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Laser lenkt Nervenzellwachstum

10.02.2003  00:00 Uhr

Laser lenkt Nervenzellwachstum

von Wolfgang Kappler, Homburg

Sind ganze Nervenbahnen durchtrennt, leiden die Betroffenen meist für den Rest ihres Lebens unter Lähmungen. Denn Nervenzellen finden nur äußerst selten wieder zueinander, um die Erregungsleitung zu sichern. Möglicherweise haben Biophysiker aus Leipzig jetzt ein brauchbares Verfahren entdeckt, Nervenzellen zum Zusammenwachsen zu stimulieren.

Allen Ehrlicher und Timo Betz gelang es, Nervenzellen von Mäusen und Ratten mit einem schwachen Titan-Saphirlaser „den Weg zu weisen“ und Einfluss auf das Auswachsen ihrer Axone zu nehmen. Einzelne Neurone haben die Wissenschaftler mit einem Laser auf einer Glasplatte so auf einen Zickzack-Kurs gezwungen.

Damit aus einem kleinen Haufen spezialisierter Zellen während des Heranwachsens ein denkendes, fühlendes, lernendes und steuerndes Gehirn entsteht, müssen 200 Milliarden Nervenzellen ein strukturiertes Netz bilden. Dazu bewegen sich die Neuronen gerichtet aufeinander zu, indem der Wachstumskegel an der Axonspitze seinen Weg anhand von chemischen Signalen sucht. „Vereinfacht gesprochen gibt es Signalstoffe, die der Wachstumskegel als angenehm empfindet und solche, die ihn abstoßen“, erklärt Timo Betz. Bei jeder minimalen Richtungsänderung wird dabei die Skelettstruktur der Zelle umgebaut. Der daraus resultierende Wechsel von Zug- und Druckkräften mündet in einer Bewegung der Zelle, beziehungsweise ihrer Teilstrukturen.

Dieser Vorgang lässt sich offensichtlich mit einem schwachen Titan-Saphirlaser beeinflussen. Auf den Wachstumskegel gerichtet, fördert er die Verkettung des Proteins Aktin, womit sich die Struktur des Zellskelettes ändert. Auf die linke Seite des nur acht Mikrometer großen Wachstumskegels gerichtet, bewegt sich das Axon nach links und umgekehrt.

Mit ihren kürzlich in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlichten Ergebnissen stehen Ehrlicher und Betz erst am Anfang. „Unser Hauptproblem ist derzeit, dass auf Grund der kurzen Überlebenszeit der Nervenzellen das gerichtete Wachstum nur über kurze Strecken möglich ist“, sagt Betz. Ein zweites Problem ist die richtige Energiedosierung des Lasers, denn die Forscher müssen eine Überhitzung der Wachstumskegel vermeiden. Die Leipziger Biophysiker wollen nun Methoden finden, um zunächst zwei Nervenzellen zusammenwachsen zu lassen. „Das wäre bereits ein großer Erfolg, denn wir wissen beispielsweise, dass es im Falle durchtrennter Nerven oft genügt, eine einzige Faser zu verbinden. Der Rest hangelt sich entlang dieses Weges“, so Betz.

Sollte sich das Verfahren als erfolgreich erweisen, könnte es auch zur Entwicklung von Netzhautimplantaten für Blinde nützlich sein. Dabei müssten Nervenzellen allerdings mit der Elektronik verwachsen. Zurzeit ist dies noch Zukunftsmusik.  Top

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