Medizin
Anfang der siebziger Jahre wurden
bei Diabetikern vom Typ II B (oral einstellbar mit
Übergewicht) die Sulfonylharnstoffe -meist Glibenclamid-
erprobt, und zwar unter der Prüfbezeichnung HB 419.
Gleichzeitig wurden Biguanide (Metformin) eingesetzt,
während Acarbose (ein Glucosidasehemmer) damals noch
nicht zur Verfügung stand.
Die Voraussetzung für einen sinnvollen Einsatz
dieser Präparate ist eine zumindest noch teilweise
funktionierende Insulinausschüttung der
Bauchspeicheldrüse bei Typ-II-Diabetikern. Das Risiko
waren gar nicht so seltene Unterzuckerungen besonders bei
älteren Menschen, die nur sehr schwer in den Griff zu
bekommen sind, speziell dann, wenn die stark wirksamen
Medikamente als Diätersatz eingenommen werden.
Auf Station 16 im 1. Stock des Schwabinger Krankenhauses
zu München (KMS) lagen einst lauter ältere Männer,
meist mehr oder weniger übergewichtig, die fast alle mit
HB 419 eingestellt waren. Der Verfasser war seinerzeit
dort Stationsarzt. Als er eines Tages im April früher
als gewöhnlich erschien, sah er, daß seine
II-B-Patienten das Präparat HB 419 zum Fenster
hinauswarfen. Damit war klar, warum die Einstellungen so
miserabel waren. Nicht klar jedoch war, warum das Gras in
Wurfweite des Krankenzimmers wesentlich besser wuchs als
anderswo. Das legte den Gedanken nahe, den Graswuchs
unter dem Einfluß der genannten oralen Antidiabetika
unter die Lupe zu nehmen.
Die Firma Boehringer Mannheim war so freundlich, sowohl
genügend HB 419 - nämlich das spätere Euglucon N - als
auch Placebos zur Verfügung zu stellen, so daß sich
eine regelrechte randomisierte Doppelblindstudie
durchführen ließ.
Die Vermutung, wonach das Graswachstum unter Applikation
von HB 419 signifikant gesteigert werden kann, wurde voll
bestätigt. Eine Potenzierung der Wirkung zeigte sich bei
Simultangabe von Biguaniden, man konnte unter dieser
Therapie das Gras buchstäblich wachsen hören.
Die Kolleginnen und Kollegen von der tierärztlichen
Fakultät waren so freundlich, zwei Bergziegen namens
Eva-Maria und Anna-Magdalena zur Verfügung zu stellen,
um eine Toxizitätsprüfung vornehmen zu können. Diese
erwies sich als ausgesprochen sinnvoll, da beide Ziegen
nach reichlichem Genuß von saftigem Euglucongras
psychisch auffällig wurden: Sie hüpften unkoordiniert
herum und legten sich nieder, um alsbald wieder allerhand
Possen zu reißen. Es stellte sich bald heraus, daß sie
unterzuckerig waren, da die Dosis von 3,5 mg Glibenclamid
für Bergziegen zu hoch war.
Unter Semi-HB 419 traten die beobachteten Erscheinungen
nicht auf, so daß eine Dosis von 1,75 mg bei Bergziegen
zu empfehlen ist. Unterzuckerungen bei Bergziegen sind
durch eine Substitutionstherapie mit zarten
Löwenzahnblättern, als Salat zubereitet, leicht und
rasch beherrschbar.
Nach Verzehr von würzigem Semi-Euglucongras stieg die
Milchleistung der Geißen um 45 Prozent, wobei die Milch
geschmacklich und biochemisch einwandfrei war.
Zusammenfassung
Die Untersuchung ergab eine signifikante
Steigerung des Graswuchses bei gleichzeitiger Gabe von
Glibenclamid und Biguaniden.
Bergziegen neigen nach Genuß von Euglucongras zu
heftigen Unterzuckerungen die durch
Leontodontaraxacum-Salat leicht behebbar sind. Pro Geiß
empfiehlt sich eine Düngedosis von 1,75 mg Glibenclamid.
Dadurch kommt es zu einer enormen Steigerung der
täglichen Milchleistung um 45 Prozent, wobei eine in
jeder Hinsicht einwandfreie Geißenmilch gewonnen wird.
Ob und in welcher Weise orale Antidiabetika auch in der
Landwirtschaft flächendeckend und sinnvoll eingesetzt
werden können, bleibt weiteren Studien vorbehalten. Nach
Meinung des Verfassers ist die vorliegende Untersuchung
nicht nur ein Aprilscherz!
PZ-Artikel von Axel Kirn, München
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