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19.04.1999 00:00 Uhr |
Die prophylaktische Amputation beider Brüste senkt das Brustkrebsrisiko von Frauen aus Familien, in denen diese Tumore gehäuft auftreten, um etwa 90 Prozent. Das nüchterne Ergebnis der Anfang dieses Jahres im New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie hat für Furore gesorgt. Zumal Wissenschaftler seit mehreren Jahren zwei Gene kennen, deren Defekte sich weitervererben und die Frauen innerhalb einer Familie reihenweise an Brustkrebs erkranken lassen.
Vor allem in den USA haben sich Hunderte wenn nicht Tausende meist junger Frauen inzwischen vorsorglich die Brust abnehmen lassen. Sie haben die verstümmelnde Operation der ständigen Angst vorgezogen. Darunter waren viele, die niemals Brustkrebs entwickelt hätten. Denn nicht alle Frauen mit veränderten Brustkrebsgenen erkranken tatsächlich an bösartigen Tumoren.
Berechtigte Frage: "Wäre es nicht besser, wenn die Frauen nichts von ihrer Veranlagung wüßten?" Mit dem Recht auf Nicht-Wissen und dem Recht auf Wissen beschäftigten sich Ärzte, Ethiker und Theologen Mitte März auf der Tagung "Prädiktive Medizin Gendiagnostik und Krebsrisiko", die die Deutsche Krebsgesellschaft zusammen mit der evangelischen Akademie in Bad Boll organisierte. "Vorsicht walten lassen, behutsam und verantwortlich handeln" war das Fazit aus allen Vorträgen. Schwierig, wenn ein Gentest auf Brustkrebsgene bereits im Internet angeboten wird, wie Sabine Paul vom Zentrum für Ethik in den Wissenschaften in Tübingen berichtete. Viele Frauen würden die 20 000 DM gerne bezahlen, die ein solcher Gentest auf dem freien Markt kostet. Vorausgesetzt er fällt negativ aus. Was die Nachricht für ihr Leben bedeutet, daß eines dieser Gene verändert ist, darüber machen sich die wenigsten Gedanken, so die Experten in Bad Boll.
Diese Überlegungen haben auch dazu geführt, daß die Bundesärztekammer im Mai letzten Jahres die "Richtlinien zur Diagnostik der genetischen Disposition für Krebserkrankungen" herausgegeben hat. Sie sollen den Umgang mit der vorhersagenden Gendiagnostik für alle Krebserkrankungen regeln. Darin heißt es: "Die prädiktive Diagnostik von Krankheiten wirft bislang unbekannte ethische Probleme auf, die ernsthaft bedacht werden müssen." Gesunden Personen ohne auffällige Familienanamnese solle ein Gentest laut Bundesärztekammer nicht angeboten werden, insbesondere nicht in der Form eines Bevölkerungs-Screenings.
Im Zentrum der Richtlinien steht die interdisziplinäre Beratung der Patienten durch eine Facharzt für Humangenetik und einem mit dem jeweiligen Krankheitsbild vertrauten Facharzt, zum Beispiel dem Gynäkologen bei Brust- und Ovarialkrebs. Die Entscheidung für oder gegen einen Gentest muß der oder die Ratsuchende anschließend alleine treffen. Allerdings erst, nachdem er oder sie umfassend informiert wurde ("Informed Consent"). Aber auch nach einer Diagnose muß weiter beraten und auch auf die Möglichkeit einer psychotherapeutischen Betreuung hingewiesen werden, so die Bundesärztekammer.
In dem bundesweiten Projekt "Familiärer Brustkrebs" fördert die Deutsche Krebshilfe seit etwa zwei Jahren die Brustkrebsfrüherkennung durch Gentests Kosten: etwa 13 Millionen Mark. Daran sind zwölf Kliniken in Berlin, Bonn, Düsseldorf, Dresden, Frankfurt am Main, Heidelberg, Kiel, München, Münster, Ulm, Würzburg und Leipzig beteiligt. Hier arbeiten Gynäkologen, Humangenetiker, Molekularbiologen, Pathologen und Psychologen zusammen. Die Untersuchungen konzentrieren sich auf Frauen, in deren Familien gehäuft Brustkrebs aufgetreten ist.
An dem Programm können nur Frauen teilnehmen, die mindestens 18 Jahre alt sind. Ein Humangenetiker erstellt dann zunächst einen Stammbaum der Familie. Eine genetische Diagnostik ist nach den Richtlinien der Bundesärztekammer nur möglich, wenn eine der folgenden Kriterien zutrifft:
Die Diagnostik ist eingebettet in Beratungsgespräche mit Psychologen, Humangenetikern und Frauenärzten. Finden die Ärzte einen Defekt in einem der beiden Brustkrebsgene, werden die Frauen intensiver und in kürzeren Abständen untersucht, um ein Krebsgeschwulst frühzeitig zu erkennen.
Wie verarbeiten Frauen die Nachricht, daß sie einen Defekt in einem der beiden Brustkrebsgene haben? Professor Rolf Kreienberg, Sprecher des Projekts "Familiärer Brustkrebs" von der Universitätsfrauenklinik in Ulm, berichtete dazu von einer Studie, bei der die Frauen, die die frohe Nachricht erhalten hatten, daß sie die Mutation nicht geerbt hatten und nur noch mit einem Risiko für Brustkrebs von etwa 10 Prozent rechnen müssen, deutlich weniger depressiv waren als vor der Diagnose. Die depressiven Symptome der Frauen, bei denen sich tatsächlich eine Mutation nachweisen ließ, habe sich nicht verschlimmert.
Ähnliches berichtete auch Petra Jebali von der Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe in Münster. Auf ihre Frage, wie sie auf einen positiven Befund reagieren würden, antworteten die meisten Patientinnen, die sich auf die Mutationen testen lassen möchten: "Damit rechne ich erst einmal nicht. Wenn es doch passiert, dann bestätigt sich nur, was ich schon immer befürchtet habe."
© 1999 GOVI-Verlag
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