Bedrohliche Entwicklung in Asien |
25.07.2005 00:00 Uhr |
Übertriebene Vorsicht oder ernst zu nehmende Warnungen: Wie groß ist die Bedrohung durch eine Grippe-Pandemie tatsächlich? Das Influenzavirus H5N1 lässt keine Zweifel an seiner Gefährlichkeit. Es verändert sich mit rasender Geschwindigkeit und sorgt immer wieder für Todesfälle, zuletzt in Indonesien.
Der Funke, der eine weltweite Grippewelle auslösen kann, ist die Übertragung des ursprünglich aus Vögeln stammenden Virus von Mensch zu Mensch. Bei jeder neuen Erkrankung fürchten Wissenschaftler, genau darauf gestoßen zu sein. Erst vor wenigen Tagen meldete das indonesische Gesundheitsministerium, dass ein Vater und seine beiden jungen Töchter an einer Infektion mit H5N1 gestorben seien. Der 38-jährige Mann und die neun- beziehungsweise einjährigen Mädchen sind die ersten Opfer des Vogelgrippevirus in Indonesien. Nach ersten Angaben hatten die Betroffenen, die in einem Vorort der Millionenstadt Jakarta lebten, keinen Kontakt zu Geflügel. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät allerdings abzuwarten. Häufig stelle sich bei einer genaueren Untersuchung heraus, dass das Virus doch vom Federvieh auf den Menschen übergegangen sei.
Jedoch mehren sich auch bei den Infektionen in Nordvietnam die Hinweise, dass sich das Virus verändert. Dafür sprechen mildere Verlaufsformen beim Menschen, ein breiteres Altersspektrum der Patienten und eine wachsende Zahl von Infektionen, die in Clustern auftreten, meldet die WHO. Nach den epidemiologischen Daten scheint das Virus an Virulenz zu verlieren, dafür aber infektiöser zu werden zwei typische Merkmale pandemisch auftretender Grippevirusstämme. Laboruntersuchungen der WHO konnten diese Befunde bislang allerdings auf genetischer Ebene nicht bestätigen.
H5N1 hat zudem in den vergangenen Monaten sein Wirtsspektrum erweitert. So erkrankten in Thailand fast 150 in Zoos und Tierparks gehaltene Tiger an der Virusgrippe. Bei den Großkatzen war zuvor noch nie eine Influenza-Erkrankung beobachtet worden. Wissenschaftlern gelang es außerdem, Hauskatzen erstmals mit dem Vogelgrippevirus zu infizieren.
Auch sein Verhalten in Wildvögeln hat sich dramatisch verändert. So meldeten Anfang Juli chinesische Wissenschaftler, dass Zugvögel am abgelegenen Qinghai-See im Südwesten des Landes zu Tausenden verendet seien. Ursache war H5N1. Bislang infizierte das Virus zwar Wildvögel, diese blieben von der Erkrankung jedoch weitgehend verschont.
Noch besorgniserregender ist allerdings die Beobachtung, dass als Haustiere gehaltene Enten, die dem Virus zuvor innerhalb kürzester Zeit erlagen, inzwischen trotz einer Infektion nicht mehr erkranken. Dabei scheiden sie das Virus in großen Mengen aus und bedeuten so für die in ihrer Umgebung lebenden Menschen eine ständige Infektionsgefahr.
Woher H5N1 stammt
Das Virus begann zu einem unbekannten Zeitpunkt vor 1997 in der Geflügelpopulation in Asien zu zirkulieren. Wie andere Viren vom H5- und H7-Subtyp (siehe Kasten Influenzaviren) verursachte es zunächst nur eine milde Erkrankung bei Hausgeflügel. Die Vögel sahen leicht gerupft aus und legten weniger Eier. Nach Monaten mutierte das Virus zu einer bislang selten aufgetretenen hoch pathogenen Form, die Hühner innerhalb von 48 Stunden tötete, mit einer Mortalität von fast 100 Prozent. Das Virus befiel dabei zahlreiche Organe und sorgte für massive innere Blutungen, was der Erkrankung den Beinamen »Hühner-Ebola« einbrachte.
Influenzaviren Grippeviren werden in drei Typen unterteilt: A, B und C. Als besonders besorgniserregend gelten dabei die Influenza-A-Viren. Sie verändern sich rasant schnell, weil sie keine Reparaturfunktion bei der Replikation ihres Genoms besitzen. Fehler werden nicht korrigiert, es entstehen ständig neue Mutationen.
Außerdem besteht ihr Erbmaterial aus acht verschiedenen Segmenten. Dadurch kann es relativ einfach zu einem Austausch zwischen Erbmaterial eines Vogelvirus und eines humanpathogenen Virus kommen, wenn sich beide Viren in derselben Zelle befinden. So entsteht ein neuer Virussubtyp, mit dem das menschliche Immunsystem noch nie in Kontakt gekommen ist.
Benannt werden Influenzaviren nach ihren Oberflächenproteinen Hämagglutinin und Neuraminidase. Inzwischen sind 15 Hämagglutinin-Subtypen (H1 bis H15) sowie neun Neuraminidase-Subtypen (N1 bis N9) bekannt. Die Bezeichnung für ein Influenzavirus setzt sich grundsätzlich aus dem Hämagglutinin-Subtyp und dem Neuraminidase-Subtyp zusammen (daher H5N1). Für Pandemien sorgten bislang die Subtypen H1, H2 und H3.
