Medizin
NO-Forschung: Strom neuer
Erkenntnisse
Mit NO-Donatoren stehen der
Medizin seit über 100 Jahren wichtige Pharmaka für die
Kardiologie zur Verfügung, auf die auch heute nicht
verzichtet werden kann. Und sie scheinen immer wichtiger
zu werden, wie bei einem von Pohl-Boskamp initiierten
Internationalen Expertentreffen in Hamburg deutlich
wurde. Ursache hierfür ist die Entdeckung des
Stickstoffmonoxids (NO). Rund 15000 wissenschaftliche
Arbeiten zur physiologischen und pathophysiologischen
Rolle dieses Transmitters sind in den letzten Jahren
publiziert worden.
Stickoxid wird in zahlreichen Körpergeweben und
vielen Zelltypen gebildet. In den Blutgefäßen sind dies
vor allem das Endothel und die Blutplättchen. Professor
Dr. Salvador Moncada, London, der in den 80er Jahren die
funktionelle Identität des hypothetischen
endothelium-derived releasing factors (EDRF) mit
Stickoxid entdeckte, erläuterte weitere physiologische
Erkenntnisse:
Alle NO-bildenden Zellen besitzen eine NO-Synthetase
(NOS). Das Enzym spaltet aus den terminalen
Guanidin-Stickstoffatomen von L-Arginin NO ab, übrig
bleibt L-Citrullin. Im Gefäßlumen bewirkt die
abluminale Freisetzung von NO eine Vasodilatation und
damit die meisten bekannten therapeutischen Effekte von
NO-Donatoren bei Angina pectoris, chronischer
Herzinsuffizienz oder Herzinfarkttherapie.
Wird die NO-Synthese gehemmt, kommt es unmittelbar zu
einer Vasokonstriktion und zu einem sofortigen
Blutdruckanstieg. Bekannt ist auch, daß NO vom Endothel
kontinuierlich gebildet wird. Dies bedeutet, so Moncada,
daß das L-Arginin-NO-System Grundlage eines fein
geregelten Vasodilatator-Tonus im Gefäßsystem ist.
Anders als Skelettmuskulatur, die basal einen
Kontraktions-Haltetonus aufweist, werden Gefäße also
physiologisch durch NO entspannt.
Die pathophysiologischen Konsequenzen sind mannigfaltig:
Die Ursache eines arteriellen Hypertonus könnte durch zu
geringe Gefäßrelaxation bei NO-Mangel, die Verengung
arteriosklerotisch geschädigter Gefäße durch
Beeinträchtigung der NO-Aktivität bedingt sein.
Tatsächlich weisen zahlreiche Untersuchungen der letzten
Jahre auf diese Möglichkeiten hin.
Wann ist Sport für Herzkreislauf-Patienten gut?
Nach Untersuchungen von Professor Dr. Jürgen
Frölich, Hannover, gibt es zahlreiche endogene und
exogene Einflüsse, die die endotheliale NO-Synthese
stimulieren können. Als wichtigsten physiologischen
Faktor identifizierte Frölich die Scherkräfte des
Blutes, die bei körperlicher Anstrengung zunehmen. So
führt körperliche Belastung dosisabhängig zu einer
verstärkten Ausscheidung von NO-Metaboliten mit dem
Urin. Damit gibt es eine Erklärung für die Frage, warum
körperliches Training bei arteriosklerotischen Patienten
vorteilhafte Auswirkungen hat: Die gesteigerte
NO-Synthese bei Sport hebt atherogene Einflüsse auf die
Gefäße auf oder kehrt sie sogar um.
Nitrat-Toleranz vermeidbar
Auch im klinischen Bereich der NO-Forschung hat
sich Neues ergeben. Am bedeutendsten für den klinischen
Alltag ist, daß sich durch Hochdosis-Einmalapplikation
von NO-Donatoren die früher gefürchtete Nitrat-Toleranz
sicher vermeiden läßt, ohne dabei therapeutische
Wirksamkeit zu verlieren. Auch asymmetrische
Einnahmeschemata haben diesen Effekt. Entscheidend ist in
jedem Fall eine Dosierung, die nitratfreie Intervalle
vorsieht (was bereits um die Jahrhundertwende
vorgeschlagen wurde). Nitratpflaster mit kontinuierlicher
Nitratabgabe seien deswegen unvorteilhaft, hieß es in
Hamburg, selbst wenn neue Studien zeigen, daß eine
kombinierte Nitrat-Hydralazin-Einnahme eine Toleranz
sogar rückgängig machen kann. Die Ursachen der
Nitrat-Toleranz sind weiterhin unklar.
Mittlerweile ist klar, daß die verschiedenen
NO-Donatoren unterschiedlich stark vasodilatativ und
antithrombotisch wirken. Herkömmliche Substanzen wie
Glyceroltrinitrat, ISDN, ISMN, Nitroprussid oder
Molsidomin haben erst bei hohen Dosen ausgeprägte
Effekte auf die Plättchenaggregation. Sie wirken also
erst antithrombotisch, wenn bereits eine signifikante
Blutdrucksenkung aufgrund der Vasodilatation eingetreten
ist. Dies ist jedoch nicht erwünscht, wenn
beispielsweise während einer Ballondilatation die
Thrombozytenaggregation vollständig gehemmt werden soll;
auch nicht bei bestimmten thrombotischen Syndromen. Hier
deutet sich an, so berichtete Moncada, daß mit neuen
NO-Donatoren aus seiner Arbeitsgruppe eine vollständige
Thrombozytenaggregationshemmnung möglich sein wird, ohne
den Blutdruck zu verändern.
Bei dem Expertensymposium wurde deutlich, daß bei der
Auswahl der "goldenen drei Medikamente für die
Insel" auf jeden Fall ASS und ein NO-Donator
gehören, zumal Nitrate auch bei vielen anderen
Indikationen (Koliken, hypertensive Krise, erektile
Dysfunktion, Asthma, Hörsturz et cetera) verwendet
werden.
PZ-Artikel von Rainer H. Bubenzer, Hamburg
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