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Pilzsammeln nach Plan

22.08.2005  00:00 Uhr

Pilzsammeln nach Plan

von Sven Siebenand, Eschborn

Im Spätsommer ­ nach ein paar Tagen mit Temperaturen über 20 Grad und Regen ­ haben Pfifferling, Champignon und Co beste Wachstumsbedingungen. Vor dem Gang »in die Pilze« sollten sich Sammler aber gut mit Unterscheidungsmerkmalen vertraut machen, damit in den Körben und Kochtöpfen nicht die teilweise tödlich giftigen Doppelgänger schmackhafter Pilze landen.

Gefährlich klingende Namen wie Grünblättriger Schwefelkopf, Blutroter Hautkopf und Violetter Rötelritterling lassen nicht unbedingt auf die Giftigkeit eines Pilzes schließen. Rund 500 bis 800 der etwa 5000 in Mitteleuropa heimischen Pilze sind essbar. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sind mehr als 100 Pilze giftig oder zumindest giftverdächtig. Meist verursachen sie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Im Extremfall kann ihr Verzehr aber auch tödlich enden. Wegen seiner Ähnlichkeit zum braunen Waldchampignon (Agaricus silvaticus) ist der Grüne Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) für etwa neun von zehn tödlich verlaufenden Pilzvergiftungen verantwortlich. Nur Kenner können den Speisepilz von seinem giftigen Doppelgänger eindeutig unterscheiden. Anfang des Monats warnte das sächsische Gesundheitsministerium zudem vor einer nahezu unbekannten weißhütigen Variante, die in Mitteleuropa sehr selten und wegen ihrer untypischen Farbe selbst für Experten nur sehr schwer zu erkennen ist.

Amatoxine schädigen die Leber

Die Giftstoffe der Grünen Knollenblätterpilze sind hitze- und proteolysestabile Amatoxine. Sie hemmen die RNA-Polymerase und blockieren somit die Proteinbiosynthese der Zellen. Die letale Dosis beträgt für den Menschen circa 5 bis 7 mg Amatoxine, das heißt, der Verzehr eines Knollenblätterpilzes kann bereits tödlich sein. Besonders tückisch ist, dass erst sechs bis 24 Stunden nach Genuss der Pilzmahlzeit Beschwerden wie choleraartiger Brechdurchfall und Koliken auftreten. Nach ein bis zwei Tagen lassen die Krämpfe nach und während einer kurzen Latenzphase tritt Besserung ein. Am dritten Tag werden die Beschwerden dann wieder deutlich stärker. Zu diesem Zeitpunkt hat das Gift bereits erste Organe geschädigt. Lebernekrose und Zerstörung der Nierentubuli sind typische Anzeichen. Unbehandelt führt die Vergiftung nach etwa einer Woche zum Leberkoma und Tod.

Der Weiße Knollenblätterpilz (Amanita virosa, Amanita verna) ist ebenso giftig wie sein grüner Verwandter und leicht mit dem Anischampignon (Agaricus arvensis) und dem Wiesenchampignon (Agaricus campestris) zu verwechseln. Unterscheiden lässt er sich vom Speisechampignon durch weiße Lamellen (beim Champignon blassrosa bis schokoladenbraun) und eine lappige Scheide an der Stielbasis.

 

Tipps für Hobbysammler
  • Nur Pilze sammeln, die man sicher erkennt.
  • Keine verdorbenen Pilze sammeln und essen (Vorsicht bei Regenwetter) und sehr junge Pilze stehen lassen.
  • Speisepilze tief unten abschneiden oder herausdrehen, nicht ausreißen.
  • Zur Identifizierung Pilze vorsichtig aus ihrem Substrat (Erde, Holz) herausdrehen, um eventuell wichtige Erkennungsmerkmale nicht zu zerstören.
  • Im Zweifelsfall Lamellenpilze stehen lassen. Bei Röhrenpilzen gibt es nur einen tödlich giftigen Vertreter, den Satanspilz.
  • Seltene Arten schonen, auch wenn es sich um giftige handelt.
  • Im Zweifelsfall Pilzexperten zur Begutachtung der Pilze heranziehen.
  • Pilze nie in Plastiktüten oder anderen luftdichten Behältnissen sammeln, sondern in luftdurchlässigen Gefäßen wie Körben. (Bei gekauften Pilzen Folie schnell öffnen.)
  • Pilze nach dem Sammeln kühl lagern, da sie leicht verderblich sind und eine bakteriell bedingte Lebensmittelvergiftung verursachen können.
  • Pilze sind schwer verdaulich. Deshalb sollten sie gut zerkleinert und zerkaut werden.
  • Fast alle Pilze (Ausnahmen: Zuchtchampignon oder Steinpilz) sind roh unbekömmlich und giftig. Echte Giftpilze assen sich allerdings auch durch Kochen oder andere Maßnahmen nicht entgiften.
  • Das Aufwärmen von Pilzgerichten ist unbedenklich. Sie sollten allerdings umgehend in kaltem Wasser abgekühlt, im Kühlschrank bei etwa 2 bis 4 °C gelagert und vor dem Verzehr auf mehr als 70 °C erhitzt werden.
  • Bei einer möglichen Vergiftung sollten Betroffene sofort die Giftnotrufzentrale in ihrer Nähe anrufen und einen Arzt konsultieren.

