Medizin
Strategien bei spastischen Störungen
Leidet ein Patient unter spastischen Bewegungsstörungen, ist der
Muskeltonus erhöht. Eine Behandlung mit Antispastika kann aber
problematisch sein, da oft gleichzeitig andere Muskelgruppen erschlafft
sind. Wann medikamentöse Therapie und wann Krankengymnastik sinnvoll
sind, war Gegenstand eines Pressegesprächs, das von der Firma Sanofi
Winthrop in Berlin initiiert wurde.
Sind beim passiven Bewegen oder Dehnen eines Muskels ein Widerstand oder eine
Steifigkeit zu spüren, dann ist das ein charakteristisches Zeichen für eine Spastik.
Ursachen der motorischen Störungen, so erklärte Professor Dr. Reiner Benecke von
der Klinik für Neurologie in Rostock, sind Schädigungen im zentralen
Nervensystem.
Das Spektrum der Bewegungsstörungen reicht von leichten Einschränkungen
bestimmter Bewegungsabläufe bis hin zu völliger Bettlägerigkeit. Es sei daher
außerordentlich wichtig, für jeden Patienten individuelle Behandlungsziele zu
formulieren, betonten Dr. Margit Cordero-d'A, niedergelassene Neurologin und
Psychologin aus Melle, und Professor Dr. Karl-Heinz Mauritz, Direktor der
Rehabilitationsklinik für Neurologie und Orthopädie der Freien Universität Berlin.
Entscheidend für die richtige Therapie ist die Frage, inwieweit neben den Spastiken
auch schlaffe Lähmungen (Paresen) festzustellen sind. Professor Dr. Michael
Schwarz von der Neurologischen Klinik der Technischen Hochschule in Aachen
erläuterte: Paresen seien eine Domäne der Krankengymnastik, wohingegen die
Plussymptomatik, also die spastische Tonuserhöhung, auch mit Medikamenten
behandelt werden könne. Die Übergänge sind fließend, und das Ausmaß der
jeweiligen Therapieform muß von Fall zu Fall entschieden werden. Würden
beispielsweise die Spastiken eines stark paretischen Patienten mit Medikamenten
behandelt, fehlte ihm möglicherweise der nötige Resttonus, um sich auf den Beinen
zu halten. Bei sehr schweren Spasmen kann es aber nötig sein, trotz starker Paresen
zunächst Medikamente einzusetzen, um der krankengymnastischen Betreuung den
Weg zu ebnen.
Ist eine medikamentöse Therapie indiziert, seien immer Tizanidin und Baclofen Mittel
der ersten Wahl, erklärte Benecke. Wirkstoffe der zweiten Wahl bei leichten bis
mittelschweren Spastiken sind Tetrazepam, Tolperison, Memantine und Dantrolen.
Bei schweren Spastiken werden Baclofen oder Tizanidin bis zur Höchstdosis
gegeben. Etabliert ist auch die Dauerapplikation von Baclofen über implantierte
Pumpsysteme direkt in den Rückenmarkskanal. Botulinustoxin vom Typ A wird bei
schweren Spastiken direkt in den Muskel injiziert. Diese Anwendung ist dann
sinnvoll, wenn die gezielte Relaxation einzelner Muskeln erwünscht ist.
Die Medikamente müssen in jedem Fall einschleichend, langsam und individuell
dosiert werden. Benecke empfahl, die Dosis alle vier Tage zu steigern. Die
Tagesdosis von Tizanidin liegt zwischen 12 und 36 mg, Baclofen wird zwischen 15
und 100 mg eingesetzt. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind Mundtrockenheit,
Sedierung, gastrointestinale Beschwerden und möglicherweise Halluzinationen. Bei
Tizanidin ist eine mögliche Blutdrucksenkung zu beachten. Standard ist die
Monotherapie. Doch sei jedes Medikament mit jedem kombinierbar, so Schwarz.
Er vermutet eine additive Wirkung, da die Wirkung der Antispastika an
verschiedenen Transmittersystemen und Membraneigenschaften der Nervenzellen
ansetzt.
PZ-Artikel von Stephanie Czajka, Berlin
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