Medizin
Soziale Phobie: Krankheit der
90er Jahre
Zittern, fleckige Hautrötungen,
Angstschweiß und Herzklopfen sind bekannte und relativ
häufig auftretende Symptome, die meist einer
Schüchternheit oder Angstzuständen zugeordnet werden.
Wenig bekannt ist dagegen eine weitere mögliche Ursache:
die "soziale Phobie", ein Krankheitsbild, das
aufgrund seiner Verbreitung epidemiologisch bedeutsam
ist. Das eigentlich Neue hierbei ist allerdings weniger
die Erkrankung selbst, sondern vielmehr die sich seit den
80er Jahren durchsetzende Erkenntnis, daß es sich
hierbei um eine therapierbare Störung handelt.
In Hamburg stellte das Pharmaunternehmen Hoffmann-La
Roche neue wissenschaftliche Erkenntnisse über soziale
Phobien vor. Leitsymptome der Krankheit sind völlig
unverhältnismäßige, sich zwanghaft aufdrängende
Angstzustände. Die Patienten neigen dazu, alle
Situationen zu vermeiden, in denen sie den angeblich
prüfenden Blicken anderer Menschen ausgesetzt sind oder
durch die sie in Verlegenheit gebracht werden könnten.
Die meisten Patienten wissen nicht, daß sie an einer -
mittlerweile heilbaren - psychischen Krankheit leiden.
Die Symptome der deshalb meist unbehandelten Störung
führen oft zu Begleit- und Folgeerkrankungen. Diese
leiten wiederum eine Abwärtsspirale ein, die aus
unangemessener Angst, Situationsvermeidung und
schwindendem Selbstvertrauen besteht. Daraus resultieren
Depressionen, soziale Isolation sowie berufliche und
private Probleme. Am Ende stehen nicht selten
Alkoholismus, Medikamentenmißbrauch und Selbstmord.
Lediglich 30 Prozent der Patienten sind frei von
derartigen Folgeerscheinungen. Nach neuesten Studien
leiden zehn Prozent der Deutschen an schweren
Angsterkrankungen, ein bis drei Prozent davon gelten als
akut behandlungsbedürftig.
Zu den Behandlungsmethoden gehört auch die
medikamentöse Therapie. Aufgrund positiver Studien mit
Antidepressiva wird Moclobemid, ein reversibler und
selektiver Hemmer der MAO A, eingesetzt. Mit einer
Tagesdosis von 600 mg kann nach Angaben des Veranstalters
eine deutliche Symptomverbesserung erreicht werden.
Während sich die meisten psychotherapeutischen Verfahren
als wenig hilfreich erwiesen haben, können einige
verhaltenstherapeutische Ansätze, etwa Rollenspiele,
durchaus überzeugen. Sie werden oft mit einem
Psychopharmakon kombiniert und zeichnen sich durch ihren
geringen zeitlichen Aufwand, die überprüfbare
Wirksamkeit und den Zuschnitt auf ganz konkrete
Behandlungsziele aus. Mit einer Kombination aus
Verhaltens- und Pharmakotherapie könnten mittlerweile
etwa 80 Prozent der Patienten dauerhaft von ihren
Problemen befreit werden, hieß es in Hamburg.
PZ-Artikel von Jochen Kubitschek, Hamburg
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