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Die Zukunft von Robo-Doc

19.11.2001  00:00 Uhr

Die Zukunft von Robo-Doc

von Ulrike Wagner, Bonn

Computer halten inzwischen mit Siebenmeilenstiefeln Einzug in die Medizin. Mit ihrer Hilfe lassen sich durch Computertomografie oder Magnetresonanz gewonnene Bilder der Patienten in dreidimensionale Modelle umwandeln, die neue Einblicke in den Körper liefern. Prototypen von Operationsrobotern sind auch in deutschen Kliniken bereits im Einsatz. Über die Zukunft der computergestützten Medizin diskutierten Wissenschaftler anlässlich des dritten Caesariums, veranstaltet vom Forschungszentrum Caesar.

Der Chirurg sitzt an einer Art Playstation. Seine Finger sind per Klettverschluss an Joysticks fixiert, die jedoch kein Computerspiel bedienen, sondern chirurgische Instrumente. Die wiederum stecken im Bauchraum eines Patienten, der einige Meter entfernt auf dem OP-Tisch liegt. Konzentriert beobachtet der Arzt den Bildschirm, auf den ein Endoskop Bilder von der Leber übermittelt. Ein angeschlossener Computer vergleicht die erhobenen Daten mit der zuvor anhand von Magnetresonanz-Bildern erstellten Operationsplanung. Zukunftsmusik? In einigen Operationssälen weltweit wird heute schon per Fernsteuerung (Telemanipulation) operiert - zum Nutzen des Patienten. Denn ihm erspart es zum Beispiel die Öffnung des Bauchraumes und lange Operationszeiten.

Noch einen Schritt weiter gehen Operationsroboter - Chirurgen legen dabei gar keine Hand mehr an, die Geräte operieren vollautomatisch. Arbeitsgebiete für die Robo-Docs gibt es viele: Für etwa 50 Prozent der chirurgischen Eingriffe würden sich Robotersysteme eignen, die ihren menschlichen Kollegen einiges voraus haben. Sie arbeiten genauer, meist minimal invasiv und Ermüdungserscheinungen sind ihnen auch nach achtstündigen Operationen fremd.

Kaum etabliert

Aber der Einzug der intelligenten Maschinen in die Kliniken war längst nicht so triumphal, wie Befürworter der Technik vor zehn Jahren hofften. Chirurgen überlassen nur ungern einer Maschine die eigentliche Arbeit, erklärte Professor Dr. Tim C. Lüth von der Charité, Berlin. Zudem seien die bisher kommerziell erhältlichen Systeme zu groß, zu teuer und wenig ergonomisch. Die Roboter der ersten Generation würden daher bereits wieder aus den OPs verschwinden - ein herber Rückschlag für die Technologie insgesamt.

Kleine, einfach zu bedienende, innovative Roboter für die tägliche chirurgische Arbeit fehlten jedoch noch immer. Nur für Kieferimplantate würden derzeit zunehmend Roboter eingesetzt, sagte Lüth.

Viele Experten kommen von den vollautomatischen Systemen ab, denn diese Roboter sind zudem sehr teuer. So entwickeln die Berliner Wissenschaftler Assistenzsysteme, die der Arzt zwar führt, deren Instrumente aber interaktiv von Rechnern kontrolliert werden (CAS = Computer assisted Surgery). Wenn der Chirurg Gefahr läuft, bei einer Knieoperation die Bänder zu schädigen, zeigt der Roboter ihm dies an, weil das Gerät präoperativ ermittelte Daten mit denen während der Operation vergleicht und so rechtzeitig warnen kann.

Knieprothesen können mit einem solchen computergestützten System viel genauer eingepasst werden als per Hand. Der Computer errechnet mit Hilfe von vor der Operation erhobenen Bilddaten, wieviel vom Knochen abgetragen werden muss und kontrolliert die Operation, erklärte Professor Dr. Brian Davies vom Imperial College of Science Technology and Medicine, London. Die viel besser passenden Prothesen ersparen den Patienten oft Schmerzen. Ein weiterer Vorteil der assistierenden Computer ist ihr niedriger Preis im Vergleich zu vollautomatischen Robotern.

