Operieren im virtuellen Raum |
03.06.2002 00:00 Uhr |
von Wolfgang Kappler, Homburg/Saar
Fraunhofer-Ingenieure und Bauchchirurgen der Universitätskliniken Homburg/Saar wollen gemeinsam mit der Firma Karl Storz-Endoskope (Tuttlingen) und Toshiba-Medical-Systems-Europe endoskopische Operationen verkürzen, sicherer und für den Patienten weniger belastend machen. Das System ARAAS soll einen erweiterten dreidimensionalen Blick auf das Operationsgebiet ermöglichen und Verborgenes sichtbar machen, um dem Chirurgen die Arbeit zu erleichtern.
Gelenks- und Wirbelsäulenschäden werden heute vielfach mit Sondeninstrumenten durch kleinste Schnitte in der Haut operiert. Gallenblase und Blinddarm werden standardmäßig ebenso entfernt. Die minimal invasive, auch laparoskopische oder endoskopische Chirurgie schont zwar den Patienten, fordert vom Chirurgen aber ein Höchstmaß an Konzentration. Zur Orientierung dient ihm lediglich das Bild, das ihm eine in den Körper eingeführte Mini-Kamera liefert. Was er auf dem Monitor sieht, ähnelt dabei dem Blick durch einen Tunnel.
Doch während er im dreidimensionalen Körperraum versucht, möglichst präzise seine Instrumente zu führen, ist das Monitorbild zweidimensional. Das kann irritieren, macht unsicher, zwingt zum häufigen Innehalten und Umpositionieren der Kamera und verlängert womöglich einen kurz geplanten Eingriff. Daneben besteht die Gefahr, dass Organe und Gewebe außerhalb des Blickwinkels der Kamera verletzt werden.
Das wollen Bauchchirurgen der Universitätskliniken Homburg gemeinsam mit Ingenieuren des Fraunhofer-Institutes für Biomedizinische Technik (IBMT) mit dem Projekt ARAAS ( Augmented Reality-Assisted Abdominal Surgery) ändern. "Das System soll dem Chirurgen einen größeren Überblick über den Bauchraum verschaffen und ihm verdeckte Strukturen aufzeigen, ohne dass diese zeitaufwendig freigelegt werden müssen", sagt Dr. Andreas Limberger und nennt als Beispiel die Entfernung der Gallenblase. Dabei darf der im Endoskopbild unsichtbare Gallengang nicht verletzt werden. "Seine genaue Identifizierung braucht Zeit und erfordert viel Präzision und Geschick", weiß Limberger. ARAAS soll solche Strukturen sichtbar machen und gleichzeitig den räumlichen Blick auf Nachbarorgane ermöglichen.
Als Grundlage für die Orientierung soll dafür zunächst das zu Diagnosezwecken erstellte Bild des Kernspin-Tomographen, das einen räumlichen Eindruck des Zielorgans und seiner Nachbarn vermittelt, dienen. Dieses Bild spiegelt allerdings nicht die Situation während des Eingriffs, da sich die pulsierenden weichen Organe ständig verformen. Die Aufnahme muss daher den realen Gegebenheiten und dem Blickwinkel der Kamera im Körperinnern angepasst werden.
Streifen zur Orientierung
Erreicht werden soll dies mit einem optischen Trick. Dazu wird eine Lampe im Endoskop ihr Licht durch eine Schlitzschablone werfen, so dass auf der gekrümmten Organoberfläche Lichtstreifen entstehen. Verformt sich das Organ, ändert sich auch das Streifenmuster, das permanent von einer Kamera aufgenommen und an einen Rechner übermittelt wird. Der vergleicht die Bilder mit der Kernspinaufnahme und übernimmt deren Abgleich mit der Realsituation. Dabei sollen auch die Daten eines laparoskopischen Ultraschallsensors berücksichtigt werden, der während des Eingriffs zum Beispiel die Lage des erwähnten Gallenganges sichtbar macht.
Erfasst wird vom Rechner schließlich auch die exakte Position des chirurgischen Instrumentes, das in das nach komplizierten mathematischen Methoden errechnete Bild integriert wird. Die Darstellung erfolgt auf einem 3-D-Monitor. Alternativ kann das Bild auch über eine halbdurchsichtige AR-Brille, die üblicherweise der Orientierung in simulierten Computerwelten dient, auf die Bauchdecke projiziert werden. Der Chirurg operiert dann quasi im virtuellen Raum. "Für den Patienten bedeutet das letztlich weniger Belastung durch kürzerer Narkosezeiten und ein geringeres OP-Risiko, für den Chirurgen eine bessere Orientierung und damit mehr Sicherheit", ist Limberger überzeugt.
Das System soll sich in das vorhandene Kamerasystem integrieren lassen,
so dass kein weiterer Operationszugang erforderlich wird. Denkbar sei
auch, dass ARAAS das Einsatzgebiet der minimal invasiven Chirurgie
erweitert. So bei der Entfernung von Tumoren, wobei dem Chirurgen dann die
Grenzen möglicher Schnitte eingeblendet werden. Noch steht ARAAS erst am
Beginn der Entwicklung. IBMT-Ingenieur Peter Weber: "Derzeit
entwickeln wir das Endokop zur dreidimensionalen Darstellung der
Organe". Weber ist aber zuversichtlich, dass sich das Komplettsystem
in absehbarer Zeit in Zusammenarbeit mit der Industrie realisieren lässt.
Für die bisherigen Vorarbeiten wurden Limberger und Weber jüngst mit dem
Förderpreis des Vereins Freunde der Universitätskliniken Homburg
ausgezeichnet.
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