Medizin
Viele Segnungen, aber auch viele
Gefahren
Serie Human Genome Project
Die vollständige Erforschung des
menschlichen Genoms wird der Gesellschaft großen Nutzen
bringen. Immer wieder werden die bereits verfügbaren
Segnungen der Gentechnik, wie rekombinant hergestelltes
Insulin oder Erythropoietin, zitiert. Dennoch liegen
ethische, soziale und juristische Probleme so sehr auf
der Hand, daß die Human Genome Organisation (HUGO) ein
eigenes Komitee damit beauftragt hat, die
wissenschaftliche Forschung mit einer Analyse dieser
Probleme präventiv zu begleiten.
Die wesentlichen Bedenken des Komitees
formulierte seine Vorsitzende B.M. Knoppers beim Human
Genome Meeting in Heidelberg:
O Diskriminierung von Individuen oder Gruppen aufgrund
genetischer Daten bis hin zur Förderung rassistischer
Tendenzen,
O Reduktion sozialer und anderer Probleme auf genetische
Ursachen,
O Behinderung der Forschung durch Patentierung und
Kommerzialisierung genetischer Entdeckungen,
O mangelnder Respekt für Werte, Traditionen und
Unantastbarkeit von Individuen, Familien und Populationen
bei der Erforschung von deren Genom sowie
O mangelnder Austausch von Wissenschaftlern mit der
Öffentlichkeit bei Planung und Durchführung genetischer
Forschung.
Besonders große Probleme können sich aus der Diagnose
genetisch bedingter Krankheiten ergeben. Bei
Mukoviszidose oder familiärer Disposition zu Brustkrebs
existieren so viele Mutationen in den betreffenden Genen,
daß nicht alle untersucht werden können. Eine sichere
Diagnose ist deshalb in einigen Fällen nicht möglich.
An der Chorea Huntington erkranken die Betroffenen etwa
ab dem vierzigsten Lebensjahr, viele von ihnen haben dann
bereits Kinder. Soll man bei diesen einen genetischen
Test durchführen, ohne eine Behandlungsmöglichkeit zu
haben? Die International Huntington Federation of
Neurology hat sich entschieden dagegen ausgesprochen.
Nach Ansicht von HUGO dürfen auch Versicherungen
keinesfalls Zugang zu genetischen Informationen über
ihre Versicherten erhalten. Gesetzlich ist dieses Problem
noch nicht geregelt.
Weiteren sozialen Sprengsatz birgt die Möglichkeit, eine
genetisch bedingte Anfälligkeit gegenüber bestimmten
Belastungen am Arbeitsplatz zu analysieren. Unter
Aspekten des Arbeitsschutzes wäre dies sicher positiv zu
beurteilen. Denkbar ist jedoch auch, daß Arbeitnehmer
nach ihrer Resistenz gegenüber bestimmten Noxen
ausgewählt werden und gleichzeitig die
Schutzbestimmungen gelockert werden.
HUGO-Wissenschaftler kritisieren außerdem die Tendenz
von Firmen, prophylaktisch jedes entdeckte Stückchen DNA
zum Patent anzumelden, um sich mögliche kommerzielle
Vorteile frühzeitig zu sichern. Damit, so die HUGO,
werde zum einen die Forschung mit diesen Sequenzen
blockiert, zum anderen sei die bloße Isolierung
beliebiger Stücke ein Kinderspiel verglichen mit der
nachfolgenden Funktionsanalyse der betreffenden Gene.
Erst diese Arbeiten ermöglichten eine medizinische
Nutzung und rechtfertigten einen Patentschutz.
PZ-Artikel von Josef Gulden, Grafrath
© 1996 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de