Pharmazeutische Zeitung online

Hirudin versus Heparin bei Koronarsyndrom

14.04.1997  00:00 Uhr

-Medizin

  Govi-Verlag

Hirudin versus Heparin bei Koronarsyndrom

  In den letzten Jahren sind die Erkenntnisse über die Entstehung koronarer Syndrome erheblich gestiegen. So konnte gezeigt werden, daß die Fissur oder Ruptur atherosklerotischer Plaques unter Bildung muraler oder okklusiver Thromben dafür verantwortlich ist. Die Therapie der verschiedenen akuten kardialen Syndrome, zu denen die instabile Angina pectoris sowie Herzinfarkte gehören, ist ähnlich und beinhaltet die intravenöse Gabe von Heparin, die Gabe von ASS sowie eine antiischämische Medikation. Der Unterschied besteht in der Gabe von Thrombolytika, die nur bei einer ST-Strecken-Hebung eingesetzt werden.

Thrombin ist ein Schlüsselfaktor bei der Entstehung akuter kardialer Syndrome. Es fördert die Plättchenaggregation im Thrombus und katalysiert die Stabilisierung des Fibringerinnsels. Heparin, das Mittel der ersten Wahl, wirkt indirekt und benötigt Antithrombin III als Cofaktor. Es wirkt nicht gegen. Thrombin, das bereits im Fibringerinnsel gebunden ist. Heparin kann durch den Plättchenfaktor 4 oder Plasmaproteine inaktiviert werden, und sein Effekt unterliegt individuellen Schwankungen, Es kann bei bis zu 15 Prozent der Patienten zu einer Thrombozytopenie führen.

Der Prototyp eines direkten Thrombin-Inhibitors ist Hirudin, ein aus 65 Aminosäuren bestehendes Peptid, das in der Natur im Speichel des Blutegels vorkommt. Mittlerweile ist es möglich, rekombinantes Hirudin in größerer Menge herzustellen. In Pilotstudien erwies sich die Wirksamkeit von Hirudin bei 4A Herzinfarkten und instabiler Angina pectoris als vielversprechend, so daß in der vorliegenden Studie versucht wurde, den Wert der Hirudintherapie genauer abzuklären.

In einer multizentrischen Studie an 373 Kliniken erhielten insgesamt 12.142 Patienten mit akutem Koronarsyndrom 72 Stunden lang randomisiert entweder Heparin oder Hirudin. Hirudin wurde mit initial 0,1 mg pro kg Körpergewicht als Bolus und anschließend 0,1 mg pro kg pro Stunde als Dauerinfusion gegeben. Als Hirudin wurde die desulfatierte Form verwendet.

Heparin wurde initial in einer Bolusdosis von 5000 IE gefolgt von einer Dauerinfusion von 1000 IE pro Stunde appliziert. Die gesamte Applikationsdauer betrug in beiden Gruppen 72 Stunden. Die ansonsten angewandten Arzneistoffe unterschieden sich in beiden Gruppen nicht. Die Patienten wurden nach Auftreten oder Fehlen von ST-Strecken-Hebungen im Ausgangs-EKG eingeteilt, wobei letzteres als Indikator für instabile Angina pectoris oder Non-Q-Wave-Myokardinfarkt gilt.

Nach 24 Stunden war das Mortalitäts- oder infarktrisiko in der Hirudingruppe signifikant niedriger als unter Heparin (1,3 Prozent im Vergleich zu 2,1 Prozent). Die primären Endpunkte Tod oder nichtletaler Myokardinfarkt oder Reinfarkt traten innerhalb von 30 Tagen bei 9,8 Prozent der Patienten der Heparin- und bei 8,9 Prozent der Patienten der Hirudingruppe ein.

Die hauptsächliche Wirkung von Hirudin betraf Myokardinfarkt oder Reinfarkt und wurde nicht vom ST-Strecken-Status beeinflußt. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede bei der Häufigkeit schwerer oder lebensbedrohender Blutungskomplikationen; bei der Hirudintherapie wurde jedoch eine größere Häufigkeit geringgradiger Blutungen beobachtet (8,8 versus 7,7 Prozent).

Bei akuten Koronarsyndromen bietet also rekombinantes Hirudin im Vergleich zu Heparin einen geringen Vorteil, der vor allem aus einer Verminderung des Risikos nichtletaler Myokardinfarkte resultiert. Der therapeutische Effekt war in den ersten 24 Stunden am deutlichsten verschwand aber im Lauf der Zeit. Der geringe Vorteil zeigte sich bei allen akuten koronaren Syndromen und war nicht mit einem größeren Risiko schwerer Blutungskomplikationen verbunden.

Quelle: GUSTO IIb Investigators, N. Engl. J. Med. 335 (1996) 775 - 82.

PZ-Artikel von Wolfgang Kämmerer, Wiesbaden        

© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail:
redaktion@govi.de

Mehr von Avoxa