Modell aus Kunstharz

Besonders in der plastischen Chirurgie wird inzwischen ein als Rapid Prototyping bezeichnetes Verfahren eingesetzt, das ursprünglich aus der Industrie stammt. Per Computertomographie entstehen dabei zunächst Aufnahmen der Schädelknochen. Ein Laser konstruiert dann aus Kunststoffharz ein durchsichtiges dreidimensionales Modell. Dadurch ist für jeden Patienten eine individualisierte Operationsplanung möglich, erklärte Professor Dr. Florian Zeilhofer von der Klinik und Poliklinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie vom Klinikum rechts der Isar, München.

Mit Hilfe des Modells planen und üben die Chirurgen den Eingriff mit denselben Instrumenten, die später bei der Operation zum Einsatz kommen. In München wurden nach dieser Methode bereits 360 Patienten operiert. Die Betroffenen litten an starken Deformationen des Schädels oder des Unterkiefers, die entweder angeboren waren, durch Verletzungen oder durch Tumore entstanden. Ein Vorteil der Methode ist, dass der Chirurg auch die gesunde Seite betrachten kann, die er während der Operation nicht sieht.

Fehlen zum Beispiel große Teile des Unterkiefers, muss dafür Ersatz eingefügt werden. Dieser kommt meist aus dem Hüftknochen. Zeilhofer stellte eine Methode vor, um die optimale Entnahmestelle für den Knochen zu finden. Am Rechner wird dafür die gesunde Hälfte eines Kieferknochens auf die kranke gespiegelt. Dadurch kann der Chirurg das virtuelle Modell eines Implantats berechnen, das den Defekt beheben soll. Der Rechner vergleicht dann das Modell-Implantat mit einem Computer-Modell des Hüftknochens, das anhand der Bilddaten des Patienten entwickelt wurde. So ist es möglich, die Stelle am Hüftknochen zu finden, die dem errechneten Implantat am besten entspricht, und dessen Knochenstruktur sich für den Eingriff eignet. Dadurch kann der Chirurg anschließend den Knochen passgenau entnehmen. Bislang schnitten die Ärzte ein entsprechendes Stück großzügig aus dem Hüftknochen heraus und trimmten es erst während der Operation so lange zurecht, bis es passte.

Das Lächeln testen

Ein Nachteil des Rapid-Prototyping-Modells sind die hohen Kosten. Für das Gesundheitswesen würde ein solcher Eingriff im Vergleich zu den Standardmethoden jedoch insgesamt günstiger, sagte Zeilhofer. Ohne das durchsichtige Kunstharzmodell sind mehrere Einzeloperationen nötig, und die Operationszeit selbst wird durch die neue Methode verkürzt, weil die eingefügten Implantate genau passen. Andere Nachteile des Systems: Weiche Gewebe können nicht dargestellt werden, und der Chirurg kann die Operation am Modell nur ein einziges Mal üben. Abhilfe könnten hier virtuelle Modelle schaffen. Damit könnten die Ärzte dem Patienten auch vorführen, wie er nach der Operation aussehen wird. Zudem könnten sie die Funktion nach einem Eingriff testen, zum Beispiel wie danach ein Lächeln aussieht.

Auch das Tissue Engineering soll in Zukunft in der plastischen Chirurgie eingesetzt werden. So könnte man mit Hilfe des Rapid Prototyping fehlende Strukturen in Form einer Matrix vorgeben und sie mit körpereigenen Zellen besiedeln. "Das wäre ein ideales Implantat, das die Medizin revolutionieren wird", hofft Zeilhofer. Angewandt wird diese Methode jedoch noch nicht.

Ein Problem bei allen Modellen sind die bildgebenden Systeme, aus deren Daten ein dreidimensionales Modell hergestellt werden soll. Bei den kommerziell erhältlichen Methoden dauert die Aufzeichnung der Daten zu lange, um unwillkürliche Bewegungen des Patienten auszuschließen. Mit dem Einsatz von Hologrammen will eine Arbeitsgruppe der Stiftung Caesar dieses Problem umgehen. Vorteil der Methode: Die Aufnahme selbst dauert per Laser nur 20 ns und ist bei Tageslicht möglich. Erst in einem zweiten Schritt wird dann das Hologramm rekonstruiert, erklärte Professor Dr. Peter Hering. Unwillkürliche Bewegungen spielen bei solch kurzen Aufnahmezeiten keine Rolle. Top

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