 

Auch Fliegenpilz (Amanita muscaria) und Pantherpilz (Amanita pantherina) gehören zu den bei uns heimischen Giftpilzen. Während die Giftigkeit des Fliegenpilzes in der Regel bekannt ist, wird der Pantherpilz leicht mit dem essbaren Grauen Wulstling (Amanita excelsa) verwechselt. Charakteristisch an einer Pantherpilz-Vergiftung sind schnell einsetzende Schmerzen im Magen-Darm-Trakt kurz nach dem Verzehr. Nach ein bis drei Stunden kommen Erregungszustände, Verwirrtheit und Halluzinationen hinzu, weshalb die Betroffenen Neuroleptika oder Tranquillantien zur Sedierung erhalten sollten.

Auch Pilsgenuss kann tödlich sein

Der Faltentintling (Coprinus atramentarius) enthält die Aminosäure Coprin, die das Enzym Aldehyddehydrogenase hemmt und somit den Abbau des aus Ethanol entstandenen Acetaldehyds blockiert. Wird dieser Pilz, der leicht mit anderen Tintlingen wie dem Schopftintling (Coprinus comatus) verwechselt werden kann, zusammen mit Alkohol gegessen, kommt es zu klassischen Symptomen einer Acetaldehyd-Vergiftung wie »Kater-Kopfschmerz«, Schwindel, Übelkeit, Tachykardie und Atemnot. Diese Beschwerden halten einige Stunden an, werden durch wiederholten Alkoholkonsum verstärkt und führen im Extremfall zum Tode.

Eine Verwechslung des Steinpilzes (Boletus edulis) mit dem Gallenröhrling (Tylopilus felleus) ist dagegen nicht lebensgefährlich. Doch ein einziger Gallenröhrling verdirbt wegen seiner Bitterstoffe das gesamte Pilzgericht.

Andere Pilze können allergische Reaktionen hervorrufen. Besonders gefährlich sind die allergisch bedingten Nierenschäden, die der Kahle Krempling (Paxillus involutus) auslösen kann. Der Antikörpertiter nimmt mit jedem Verzehr dieses Pilzes zu. Wird die allergische Reaktion zunächst kaum wahrgenommen, so kann sie nach 20 bis 40 Mahlzeiten schließlich so stark sein, dass sie für den Menschen lebensbedrohlich ist. Vor allem roh und zu kurz erhitzt ist der Pilz stark giftig. Aber auch nach 25 Minuten Kochzeit ist er nicht immer bekömmlich.

Bei Vergiftung schnell reagieren

Treten nach einer Pilzmahlzeit typische Vergiftungssymptome auf, muss sofort ein Arzt aufgesucht werden. Essensrückstände, Erbrochenes und Stuhl sollten zur Identifizierung aufgehoben werden. Allgemeine Therapiemethode bei Pilzvergiftungen ist die schnelle Magenentleerung und der Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushaltes. In besonders schweren Fällen wie einer Knollenblätterpilzvergiftung wird zum Schutz der Leber Silibinin, Bestandteil des Silymarins der Mariendistel, als Infusion verabreicht, womit die Mortalitätsrate laut Literatur auf etwa 10 Prozent gesenkt werden konnte. Die Berliner Charité behandelt ihre Patienten zusätzlich mit Acetylcystein, um freie Sauerstoffradikale abzufangen. Durch eine künstliche Niere oder Kohlefilter kann zudem versucht werden, das Blut extrakorporal zu reinigen.

Mit Schadstoffen belastet

Auf Pilzen können sich genauso wie auf Waldbeeren Eier des Fuchsbandwurms (Echinococcus multilocularis) befinden. Im Körper können sich die Eier zu Larven weiterentwickeln und die Leber lebensbedrohlich schädigen. Deshalb warnen Experten vor dem Verzehr roher Pilze. Temperaturen über 60 Grad Celsius töten die Eier in wenigen Minuten ab.

 

Was in Pilzen steckt Frische Pilze bestehen zu rund 90 Prozent aus Wasser, enthalten weniger als 1 Prozent Fett und sind mit zumeist 10 bis 20 kcal pro 100 g so kalorienarm wie Salat. Ihr Eiweißgehalt liegt bei 2 bis 3 Prozent, wobei einige alle acht essenziellen Aminosäuren enthalten. Zu 2 Prozent (Champignon) bis 16 Prozent (Trüffel) enthalten sie Ballaststoffe. Schwer verdaulich macht sie ihr Gehalt an Chitin, aus dem ihre Zellwände aufgebaut sind.

Überdies weisen einige Pilzarten, wie Pfifferlinge, Stein- und Austernpilze) größere Mengen an Folsäure auf. Auch der Gehalt an Nicotinsäure liegt häufig deutlich über dem zahlreicher Gemüsearten.

 

Fast 20 Jahre nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl ist die Belastung von Wildpilzen mit radioaktivem 137Cäsium auch in Deutschland, vor allem in Bayern, noch deutlich erhöht. Stark betroffen sind einige Röhrenpilze wie der Maronenröhrling (Xerocomus badius). Pfifferlinge (Cantharellus cibarius) und Steinpilze (Boletus edulis) weisen deutlich geringere Werte auf und Waldchampignons gelten als nahezu unbelastet.

Zudem speichern Waldpilze artspezifisch Schwermetalle wie Cadmium und Blei, die beide nephro- und hepatotoxisch wirken, sowie neurotoxisches Quecksilber. Wegen ihres hohen Cadmiumgehalts nicht oder zumindest nicht häufig gegessen werden sollten der Riesenchampignon (Agaricus augustus), der Schaf-Egerling (Agaricus arvensis) sowie der Dünnfleischige und der Schiefknollige Anis-Egerling (Agaricus silvicola und abruptibulbus).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Erwachsenen auf Grund der möglichen Belastung, maximal 250 g Wildpilze pro Woche zu verzehren. Bei häufigem Verzehr von Wildpilzen kann es sinnvoll sein, die Lamellen- beziehungsweise Röhrenschicht sowie die Huthaut zu entfernen, da hier die höchsten Schwermetallkonzentrationen zu finden sind. Wer es einfacher mag, greift stattdessen zu Zuchtpilzen. Ihr Genuss gilt als völlig ungefährlich, da sie weder Schadstoffen noch radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren. Beim Kauf der Pilze ist lediglich darauf zu achten, dass das Fleisch fest und nicht verfärbt, weich, fleckig oder ausgetrocknet ist.

 

Pilzsachverständige Wer Interesse daran hat, Fachmann für Pilzfragen zu werden, kann sich zum Pilzsachverständigen ausbilden lassen. Um sich auf die Prüfung, die nach den Richtlinien der deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM) erfolgt, vorzubereiten, werden Anfänger- und Fortgeschrittenenkurse angeboten. Vorkenntnisse sollten bereits vorhanden sein. Kurstermine sowie Pilzberater in der näheren Umgebung können bei der DGfM erfragt werden: Claudia Gläser-Reichert, Von-Gluck-Straße 19a, 44627 Herne, Telefon (0 23 23) 35 7 64, E-Mail: glaeser@dgfm-ev.de, www.dgfm-ev.de.

Eine gute kurze Übersicht bietet auch die Broschüre »Risiko Pilze ­ Einschätzung und Hinweise«, die das Bundesinstitut für Risikobewertung in diesem Jahr aktualisiert hat. Sie ist unter der Bestellnummer ISBN 3-931675-00-3 für 5 Euro erhältlich.

  

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