Beim Menschen rufen viele der Viren, die die in unseren Breiten als Geflügelpest bekannte Krankheit bei Vögeln verursachen, nur milde Erkrankungen hervor. Und auch bei H5N1 galten Infektionen von Menschen bis 1997 als sehr selten. Doch während des Ausbruchs unter Vögeln in Hongkong kam es auch zu den ersten menschlichen Infektionen mit dem Virus. 18 Menschen erkrankten, sechs starben. Besonders häufig betroffen waren zuvor gesunde Kinder sowie junge Erwachsene, eine Bevölkerungsgruppe, an der die jährliche Grippewelle mit humanpathogenen Influenzaviren in der Regel spurlos vorbeigeht. Das Virus rief bei ihnen eine virale Lungenentzündung hervor, die in Atemnot und schließlich einem Multiorganversagen eskalierte. Auch dies war ungewöhnlich. Im Zuge einer Influenza-Erkrankung leiden viele Menschen an einer Lungenentzündung. Diese ist in der Regel jedoch durch eine Sekundärinfektion mit Bakterien bedingt und lässt sich mit Antibiotika behandeln.
Molekularbiologische Untersuchungen zeigten, dass das Virus direkt vom Geflügel auf den Menschen übertragen worden war. Hongkongs Behörden reagierten daraufhin sehr schnell. Innerhalb von drei Tagen ließen sie die gesamte Geflügelpopulation keulen. Damit verhinderten sie nach Ansicht vieler Wissenschaftler eine Pandemie.
Jahrelang blieb es daraufhin ruhig um H5N1, bis 2003 erneut eine Familie aus Hongkong von einer H5N1-Infektion betroffen war. Ein 33-jähriger Vater erlag der Erkrankung, sein neunjähriger Sohn erholte sich. Die achtjährige Tochter der Familie war bereits kurz zuvor während einer Reise nach Südchina an einer Atemwegserkrankung gestorben. Dies überzeugte viele, dass H5N1 noch immer in China sein Unwesen trieb. Das Land der Mitte gilt seit langem als Epizentrum der Influenzaaktivität (siehe Kasten).
Schmelztiegel für pandemisches Virus Wissenschaftler gehen davon aus, dass Influenza-Pandemien seit mindestens 4000 Jahren von China ausgehen. Die Ursache dafür ist in der Ökologie der chinesischen Landwirtschaft zu suchen. Auch heute noch gilt es unter chinesischen Bauern als besonderes Prestige, Enten und Schweine zu besitzen. Sie werden gemeinsam auf engem Raum gehalten.
Wenn Enten von Zugvögeln mit Influenzaviren infiziert werden, infizieren diese die Schweine. Schweine gelten wiederum als virale Schmelztiegel. Die Zellen ihres Respirationstrakts tragen Rezeptoren sowohl für Vogelgrippeviren als auch für die Erreger der Influenza beim Menschen. Befinden sich beide Virussubtypen innerhalb einer Zelle, ist es nur eine Frage der Zeit, wann sie genetisches Material austauschen. Dadurch können Stämme entstehen, die direkt von Mensch zu Mensch übertragen werden können. Umso besorgniserregender ist es, dass Wissenschaftler sowohl in China als auch in Indonesien H5N1 bereits in Schweinen nachgewiesen haben.
Allerdings könnte das Virus diesen Schritt auch einfach umgehen. So fürchten viele Forscher, dass diesmal Menschen den Virus-Schmelztiegel bilden. Denn käme es bei einem mit H5N1 infizierten Menschen gleichzeitig zu einer Infektion mit dem derzeit zirkulierenden menschlichen Grippevirus, so könnte auch ohne Schweine ein Virus entstehen, das sich mit rasender Geschwindigkeit von Mensch zu Mensch verbreitet.
Gegen Ende 2003 kamen dann aus Südkorea die ersten beunruhigenden Meldungen. Hühner starben reihenweise an hoch pathogener Influenza. Anschließende Analysen bestätigten den Verdacht: H5N1 war die Ursache. In Südkorea war die Geflügelpest zuvor noch nie aufgetreten. Innerhalb weniger Monate verbreitete sich das Virus nach Angaben der World Organization for Animal Health auf inzwischen elf asiatische Länder (Südkorea, Vietnam, Japan, Taiwan, Thailand, Kambodscha, Laos, Indonesien, China, Malaysia und die Philippinen) und sorgte überall für ein Sterben unter Nutzgeflügel. Nie zuvor hatte die Vogelgrippe für so viele Ausbrüche gleichzeitig gesorgt, informiert die WHO. 120 Millionen Vögel starben an der Infektion oder wurden im Zuge der anschließenden Maßnahmen getötet. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass H5N1 inzwischen in weiten Teilen Asiens endemisch ist.
Menschliche Erkrankungen und Todesfälle ließen auch bei dieser Infektionswelle nicht lange auf sich warten. Am stärksten betroffen ist bis heute Vietnam, gefolgt von Thailand und Kambodscha sowie nach den jüngsten Meldungen Indonesien. Die Sterberate bei den Erkrankten liegt bei bis zu 60 Prozent. Ob das Virus letztlich den Sprung zu einer kontinuierlichen Übertragung zwischen Menschen schafft, kann niemand voraussagen. Die Voraussetzungen dafür erfüllt es offenbar mit jedem Tag ein wenig mehr.
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