Medizin
Malariaforscher knacken den
Plasmodienpanzer
Der Malariaerreger läßt sich
möglicherweise mit einem molekularen Trick aushungern.
Im Mittelpunkt der Forschung steht dabei die
Lactatdehydrogenase (LDH), ein für die zelluläre
Energiegewinnung aus Glucose essentielles Enzym.
Britische Biochemiker haben in der Molekularstruktur der
LDH des Malariaerregers Plasmodium falciparum eine
charakteristische Mulde" identifiziert. Diese
Aushöhlung könnte Anlaufstelle für maßgeschneiderte
Arzneistoffe sein, zitiert das Wissenschaftsmagazin
New Scientist" in seiner Ausgabe vom 16.
November 1996 den Forschungsleiter Leo Brady. Das Enzym
würde damit gezielt lahm gelegt, der Parasit könnte
keine Energie mehr gewinnen und würde verhungern.
Malaria ist die am weitesten verbreitete
Protozoenerkrankung und außerdem eine der bedeutsamsten
Infektionskrankheiten überhaupt. Nach Schätzungen der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkranken jährlich 300
bis 500 Millionen Menschen an Malaria. Zwei bis drei
Millionen sterben pro Jahr an der schwersten Form, der
Malaria tropica mit dem Auslöser Plasmodium falciparum.
Die Zahlen werden steigen. Auf dem diesjährigen
UN-Klimagipfel in Genf hat die WHO prognostiziert, daß
sich die Krankheit aufgrund der Klimaerwärmung auch in
Europa ausbreiten wird. So wird es beispielsweise in
Italien, Spanien und Griechenland zu
Plasmodien-Infektionen kommen. Die WHO rechnet mit 60 bis
80 Millionen zusätzlichen Maleriafällen pro Jahr.
Für die Ausbreitung der Malaria wird aber nicht nur das
Klima verantwortlich gemacht: Fernreisen werden immer
beliebter, die Sonne über dem Amazonas oder Bali wird
immer billiger. Nicht selten bringen zurückkehrende
Touristen neben Souvenirs und einem ausgiebigen
Sonnenbrand auch eine Plasmodieninfektion nach Europa
mit. Erschwert wird die Situation noch durch die
zunehmende Resistenz des Erregers gegen viele
prophylaktisch einzusetzende Arzneistoffe. Besonders die
Zahl der Malaria-tropica-Fälle hat deshalb in den
vergangenen Jahren überproportional zugenommen.
Die Malariaforschung hängt am Tropf. Immer mehr
internationale Pharmafirmen ziehen sich aus ihr zurück,
wie der Infodienst Reisemedizin aktuell des
Centrums für Reisemedizin meldete. Die Länder, die
einen wirksamen Schutz am nötigsten hätten, können die
hohen Entwicklungskosten nicht bezahlen. Auch die
Impfstoffhoffnung SPf 66, vor zwei Jahren noch mit dem
Robert-Koch-Preis ausgezeichnet, ist im Flaschenhals der
Forschung steckengeblieben. Die Vakzine hat ihre jüngste
Bewährungsprobe, eine placebokontrollierte
Doppelblindstudie in Thailand, nicht bestanden. Die
Ergebnisse wurden im September im Lancet publiziert. Die
mittlere protektive Wirksamkeit der Vakzine war bei den
Geimpften 9 Prozent schlechter als bei der Placebogruppe.
LDH mit Leck
Die Entdeckung der britischen Forschergruppe von
der Universität in Bristol verleiht der Malariaforschung
frischen Wind. Das wurde höchste Zeit, denn auch bei der
chemotherapeutischen Behandlung der Infektion treten die
malariatreuen Wissenschaftler seit einiger Zeit auf der
Stelle. Die Medikamente greifen in die verschiedenen
Entwicklungsstadien des Malariaparasits ein; der Erreger
selbst und sein Infektionsmodus sind bisher jedoch
unzugänglich wie ein Panzer. Die Aushöhlung in der
Parasiten-LDH könnte ein Ansatzpunkt sein, den Panzer zu
knacken.
Zugegeben: Auf den ersten Blick erscheint die
Lactatdehydrogenase nicht gerade als das geeignete
Zielmolekül, um mit Arzneistoffen die Plasmodien
attackieren zu können. Auch der menschliche Organismus
ist nämlich auf die LDH angewiesen, um Energie zu
gewinnen. Dort existiert sie in fünf Isoformen, deren
Verteilung organspezifisch ist. Die LDH-Ausführungen im
menschlichen Organismus unterscheiden sich alle von der
Plasmodium-LDH.
Schlüssel-Schloß-Prinzip ausnutzen
Genau diesen Unterschied wollen sich die
britischen Forscher jetzt zunutze machen. Mit der
Röntgenstrahl-Strukturanalyse haben sie den
dreidimensionalen Aufbau der Parasiten-LDH bestimmt.
Dabei sind sie auf eine Furche gestoßen, die nur beim
Protozoon vorkommt. Sie ist zehn Atome lang, fünf Atome
breit und acht Atome tief und sitzt in unmittelbarer
Nähe des katalytischen Zentrums. Ein Arzneistoff, der in
diese Mulde wie der Schlüssel ins Schloß paßt, könnte
die Reaktivität des Enzyms ausbremsen. Eine Substanz ist
bereits gefunden: Gossypol aus Baumwollsamenöl.
Gossypol inhibiert die Protozoen-LDH vierzigmal stärker
als die menschliche LDH. Ob der LDH-Inhibitor auch in
vivo Aktivität zeigt, wurde noch nicht getestet.
Computermodelle haben gezeigt, daß der Wirkstoff die
Grube neben dem katalytischen Zentrum als Andock-Stelle
nutzt, um sich an das Enzym anzuheften. Die Mulde muß
also eine Struktur haben, die der des Gossypols genau
komplementär ist. Die Wissenschaftler versuchen nun, die
Struktur der Substanz mit Molecular Modelling so
abzuwandeln, daß die Affinität zur Plasmodien-LDH
erhöht wird und das menschliche Enzym weitgehend
unberührt bleibt. Der Pferdefuß von Gossypol: Es
beeinträchtigt den Stoffwechsel menschlicher Spermien
und wird deshalb als Ausgangssubstanz für eine
Pille für den Mann" gehandelt.
Der Überlebenstaktik der Parasiten auf die Schliche
gekommen
Wer forscht, darf nicht in Einbahnstraßen
denken. Ideenreichtum ist gefragt. Wie unterschiedlich
Forschungsansätze sein können, zeigt der Vergleich mit
einem Bericht in Science vom Januar dieses Jahres.
Während die britische Arbeitsgruppe die Mücke selbst
unter die Lupe nahm, verfolgten amerikanische
Wissenschaftler einzelne Stationen von Plasmodium
falciparum im menschlichen Blutkreislauf und kamen der
Überlebensstrategie der Parasiten ein Stück näher. Die
Plasmodien besetzen die Erythrozyten, indem sie das Häm
des Hämoglobins zerstören. Häm ist für den
Sauerstofftransport verantwortlich. Die Zerstörung wird
eingeleitet, indem die Plasmodien Häm zu Hämozoin
polymerisieren. Hämozoin ist eine unlösliche
kristalline Verbindung. Einmal begonnen, katalysiert sich
der Prozeß selbst. Den Auslöser dieser Kettenreaktion
kannte man bisher nicht.
Die Forschergruppe konnte den Initiator nachweisen:
histidinreiche Proteine (HRPs). Sie haben
Hämopolymeraseaktivität. Die HRPs sitzen in den
Vakuolen der Plasmodien, werden von diesen in das
Erythrozytencytosol des Menschen sezerniert und dann
gemeinsam mit Hämoglobin in die Vakuolen der
Erythrozyten gespült. Hämoglobin wird nun proteolytisch
gespalten. die HRPs docken an das freie Häm an und
Hämozoin fällt aus.
PZ-Artikel von Elke Wolf, Oberursel
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