Pharmazeutische Zeitung online

Prionen auf Eroberungskurs

07.02.2005  00:00 Uhr
BSE-Forschung

Prionen auf Eroberungskurs

von Conny Becker, Berlin

Entgegen der landläufigen Meinung, die Erreger der als Rinderwahnsinn bekannten Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE) kämen nur in Gehirn, Rückenmark und lymphatischem System vor, können sich Prionen ­ zumindest bei Mäusen ­ auch in Leber, Niere oder Pankreas anhäufen. Schweizerische Forscher fanden heraus, dass eine Entzündung des entsprechenden Organs den Befall auslöst.

Nachdem die Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD) mit BSE in Verbindung gebracht wurde, galt es herauszufinden, welche Organe bei BSE-kranken Rindern mit Prionen infiziert sind und somit beim Verzehr eine Gefahr für den Menschen darstellen. Dazu wurden zum Beispiel Rinder mit Prionen gefüttert und in unterschiedlichen Zeitabständen getötet, um schließlich die Erregerkonzentrationen zu messen. Als Risikoorgane gelten demnach vor allem Gehirn und Rückenmark, aber auch die lymphatischen Organe Milz, Lymphknoten und Tonsillen. Gerade die hier angesiedelten Immunzellen scheinen für die Verbreitung der Erreger in andere Körperorgane verantwortlich zu sein, vermuteten Wissenschaftler von der Universität Zürich.

Das Team um Professor Dr. Adriano Aguzzi hatte bereits 2003 entdeckt, dass auch für ungefährlich gehaltenes Muskelfleisch pathologische Mengen von Prionen enthält. Nun untersuchten sie Mäuse, die an einem BSE-Pendant erkrankt waren, zusätzlich aber auch schwere Entzündungen der Leber, Niere oder Bauchspeicheldrüse aufwiesen. Bei diesen Tieren fanden die Wissenschaftler die krank machenden Proteine nicht mehr nur im Nerven- und Lymphgewebe, sondern auch in den jeweils entzündeten Organen. Dabei war die Erregermenge so hoch wie in einer infizierten Milz, berichten die Schweizer in der Online-Ausgabe des Fachmagazins Science (DOI: 10.1126/science.1106460).

Diese bisher unerkannt gebliebene Ausbreitung erklären die Prionenforscher mit der Immunantwort des Organismus: Bereits vor Jahren wurde entdeckt, dass so genannte follikulär dendritische Zellen und B-Lymphozyten für die Prionen-Vermehrung im Lymphgewebe verantwortlich sind. Kommt es nun zu einer Entzündung, wandern die Prionen mit Hilfe der Abwehrzellen in die betroffenen Organe und reichern sich dort massiv an.

Bislang beschränken sich diese Erkenntnisse allerdings auf Mäuse. »Ob und inwieweit dies auf lebensmittelliefernde Tiere übertragbar ist, muss geprüft werden«, sagte Dr. Irene Lukassowitz vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) gegenüber der PZ. Die Untersuchung habe neue Aspekte aufgezeigt, die nun verfolgt werden müssten. Für den Verbraucher sieht die BfR-Pressesprecherin dennoch keinen Grund zur Besorgnis. Schließlich würden Schlachtrinder ab einem Alter von zwei Jahren auf BSE getestet. Die Gefahr, dass ein jüngeres Tier bereits viele Erreger und zudem noch eine Entzündung etwa in der Leber aufweist, sei marginal. Darüber hinaus sei eine entzündete Leber in der Regel gut zu erkennen und würde somit nach der Fleischbeschau rückstandslos entsorgt. Und bisher sei in Deutschland noch kein Fall von vCJD aufgetreten. Lukassowitz stellte klar: »Derzeit werden wir keine neue Empfehlung für den Verzehr von tierischen Lebensmitteln geben.«

Erstmals Ziege an BSE erkrankt

Wie es scheint, erobern die Prionen aber nicht nur neue Organe, sondern auch neue Tierarten. Dass auch kleine Wiederkäuer experimentell mit BSE infiziert werden können, ist bekannt, jedoch gab es bislang keine Berichte über natürliche Infektionen. Vergangene Woche meldete nun die europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) den ersten Fall einer solchen natürlichen BSE-Infektion bei einer Ziege. Das Tier war in Frankreich bereits im Jahr 2002 positiv auf die BSE-verwandte Krankheit Scrapie getestet und daraufhin geschlachtet worden. Der bereits damals bestehende Verdacht auf eine BSE-Infektion konnte nun im englischen Referenzlabor bestätigt werden.

Diese neue Entwicklung sollte jedoch nicht allzu sehr beunruhigen, denn die Wissenschaftler vermuten, dass sich die Ziege über kontaminiertes Tiermehl infiziert hat. Das Tier wurde vor In-Kraft-Treten des Verbots, Tiermehl zu verfüttern, also vor Dezember 2000, geboren. Zudem gibt es auch nach Tests, die seit 2002 in Deutschland an mehr als 12.000 Ziegen durchgeführt wurden, keinen Hinweis auf eine Infektion, so das BfR. Zum jetzigen Zeitpunkt könne ein möglicherweise von Ziegenfleisch ausgehendes Risiko nicht bewertet werden. Die EFSA rechnet damit, entsprechende Empfehlungen bis Mitte Juli geben zu können.

Risiko für Übertragung ist gering

Mit der Frage, wie groß das Risiko einer BSE-Übertragung über Artgrenzen hinweg ist, beschäftigte sich auch ein französisches Team. Die Forscher wollten klären, wie viel BSE-infiziertes Material nötig ist, um bei dessen Genuss den Menschen zu infizieren. Dazu fütterten sie in einer kleinen Untersuchung zwei erwachsene Primaten mit 5 g Hirngewebe einer BSE-infizierten Kuh, woraufhin einer von ihnen ähnliche Symptome wie die der vCJD entwickelte. Auf Grund ihrer Ergebnisse rechnen die Forscher damit, dass ein Mensch mindestens 1,5 kg neurales Gewebe eines nicht als krank identifizierten Tieres essen müsste, um an vCJD zu erkranken.

Zwar bleibt die minimal infektiöse Dosis für Primaten weiterhin unbekannt, dennoch scheint das Risiko einer Übertragung von BSE von Rindern auf Primaten laut der Studie sieben- bis zwanzigmal niedriger zu liegen als innerhalb der Spezies Rind. Gegenüber dem Fachmagazin Lancet bezeichnete der Studienleiter die derzeitigen BSE-Screeningmaßnahmen in Kombination mit der Entfernung von Nervengewebe als effiziente Schutzmaßnahmen gegen eine Erkrankung. Top

© 2005 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa