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"Eine Tür öffnen, die nie wieder zugeht"

19.04.1999  00:00 Uhr

-MedizinGovi-VerlagPZ-INTERVIEW

"Eine Tür öffnen, die
nie wieder zugeht"

von  Daniel Rücker und Ulrike Wagner, Recklinghausen

Frauen aus Familien, in denen gehäuft Brustkrebs aufgetreten ist, stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Ziehen sie die Gewißheit vor? Oder wollen sie lieber nicht so genau darüber Bescheid wissen, welche Gene sie von ihren Eltern geerbt haben? Hilfestellung bieten dabei Ärzte, Humangenetiker und Psychotherapeuten, indem sie detailliert informieren. Professor Dr. Elisabeth Gödde, Fachärztin für Humangenetik und Psychotherapie in Recklinghausen, berät Frauen, die eine molekulargenetische Diagnostik in Anspruch nehmen möchten.

PZ: Für welche Frauen kommt ein Gentest auf Mutationen der Brustkrebsgene in Frage?

Gödde: Wenn sich jemand Gedanken darüber machen sollte, dann Patientinnen, die Brustkrebs haben. Wir müssen immer zuerst eine Betroffene untersuchen, weil wir nur dann über einen Zusammenhang zwischen Mutation und Erkrankung eine Aussage treffen können.

PZ:Kommen denn nicht auch Frauen zu Ihnen, die selbst nicht erkrankt sind, aber Angst davor haben, weil in ihrer Familie sehr oft Brustkrebs vorgekommen ist?

Gödde: Das sind eigentlich die meisten. Da gilt es im Gespräch erst einmal, die Familienanamnese zu klären. Wenn anhand der Anamnese die Diagnosekriterien zutreffen und die an Brustkrebs erkrankten Verwandten noch leben, sage ich: "Gehen Sie zu Ihrer Mutter oder Tante oder Schwester und besprechen das mit ihr."

PZ:Kann das nicht zu großen Konflikten in der Familie führen, wenn eine Tochter wissen möchte, ob eine Genmutation vorliegt, die andere aber nicht?

Gödde: Ich teile der Mutter im Gespräch den Befund mit und erkläre ihn ihr. Vorher weise ich sie darauf hin, daß sie zu dem Gespräch mitbringen kann, wen sie möchte. Dann hat sie den Joker in der Hand. Es ist ihre Sache, ob sie sich von ihren Töchtern ansprechen läßt oder ihre Töchter anspricht. Wenn eine Tochter es wissen möchte, die andere aber nicht, können eigentlich alle zu ihrem Recht kommen.

PZ:Überfordert man die Patienten mit dem von der Bundesärztekammer empfohlenen "Informed Consent" nicht?

Gödde: Die Äußerung "Die Patienten verstehen das nicht" sollte es im ärztlichen Alltag nicht geben. Ich finde es besonders wichtig, Patienten in einer verständlichen Sprache zu informieren.

Außerdem gilt die Sorge um die Zukunft nicht nur für den Fall, daß man sich untersuchen läßt. Sie gilt ja auch für die Situation, daß man die Untersuchung ablehnt. Jemand der sich damit auseinandersetzt, ob er sich testen läßt, ist schon in einem Ausnahmezustand. Und das hat Konsequenzen. Die Patienten werden ja nicht völlig unbedarft zu Hause vom Sofa hochgeschreckt. Das wäre natürlich furchtbar.

PZ: Kommen die meisten Patienten wegen Brustkrebs zu Ihnen?

Gödde: Ja. Bei der vererbten Form des Brustkrebses sind meistens junge Frauen betroffen. Das ist immer besonders tragisch. Die Patientinnen haben oft kleine Kinder; die ganze Nachbarschaft nimmt meistens an ihrem Schicksal teil. Der andere Grund ist die von der Krebshilfe unterstützte Brustkrebsstudie, für die sehr viel PR gemacht wurde.

PZ:Raten Sie einer Frau von der Diagnostik ab, wenn Sie merken, daß sie mit dem Ergebnis nicht umgehen kann?

Gödde: Es gibt sicher Menschen, die damit Probleme haben. Aber der Umgang mit einem genetischen Risiko ist auch ein Reifungsprozeß. Ich sage den Frauen, daß man bei der genetischen Diagnostik eine Tür aufmacht, die man nie wieder zubekommt. Und man muß sich natürlich überlegen, ob man wissen will, was dahinter ist.

PZ:Haben Frauen ihren Entschluß bereut, sich testen zu lassen?

Gödde: Nein. Ganz im Gegenteil. Die Frauen, die hier zum Gespräch waren und die wir getestet haben, sind anschließend von Psychologinnen der Universität Hamburg befragt worden. Alle waren zu einem Gespräch von mehreren Stunden bereit. Das war für mich ein Ergebnis, das mich motiviert hat, so weiterzuarbeiten.

PZ:Haben die Frauen für ihre Familienplanung Konsequenzen gezogen?

Gödde: Meistens waren es Frauen, die schon Kinder hatten. Die eigene Familienplanung war meist abgeschlossen, als das Thema Krebs aktuell wurde.

