Frauen mit Brustkrebs begleiten |
07.11.2005 00:00 Uhr |
Das MammaNetz in Augsburg arbeitet seit Herbst 2003 als Begleit- und Orientierungsstelle für Frauen mit Brustkrebs. Etwa 500 Frauen wurden bislang individuell beraten, geschult und begleitet. Seit kurzem sind die Apotheker in die Betreuung mit einbezogen.
Die Diagnose Brustkrebs ist für jede Frau ein Schock. Zur Angst vor der Erkrankung, ihrer Prognose und der Therapie kommt die Sorge um Familie und Kinder, um Beruf und oft auch die Finanzen. Die fremde, verwirrende Situation im Krankenhaus macht noch unsicherer. Angesichts bestehender Defizite bei Information, Betreuung und Nachsorge hat es sich MammaNetz zum Ziel gesetzt, Brustkrebs-Patientinnen von der Erstdiagnose bis zur Nachsorge umfassend zu begleiten. »Wir legen sehr viel Augenmerk auf die betroffenen Frauen«, erklärte Projekt- und Studienleiterin Andrea Thorenz bei einem Pressegespräch des beta Instituts für Sozialmedizinische Forschung und Entwicklung. Das Augsburger Institut hat das Modell federführend entwickelt, eingeführt und auch evaluiert.
Um die Frauen individuell zu unterstützen und sie bei Bedarf mit den richtigen Helfern zusammenzubringen, arbeitet das Projekt nach der Methode des Case Managements (siehe Kasten). Derzeit sind 12 bis 13 Mitarbeiterinnen aus verschiedenen Berufen, davon sechs geschulte Case Managerinnen, am MammaNetz beteiligt, das in enger Kooperation mit dem Brustzentrum des Klinikums Augsburg und weiteren Kliniken der Region arbeitet, erklärte Thorenz.
Was ist Case Management? Die Methode stammt aus dem Sozialwesen und bedeutet Fall-Management. Für den individuellen Patienten wird möglichst alles getan, was er braucht, um gesund werden oder mit der Erkrankung bestmöglich leben zu können. Der Case Manager begleitet einen Patienten langfristig und ganzheitlich und verknüpft verschiedene Leistungserbringer zu einem Netz. Damit wirkt er als Bindeglied und Mittler zwischen Patient, Anbietern von Gesundheitsleistungen, Kostenträgern und Gemeinwesen. Case Management will nach eigenen Angaben Qualität, Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zusammenführen.
Die Methode verläuft sehr strukturiert. In der Regel meldet der Gynäkologe die Patientin direkt nach der Diagnose (mit ihrem Einverständnis) bei MammaNetz an. Eine Case Managerin, die während der gesamten Behandlungsdauer die Ansprechpartnerin bleibt, nimmt innerhalb von 48 Stunden Kontakt mit der Patientin auf. In einem ersten Gespräch wird geklärt, ob der Frau gezielte Informationen ausreichen oder ein Case Management nötig ist. Dabei gilt es, die Hauptsorge der Frau zu erfragen und den Unterstützungsbedarf vorläufig einzuschätzen, berichtete Thorenz. Während manche Frauen am meisten Angst vor den Folgen der Therapie haben, grübeln andere primär über die Versorgung ihrer Kinder während des Klinikaufenthalts nach, benötigen eine Kurzzeitpflege für einen Angehörigen, wünschen seelsorgerlichen Beistand oder brauchen Unterstützung beim Gespräch mit dem Partner oder dem Arbeitgeber.
Nachdem der individuelle konkrete Bedarf festgestellt ist, wird gemeinsam ein Indikations- und Hilfeplan entwickelt. Die Case Managerin löst die Probleme nicht selbst. Ihre Aufgabe ist es, Hilfe zu vermitteln, Kontakte aufzubauen, Adressen weiterzugeben und die benötigten Institutionen zu verknüpfen. Während die vereinbarten Maßnahmen laufen, fungiert sie als Koordinatorin, dokumentiert und kontrolliert, ob diese der Frau tatsächlich helfen. Im Lauf der Zeit können sich Aufgaben erledigen und neue hinzukommen. Den Abschluss der Betreuungsphase, die individuell unterschiedlich lang sein kann, bildet eine Evaluation.
