Infektionsrisiko durch Gerinnungsfaktoren |
17.04.2000 00:00 Uhr |
Seit mehr als 2000 Jahren ist die Bluterkrankheit bekannt. Aber erst vor etwa 40 Jahren entwickelten Wissenschaftler eine wirksame Therapie: Gerinnungsfaktoren aus humanem Blutplasma. Ein voller Erfolg, bis man auf die Übertragung von HIV und Hepatitis-Viren aufmerksam wurde. In Deutschland hatte sich in den 80er Jahren etwa die Hälfte der Hämophilie-Patienten mit HIV infiziert. Die Pharmafirmen haben inzwischen zwar effiziente Strategien entwickelt, um dessen Übertragung zu verhindern. Bei anderen Viren hatten die Wissenschaftler aber bisher weniger Erfolg. Eine Alternative bieten gentechnisch hergestellte Faktoren.
Bei der Produktion von Plasmaprodukten wenden die Pharmaunternehmen inzwischen verschiedene Techniken an, um Viren aus den Präparaten zu entfernen. Erfolgreich waren die Wissenschaftler bei umhüllten Viren wie HIV, Hepatitis-B- und -C-Viren. Die kleinen nicht umhüllten Viren wie das Hepatitis-A-Virus und das Parvovirus B19 überstehen diese Prozeduren jedoch.
In den 80er Jahren infizierten sich fast alle Hämophilie-Patienten mit dem Parvovirus B19. Welche Krankheitssymptome es verursacht, ist erst seit etwa 15 Jahren bekannt. Es vermehrt sich im Knochenmark in Vorstufen der Erythrozyten. Bei Patienten, die an einer Anämie leiden, kommt es daher nach einer Infektion zu aplastischen Krisen. Dabei bleibt der Nachschub an roten Blutkörperchen aus. Schwangere, die sich mit dem Virus infizieren, laufen Gefahr, dass das Ungeborene im Mutterleib stirbt.
Bei Kindern kommt es nach einer Infektion zum Erythema infectiosum, auch als Ringelröteln bekannt. Typisch für die Kinderkrankheit ist ein plötzlich auftretendes Exanthem im Gesicht und an Armen und Beinen. Beim gesunden Erwachsenen verläuft die Infektion zwar meist symptomlos. Hämophilie-Patienten leiden jedoch häufig wegen zusätzlicher Infektionen unter Gesundheitsstörungen.
Inzwischen gibt es Nachweisverfahren für das Parvovirus B19. So meldete Aventis vor kurzem, dass das Unternehmen seine Plasmapräparate nun auf das Virus testet (siehe PZ 13/2000, Seite 56). Wissenschaftler haben aber kürzlich ein weiteres bisher unbekanntes Parvovirus mit der Bezeichnung V9 entdeckt, das auch eine Knochenmarkaplasie auslösen kann. Daher sind gentechnisch hergestellte Blutgerinnungsfaktoren die sicherere Methode, um die Patienten vor Infektionen zu schützen.
Damit könnte man auch eine Übertragung von Prionen verhindern. Bisher hat sich zwar noch kein Hämophilie-Patient mit dem Erreger der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit infiziert. Einige Wissenschaftler befürchten jedoch, dass Prionen über Blutpräparate übertragen werden können.
Gentechnisch hergestellte Gerinnungsfaktoren werden zwar meist von tierischen Zellen produziert, wie zum Beispiel einer Ovarial-Zell-Linie des chinesischen Hamsters (CHO-Zellen). Anschließend wird dem Präparat aber meist humanes Serumalbumin zugefügt. Um diese zusätzliche Infektionsquelle auszuschalten, hat Wyeth Pharma mit ReFacto® im letzten Jahr (siehe PZ 26/99) einen Gerinnungsfaktor auf den Markt gebracht, der bei der Formulierung ohne Produkte aus menschlichem Blut auskommt.
Patienten mit Hämophilie A fehlt der Blutgerinnungsfaktor VIII. Die häufigste Form der Bluterkrankheit tritt bei einem von 5000 männlichen Neugeborenen auf. Ursache der selteneren Hämophilie B ist ein Mangel an Faktor IX. An diesem Gendefekt leidet einer von 30 000 neugeborenen Jungen.
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