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Unerkannt leberkrank

19.11.2001  00:00 Uhr

Unerkannt leberkrank

von Elke Wolf, Frankfurt am Main

Nicht nur Läuse laufen über die Leber. Es sind vor allem die verschiedenen Hepatitis-Viren, die die Leberzellen auf Dauer in Mitleidenschaft ziehen. Erhöhte Leberwerte, grippeähnliche Beschwerden mit Fieber und Gliederschmerzen können Indizien für eine Leberentzündung sein. Auch Ärzte scheinen diese Anzeichen noch zu selten mit der richtigen Diagnose zu verknüpfen. "Bei unspezifischen Krankheitssymptomen auch an die Leber denken" lautete deshalb die Botschaft auf der Pressekonferenz zum 2. Deutschen Lebertag.

"Seit 1992 hatte ich immer wieder Kopfschmerzen, mir ging es allgemein nicht gut. Ich hatte Fieber, grippeähnliche Symptome und war extrem müde. Mein Arzt diagnostizierte eine Erkältung. Die Medikamente bekämpften fürs Erste die Beschwerden", erzählt ein 28-jähriger Betroffener. Der Erfolg sei jedoch nur von kurzer Dauer gewesen, die Beschwerden meldeten sich nach Absetzen der Arzneimittel wieder. Auch verschiedene andere Ärzte konnten nicht weiterhelfen. Was blieb, waren die in Schüben auftretenden Symptome. "Erst 1996 überwies man mich in die Uniklinik. Die Leberpunktion ergab eine chronische Hepatitis B. Trotz der Gelbsucht hatte ich weder gelbe Haut noch gelbe Augen."

Ein zweiter Betroffener berichtet, dass bei seiner Mutter vor acht Jahren plötzlich Hepatitis B diagnostiziert wurde. "Daraufhin wurden bei meinem Bruder und mir Antikörper gegen das Hepatitis-B-Virus im Blut festgestellt. Unsere Leberwerte waren im Normbereich. Über Jahre hinweg verspürte ich keine gesundheitlichen Einbußen. Bis vor kurzem: Mir machten Fieber und grippeähnliche Beschwerden zu schaffen. Die Leberwerte waren erhöht. Die Hepatitis-B-Viren hatten zu einer leichten Veränderungen des Leberbindegewebes geführt. Jetzt werde ich mit Lamivudin behandelt", so der 23-Jährige.

Zwei Patienten-Beispiele, ein Schicksal. So unterschiedlich ihre Geschichten sind, haben sie doch einen gemeinsamen Nenner. Sie machen deutlich, woran es bei Diagnostik und Therapie von Viren-Hepatiden hapert. Hausärzte stellen die Diagnose Leberentzündung gar nicht oder zu spät, und die Therapie erfolgt erst nach geraumer Zeit oder ineffizient. Zahlen, die auf dem Deutschen Lebertag präsentiert wurden, untermauern dies.

L(i)eber testen

"Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass es in Deutschland 3,5 Millionen Leberkranke gibt", sagte Achim Kautz, Geschäftsführer der Deutschen Leberhilfe. Die Dunkelziffer liege jedoch deutlich darüber. Schätzungen gehen von 7,5 Millionen aus. Erschreckend: Nur ein Bruchteil der Betroffenen weiß von der Krankheit. Denn die Lebererkrankung macht sich oft mit unspezifischen Symptomen bemerkbar. "Weder Betroffene, noch viele Allgemeinmediziner denken bei Müdigkeit, Unkonzentriertheit, Übelkeit oder Druckgefühl im Oberbauch an die Möglichkeit einer Lebererkrankung", sagte Kautz.

Sind die Leberwerte erhöht, gilt es, die Leber genauestens unter die Lupe zu nehmen. Kautz hat andere Erfahrungen gemacht: "Erhöhte Leberwerte werden mitunter auch von Ärzten als Kavaliersdelikt abgetan. Eine nähere Untersuchung unterbleibt. Dabei haben erhöhte Leberwerte eben nicht in jedem Fall mit Alkoholkonsum zu tun. Aber man wird gleich in die Trinker-Ecke gestellt."

