfähigkeit bei Dunkelheit gilt
der Kontrast, der gerade noch erkannt wird. Dies
erläuterte Professor Dr. Dr. Benedikt Hebenstreit vom
verkehrswissenschaftlichen Forschungszentrum des TÜV
Bayern bei einer Pressekonferenz der Basotherm GmbH,
Biberach, in München. Optimal ist das Erkennen einer
Helligkeitsdifferenz von 1:2, voll ausreichend ein
Kontrastsehen von 1:2,7. Wird die Kontraststufe von
1:4,87 nicht mehr erkannt, ist das Unfallrisiko des
Kraftfahrers unverhältnismäßig hoch.
In einer TÜV-Studie mit über 2500 PKW-Fahrern konnten
11,8 Prozent der Probanden, nach vorausgehender Blendung
sogar 18 Prozent diesen Kontrast nur noch mangelhaft
erkennen. Bei den über Fünfzigjährigen lag der
Prozentsatz bei 30 und 51. Fast die Hälfte der Fahrer
empfindet das Fahren bei Nacht als unangenehm und
vermeidet es möglichst. 14 Prozent waren in den beiden
Jahren vor der Untersuchung in einen nächtlichen Unfall
verwickelt (nur Unfälle ohne Alkohol); dies sind dreimal
mehr als bei den normalsichtigen Fahrern, erklärte
Hebenstreit.
Die Adaptation, also die Anpassung des Auges an
verschiedene Leuchtdichten, dauert um so länger, je
größer die Helligkeitsunterschiede sind. Aber auch
Krankheiten wie Grauer und Grüner Star oder diabetische
Gefäßveränderungen der Netzhaut können die Adaptation
stören. Eine echte Nachtblindheit ist angeboren oder
Folge einer Mangelernährung, vor allem von Vitamin A.
Eine positive Wirkung auf das Nachtsehen sollen
Anthocyan-Farbstoffe haben. So konnte die
Readaptationszeit des Auges nach Blendung in einer Studie
mit 50 Probanden um 17 Prozent verkürzt werden,
berichtete Dr. Hans Brandl vom Flugmedizinischen Institut
der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck bei München. Im
Durchschnitt - bei einer erheblichen Variationsbreite -
verkürzte sich die Wiedererkennungszeit drei Stunden
nach Einnahme von 400 mg Anthocyanen (Difrarel) um 0,65
Sekunden. In dieser Zeit legt ein Auto bei 100 km/h
bereits 17 Meter zurück.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, München
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