Akupunktur punktet in Studien |
01.11.2004 00:00 Uhr |
Selten präsentieren Studienleiter ihre Ergebnisse so gelöst, wenn Studienziele nicht erfüllt wurden: In den so genannten gerac-Studien half auch eine vermeintlich unwirksame Akupunkturmethode den Schmerzpatienten und die traditionelle Akupunktur war der Standardtherapie nicht wie erwartet gleichwertig, sondern deutlich überlegen.
Akupunktur wird bisher häufig als fernöstliche Methode abgetan, zu der vor allem chronisch Kranke greifen, wenn ihnen sonst nichts mehr hilft. Auf Grund mangelnder Evidenz für die Wirksamkeit der Nadelung ist sie nicht im Regelleistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen enthalten. Dies könnte sich aber schon nächstes Frühjahr ändern, da nun dem Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die Ergebnisse der vier randomisierten kontrollierten gerac-Studien (German Acupuncture Trials) vorliegen.
Die gerac-Studien untersuchten die langfristige Wirksamkeit einer Traditionell Chinesischen Akupunktur, einer konventionellen Standardtherapie und einer für die Studien entwickelten, vermeintlich unwirksamen Sham-Akupunktur. Niedergelassene Ärzte mit einer Akupunkturausbildung von mindestens 140 Stunden behandelten jeweils etwa 1000 Patienten mit chronischem Kreuzschmerz, Kniegelenksverschleiß, Migräne oder Spannungskopfschmerz. Dabei erhielten die Schmerzgeplagten zehn Akupunkturanwendungen oder die Standardtherapie innerhalb von sechs Wochen, bei Bedarf weitere fünf Behandlungen über insgesamt zwölf Wochen. Um den Effekt der persönlichen Zuwendung anzugleichen, passten die Studiendesigner deren Ausmaß in allen drei Armen an: In der Standardtherapiegruppe erhielten die Patienten zehn oder 15 zusätzliche Behandlungen wie Krankengymnastik, Massage oder Gesprächstherapie.
Danach schloss sich eine sechsmonatige behandlungsfreie Zeit an. Falls erforderlich, waren auch den Akupunkturpatienten Schmerzmittel bis zu einem definierten Höchstmaß erlaubt, Zusatztherapien wie Spritzen oder Krankengymnastik (bei Kreuzschmerz) jedoch nicht. Nach 1,5, drei und sechs Monaten wurden die Patienten in einem Telefoninterview von Personen befragt, denen die Art der Therapie nicht bekannt war.
Nadeln helfen geplagten Rücken
In der Teilstudie mit 1162 Kreuzschmerz-Patienten galt die Therapie als erfolgreich, wenn sie drei Schmerzparameter des Van Korff Schmerz Score um 33 Prozent und/oder die Funktion nach dem Hannover Functional Ability Questionaire um 12 Prozent verbesserte. Hier brachte die TCM-Akupunktur 47,6 Prozent der Behandelten den gewünschten Erfolg, die Standardtherapie gemäß den Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hingegen lediglich 27,4 Prozent. „Eine Therapie, die der Standardtherapie um 20 Prozentpunkte überlegen ist, findet man in der Klinik sehr selten“, sagte der Studienleiter Privatdozent Dr. Michael Haake auf einer Pressekonferenz der Ruhr-Universität Bochum in Berlin.
Noch mehr überraschten jedoch die Ergebnisse in der Gruppe mit Sham-Akupunktur: Diese erfüllte die Zielparameter bei 44,2 Prozent der Behandelten und war der Standardtherapie damit ebenfalls signifikant überlegen. „Der über sechs Monate nachweisbare Effekt von Akupunktur führte zu einem geringeren Verbrauch an Medikamenten und weiteren Therapieformen im Nachuntersuchungszeitraum als unter Standardtherapie“, berichtete der Studienleiter von der Universität Regensburg und bezeichnete dies als weiteren Vorteil der Nadel-Anwendung. Dabei traten unter der Akupunktur keine schwer wiegenden Nebenwirkungen auf. Weitere Daten zu unerwünschten Wirkungen soll die begleitende Kohortenstudie mit mehr als einer Million Patienten liefern.
Auch die Zwischenergebnisse zur Gonarthrose bestätigen die positiven Trends, so Professor Dr. Hanns-Peter Scharf von der Universität Mannheim. In dieser Teilstudie erhielten alle drei Gruppen (n=1039) zusätzlich Physiotherapie und auch in den Akupunkturgruppen war eine begrenzt Begleittherapie mit einem NSAR erlaubt. Endpunkt war eine 36-prozentige Verbesserung des WOMAC genannten Schmerz- und Funktionsscores (Western Ontario and McMasters University Osteoarthritis Index). Nach den Drei-Monats-Ergebnissen erreichten unter Verum-Akupunktur 51 Prozent, unter Sham-Akupunktur 48 Prozent der Patienten das Zielkriterium, wohingegen die konservative Standardtherapie nur 28 Prozent der Patienten eine solche Linderung bescherte. „Auf Grund der Ergebnisse haben TCM- und Sham-Akupunktur eine Berechtigung als Bestandteil der multimodalen Behandlung“, resümierte der Orthopäde.
Wirksame Placebo-Stiche
Warum Verum- und Sham-Akupunktur in den von AOK, BKK, IKK, Bundesknappschaft, Landwirtschaftliche Sozialversicherung sowie der Seekrankenkasse unterstützen Studien nahezu gleich effektiv waren, konnten die gerac-Experten nicht erklären. Zwar setzten die behandelnden Ärzte die vermeintlichen Placebo-Nadeln in den selben Körperregionen, jedoch nicht an chinesischen Median-Akupunkturpunkten, womit sie eigentlich keine so große Wirkung hätten erzielen dürften. Ganz ähnliche Ergebnisse lieferte bereits ein von der Techniker Krankenkasse unterstütztes Projekt, was darauf hindeutet, dass vor allem der Stich und weniger der Ort entscheidet.
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