Durch unterbliebene oder ineffiziente Therapie sterben in Deutschland jährlich rund 1500 Menschen an den Folgen einer Hepatitis B, doppelt so viele wie an Aids. Deshalb ist die vorbeugende Impfung so wichtig, die seit 1995 von der Ständigen Impfkommission (STIKO) für alle Säuglinge, Kinder und Jugendliche empfohlen wird. "Die Impfrate der vor 1995 Geborenen dürfte unter 50 Prozent liegen. Dabei ist die Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen besonders gefährdet, da der Hauptübertragungsweg der Hepatitis B sexueller Natur ist", sagte Dr. Karl Alfred Nassauer vom Robert-Koch-Institut, Berlin. Leberzirrhose und Leberkrebs könnten durch die Hepatitis-B-Impfung zuverlässig verhindert werden. Ein Impfstoff gegen das Hepatitis-C-Virus, das über den Blutweg übertragen wird, sei bis auf Weiteres nicht in Sicht. Eine Prophylaxe gegen C-Hepatitiden ist praktisch nicht möglich.

Lobbyarbeit verstärken

Die Situation ist paradox: Eine Impfung gegen Aids wird heiß ersehnt. Die gegen Hepatitis B gibt es schon lange. Aber die wenigsten nutzen sie. "Unser primäres Ziel ist es, die Bevölkerung darüber aufzuklären, welche Gefahren von den Hepatitis-Viren ausgehen", informierte Kautz über die Arbeit der Deutschen Leberhilfe. Nach wie vor kennt jeder Aids, Hepatitis B aber nur wenige. Dabei ist Hepatitis B 100-mal ansteckender als die tödliche Immunschwäche. "Bei der Deutschen Leberhilfe, der größten Patientenorganisation für Leberkranke, haben wir vier feste Angestellte, die das gesamte Bundesgebiet betreuen. Ganz anders bei der Aids-Hilfe: Allein für den Kölner Raum stehen dort 19 hauptberuflich Tätige zur Verfügung", schilderte Kautz die Problematik der Aufklärungs- und Lobbyarbeit.

Dass Aids-Kranke eine viel stärkere Lobby haben, liege vermutlich auch daran, dass die HIV-Infektion und Aids meist diejenigen betrifft, die seit jeher zu den Randgruppen gehören. So kämpfen Schwule schon länger selbstbewusst für ihre Rechte und haben oft auch kein Problem, offen über ihre HIV-Infektion zu sprechen. Ganz anders bei den Hepatitis-Infizierten. "Hepatitis B und C kommt in allen Bevölkerungsschichten vor. Den Betroffenen ist es peinlich, über ihre Erkrankung zu sprechen. Ihnen fehlt das Selbstbewusstsein der Randgruppen", philosophierte Kautz über die Hintergründe des niedrigen Bekanntheitsgrades.

Therapie ist gut, Impfung ist besser

Was die Therapie der Hepatitis B und C betrifft, sind die Möglichkeiten heute zwar so gut wie nie zuvor, aber dennoch nicht zufriedenstellend. "Von den diagnostizierten Personen erhalten nur rund 5 bis 10 Prozent eine adäquate Therapie nach dem aktuellen Erkenntnisstand", sagte Professor Dr. Claus Niederau, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Leberhilfe und Chefarzt des St. Josef-Hospitals in Oberhausen. Nach neuestem Stand behandelt man die chronische Hepatitis C mit einer Kombination aus pegyliertem Interferon-a-2b und Ribavirin. Rund 54 Prozent der Patienten sprechen auf diese Therapie an.

Ganz neu sind die Erkenntnisse zur Behandlung der akuten Hepatitis-C-Infektion; diese werden diese Woche im New England Journal of Medicine publiziert. Diese Studie beweist zum ersten Mal, dass sich eine Kombinationstherapie aus pegyliertem Interferon plus Ribavirin auch im akuten Stadium eignet. Bei 98 Prozent der Patienten waren bei Studienende keine Viren mehr nachweisbar, und die Werte der Transaminasen waren wieder im Normbereich.

Wie die Hepatitis C behandelt man die B-Infektion mit Interferon a. Damit bessert sich die Erkrankung bei 30 bis 40 Prozent der Patienten dauerhaft. Als preisgünstige Alternative zum Interferon bietet sich Lamivudin an. Bei Langzeittherapie hat es jedoch einen erheblichen Nachteil: Nach einem Jahr bilden sich zu 70 Prozent Virus-Mutanten, denen das Nukleosidanalogon nichts mehr anhaben kann.

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