Medizin
Die These lautete bisher:
Glykosylierte Proteine und ihre akkumulierten
Folgeprodukte verändern beim Diabetiker funktionell
Eigenschaften, so daß pathophysiologische Prozesse in
Gang gesetzt werden. Daß chronische Hyperglykämie und
diabetische Mikroangiopathie wirklich Hand in Hand gehen,
haben jetzt mehrere Studien bewiesen. Interessant scheint
derweil auch, die Hemmung von Glykosylierungsprodukten
therapeutisch zu nutzen. Diesem Thema widmeten sich
mehrere Vorträge auf einem Symposium, das anläßlich
des 20jährigen Jubiläums des Instituts für Klinische
Pharmakologie in Frankfurt ausgerichtet wurde.
Durch den hohen Blutglucosespiegel werden beim Diabetiker
mehr und auch schneller Proteine verzuckert als bei
Gesunden, stieg Dr. Wolfgang Wörner, Institut für
Klinische Pharmakologie in Frankfurt, in das Thema ein.
Man spricht von Glykosylierung oder nichtenzymatischer
Glykierung (NEG). Die Glykoproteine entstehen
enzymunabhängig, und sie bilden sich überall dort, wo
die Halbwertszeit der Proteine ausreicht, damit die
langsame Glykierungsreaktion einsetzten kann.
Mittlerweile hat man eine ganze Reihe glykierter Plasma-
und Strukturproteine, Hormone, Lipoproteine und
Immunglobuline gefunden. Sie finden sich nicht nur im
Blut, sondern auch im Lungengewebe, in der Basalmembran
oder in Sehnen.
Glykoalbumin steht laut Wörner im Mittelpunkt des
pharmakologischen Interesses. Saure und neutrale
Arzneistoffe gehen mit Albumin eine Eiweißbindung ein.
Bei Gesunden ist ein Viertel des Serumalbumins glykiert,
bei schlecht eingestellten Diabetikern kann diese Quote
bis an die 100-Prozentmarke herangehen, wie Wörner
ausführte. So viel glykosyliertes Albumin hat
Auswirkungen auf die Bindung von beispielsweise
Sulfonylharnstoffen wie Tolbutamid, Glibenclamid und
Glibenclazid. Wörner berichtete von Untersuchungen, bei
denen die
Bindungskapazität für Tolbutamid und Glibenclamid um
die Hälfte vermindert war. Dagegen wurde die
Bindungskapazität der primären Bindungsstelle von
Gliclazid erhöht. Mit anderen Worten: Mehr Glykoalbumin
bedeutet niedrigere freie Gliclazidkonzentrationen. Der
Arzneistoff hat verminderten hypoglykämischen Effekt,
wirkt aber länger.
Pathophysiologisch bedeutender als die frühen
Glykosylierungsprodukte scheinen deren
Akkumulationsprodukte zu sein. Sie vernetzen sich auf
kovalente Weise und schädigen den intrazellulären
Metabolismus irreversibel. Man spricht von
Glucose-abhängigen Folgeprodukten (advanced glycation
end products, AGE). Diese schädigen die Proteine
funktionell, wie Dr. Hans P. Hammes, Medizinische Klinik
der Universität Gießen, ausführte. AGE-Aggregationen
stören die Gefäßhomöostase, zelluläre AGE-Rezeptoren
verändern die Genexpression von Makrophagen,
Endothelzellen und Mesangialzellen.
Bindet AGE an seinen Rezeptor, wird der oxidative Streß
erhöht. Dies konnte in vitro durch Antioxidantien
unterdrückt werden. Die Hemmung von AGE-Akkumulationen
wird als neues Therapiekonzept in der Diabetestherapie
gehandelt. Experimentelle Untersuchungen waren jedenfalls
erfolgreich. Hammes berichtete von diabetischen
Tiermodellen, in denen das Hydrazin-Derivat Aminoguanidin
in der Lage war, die AGE-Akkumulation zu verhindern. Das
Auftreten von Mikroaneurysmen wurde verhindert,
sensorische und notorische Nervenleitgeschwindigkeit
besserten sich. In klinischenPrüfungen wird derzeit der
therapeutische Nutzen getestet.
PZ-Artikel von Elke Wolf, Frankfurt
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