Medizin
Qualitätssiegel für
Tinnitustherapie gefordert
Bei Hörsturz und akutem Tinnitus
sind die besten Heilungschancen durch einen sofortigen
Therapiebeginn gegeben. Zur Revitalisierung der
Haarzellen im Innenohr kommt neben der Infusionstherapie
beispielsweise mit Hydroxyethylstärke die Hyperbare
Sauerstofftherapie (HBO) zum Einsatz. Nach vergeblicher
Akutbehandlung, also nach drei bis sechs Monaten
chronischem Tinnitus, muß die Therapie auf die Linderung
des Leidens konzentriert werden, sagte der Vorsitzende
der Deutschen Tinnitus-Liga, Hans Knör, Wuppertal, Ende
des letzten Jahres beim 4. Bad Meinberger
Tinnitus-Symposium.
Bei sofortiger Anwendung der HBO können die
Symptome zurückgedrängt werden, informierte Dr. Ulrich
van Laak, Kiel. Er schreibt der HBO eine verbesserte
Sauerstoffversorgung der Gewebe, Blutersatzwirkung und
Stoffwechselnormalisierung zu. Keine Indikation bestehe
jedoch mehr für chronische Innenohrprobleme, führte der
Referent aus. Außerdem betonte er, daß es in
Deutschland mit etwa 100 Druckkammern - "hochgezogen
am Tinnituspatienten" - zu viele Einrichtungen gebe.
Van Laak beklagte die mangelnde Qualitätskontrolle der
Druckkammern sowie die Tatsache, daß es neben
zahlreichen Fallbeschreibungen nur wenige klinische
Studien, jedoch viele theoretische Indikationen für die
HBO gibt. Der Einsatz bei chronischem Tinnitus sei
schulmedizinisch umstritten und international nicht
anerkannt. Zu konstatieren seien Widerstände der
Medizinischen Dienste der Krankenkassen und ein Rückzug
der Kostenträger bei dieser Indikation.
Neu: Retraining-Therapie
Als erfolgversprechend bezeichnete Dr. Gerhard
Hesse, Arolsen, die Retraining-Therapie nach Jastreboff
und Hazell. Die Therapie sei eine Kombination aus
intensiver Beratung und Information des Patienten, um der
Ursache des Tinnitus auf den Grund zu gehen, und eine
begleitende, lang andauernde Stimulation mit weißem
Rauschen geringer Intensität über Hörgeräte oder
Tinnitusmasker. Die Ohrgeräusche würden dadurch
maskiert. Neben der apparativen Maskierung erlernt der
Patient Entspannungstechniken und kognitive
Therapiemaßnahmen, die dem Patienten die Angst vor der
Bedrohung durch die Krankheit nehmen sollen. Sinnvoller
"behandlungsbegleitender Faktor" bei
chronischem Tinnitus ist nach Martin Kusatz, Essen, die
Musiktherapie. Sie bringe Vorteile beim Erleben der
Symptomatik.
"Qualitätssiegel für Behandlungsverfahren forderte
Dr. Gerhard Goebel, Prien. Er betonte, daß
beispielsweise mehrere Studien gegen die Wirkung der in
der Boulevardpresse so oft gepriesenen Laser-Gingko- oder
der Magnetfeldtherapie sprechen. Die statistisch
signifikante Wirksamkeit ambulanter, kognitiv-
verhaltenstherapeutischer Ansätze sei belegt und könne
dazu beitragen, daß das Leiden erträglich wird.
Bis zu 45 Prozent der Menschen in Industrienationen haben
irgendwann im Leben Ohrgeräusche ohne äußere Ursache.
Etwa acht Prozent sind von einem chronischen Ohrgeräusch
betroffen. Bei etwa einem Prozent der Erwachsenen hat der
Tinnitus den Stellenwert einer eigenständigen Erkrankung
mit einschneidenden Beeinträchtigungen der
Lebensqualität wie Konzentrations- und Schlafstörungen
oder Depressionen.
PZ-Artikel von Christiane Berg, Bad Meinberg
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