Apotheken im Netzwerk
MammaNetz pflegt ein ausgedehntes regionales Netzwerk, erklärte die Leiterin. Dazu gehören etwa 200 Einrichtungen wie Kliniken, Arztpraxen, Apotheken, Beratungsstellen, Sanitätshäuser, Selbsthilfegruppen, Perückenmacher oder Prothesenspezialisten.
In einem Modellprojekt wird derzeit die Einbindung der Apotheker in die integrierte Versorgung der Brustkrebspatientinnen erprobt, sagte Apothekerin Silke Kaulich, die beim beta Institut zuständig für das Apothekenprojekt ist, im Gespräch mit der PZ. Ziel sei es, den Frauen auch im ambulanten Bereich eine bessere Betreuung zu bieten. In einer ersten Schulungsphase würden derzeit 146 Pharmazeutinnen und Pharmazeuten aus 90 Apotheken aus Augsburg und Umgebung zu Krebstherapie, Supportivmaßnahmen, Komplementärmedizin, Case Management und Kommunikation geschult. Sie bilden den Pool der Studienapotheker. Das Interesse an den Schulungen sei sehr groß, jetzt schon gebe es eine lange Warteliste von Kollegen aus dem ganzen Bundesgebiet, sagte Kaulich.
Begleitet wird das Modellprojekt von einer wissenschaftlichen Studie, bei der das beta Institut mit Professor Dr. Ulrich Jaehde von der Universität Bonn und der Bayerischen Landesapothekerkammer kooperiert. Die Rekrutierung der Kontrollgruppe 50 Frauen sei bereits abgeschlossen, die der Interventionsgruppe laufe gerade, berichtet die Studienleiterin. Die Frauen können sich eine Studienapotheke aussuchen und werden ein Jahr lang dort intensiv betreut. Ziel der Studie sei es herauszufinden, ob die Patientinnen von der intensiveren Betreuung in der Apotheke profitieren.
Überwiegend sehr zufrieden
Dass die Frauen vom MammaNetz bislang profitieren, zeigt eine Machbarkeitsstudie, deren erste Ergebnisse Thorenz in München vorstellte. 213 Frauen, davon 140 aus einer Interventions- und 73 aus der Kontrollgruppe, wurden dreimal mit validierten Fragebögen befragt. Die Lebensqualität der Frauen stieg durch die Beratung deutlich, sie gewannen mehr Sicherheit im Umgang mit ihrer Erkrankung, und die Angst vor den Auswirkungen der Erkrankung nahm ab. 93 Prozent der Frauen hatten mindestens einen, 44 Prozent mindestens zwei persönliche Kontakte mit der Case Managerin. Für 38 Prozent war sie die einzige professionelle Hilfe zur Zeit der Diagnosestellung.
Die meisten Frauen waren sehr zufrieden mit der Betreuung. Gleiches berichteten die Ärzte als Netzwerkpartner. 90 Prozent fühlten sich bei der psychosozialen Beratung entlastet. Die Compliance sei verbessert und das Vertrauensverhältnis gestärkt worden.
Das Modellprojekt MammaNetz ist den Kinderschuhen entwachsen. Seit Juli
2005 bestehen Verträge zur integrierten Versorgung mit mehreren Krankenkassen,
berichtete Thorenz. Nun sei eine Prozessoptimierung sowie die Übertragung des
Modells in andere Kliniken und auf Schlaganfallpatienten geplant. Das
Bundesministerium für Bildung und Forschung hat eine Kosten-Nutzen-Studie in
Aussicht gestellt.
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