PZ: Aus welchem Grund lassen sie sich dann trotzdem untersuchen?

Gödde: Aus der Verantwortung für die Familie und um den Kindern das Erbe auch schriftlich mitzuteilen. Denn eine betroffene Frau wird möglicherweise nicht mehr leben, wenn ihre Töchter eigene Familien gründen. Liegt der Befund nun zum Beispiel beim Notar, oder die Mutter hat ihn ihr zu Lebzeiten gegeben, kann die Tochter entscheiden, ob sie sich untersuchen lassen möchte. Hat die Mutter das nicht getan, ist es nicht mehr möglich.

PZ: Aber in der Zwickmühle sind ja vor allem die Frauen, die noch keinen Krebs haben?!

Gödde: Ja. Damit müssen wir lernen umzugehen. Die Ärzte sind hier nicht mehr nur deshalb kompetent, weil sie wissen, wie der menschliche Körper funktioniert. Eine große Rolle spielt dabei das Erleben der Patientinnen. Von Familien, die schon seit Generationen mit den Krankheiten leben, können wir sehr viel lernen. Brustkrebs ist ja keine neue Krankheit. Zu den Zeiten, als man noch nicht molekulargenetisch diagnostizieren konnte, wußten die Töchter von Betroffenen auch schon, daß sie ein erhöhtes Risiko haben.

PZ: Würden Sie Frauen zu einer prophylaktischen Mastektomie raten?

Gödde: Als Theoretikerin rate ich nie zu konkreten Handlungen oder davon ab. Meine Aufgabe ist es, Argumente zu sammeln, die für oder gegen bestimmte Entscheidungen sprechen. Eine prophylaktische Mastektomie vorzuschlagen, wenn nur eine Genmutation vorliegt, halte ich für eher unwahrscheinlich. Es sei denn, es kommen noch weitere Faktoren dazu, die eine Erkrankung mitbegünstigen würden. Wenn jemand zum Beispiel zusätzlich eine Mastopathie hat. Oder wenn es sich um eine Mutation handelt, mit der ein extrem hohes Risiko verknüpft ist. Dann ja.

PZ: Aber viele Frauen haben sich doch schon prophylaktisch die Brust amputieren lassen – vor allem in den USA.

Gödde: Ich habe mich damit zwar noch nie näher beschäftigt, aber in den USA scheint die Hemmschwelle generell niedriger, sich an seiner Brust herumschneiden zu lassen – und oft aus rein kosmetischen Gründen.

PZ: Was ist dran an der Meldung, daß man einen Brustkrebs-Gentest übers Internet bestellen kann?

Gödde: Ich bin dieser Information bisher nicht weiter nachgegangen, aber für ausgeschlossen würde ich es nicht halten.

PZ:Ist das nicht gefährlich?

Gödde: Es ist äußerst bedenklich, genauso wie der Verkauf von Medikamenten übers Internet.

PZ: Kritiker genetischer Diagnostik warnen häufig vor einer Gefährdung der Selbstbestimmung der Patientinnen. Sehen Sie das auch so?

Gödde: Ich denke schon, weil der Umgang zwischen Patientinnen und Ärzten immer noch patriarchalisch beeinflußt ist. Das kann eine ganz gefährliche Situation sein. Auf der einen Seite wissen Patientinnen zu wenig über ihre Rechte. Und Ärzte wissen oft zu wenig über ihre Pflichten. Ich möchte aber nicht nur die Ärzte kritisieren, die für ihre Patientinnen entscheiden. Auch die Patientinnen müssen zu Eigenverantwortung angehalten werden. Um der Gefahr vorzubeugen, daß Patienten instrumentalisiert werden, sind beide Seiten aufgerufen, ihre eigene Verantwortung zu definieren und auch anzunehmen.

PZ:Aber die Vorbehalte gehen doch noch weiter. Mit den Vorstellungen, daß Krankenversicherungen oder Arbeitgeber Menschen zu Gentests treiben!

Gödde: Meines Wissens haben sich die Krankenkassen verpflichtet, dies nicht zuzulassen. Es gibt jedoch Handlungsbedarf von Seiten des Gesetzgebers.

PZ:Das gesellschaftliche Interesse an der Problematik ist nicht sehr groß. Woran liegt das?

Gödde: Ich denke, das hängt damit zusammen, daß Krebs nach Vorstellung vieler Menschen wie alle Katastrophen etwas ist, das nur den Nachbarn betrifft, aber nicht einen selbst. Es hat sehr viel mit Angst zu tun, daß man erst gar nicht darüber spricht. Der Kurzschluß "Krebs gleich Tod" gehört leider immer noch zu unserer Kultur.

PZ:Täuscht denn der Eindruck, daß Krebserkrankungen zunehmen?

Gödde: Jeder dritte stirbt zwar an Krebs, die Frage ist nur: Wann? Die Menschen werden heute viel älter als noch vor hundert Jahren. Früher sind sie nicht an Krebs, dafür aber zum Beispiel frühzeitig an Tuberkulose gestorben. In den Beratungsgesprächen erkläre ich den Frauen, daß Krebs keine seltene Erkrankung ist. Wir alle müssen mit diesem Risiko leben.

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