Medizin |
07.04.1997 00:00 Uhr |
Medizin
Menschen treffen zuweilen richtige Entscheidungen,
ohne eine Situation vollständig durchschaut zu haben.
Wohlwollend bezeichnen wir das dann als Intuition,
abwertend als Zufall. Wie vier Neurologen von der
Universität in Iowa herausgefunden haben, hat Intuition
aber mit Zufall nur wenig zu tun. Vielmehr stellt sie den
ersten Schritt in einem kognitiven Prozeß dar, an dessen
Ende die Erkenntnis steht. Ort des neuronalen Geschehens
ist der ventromediale frontale Cortex. Hier entstehen
Vermutungen, die unser Verhalten steuern, lange bevor wir
erklären können, warum wir genau auf diese Weise
handeln.
Antoine Bechara und ihre Kollegen beobachteten zehn
gesunde Menschen und sechs Patienten mit einer Verletzung
am frontalen Cortex bei einem Kartenspiel. Spielkarten
wurden auf vier Felder verteilt. Die Versuchspersonen
konnten durch Aufdecken der Karten Geld gewinnen oder
verlieren. Die Karten in den Feldern A und B brachten
zwar einen höheren Gewinn, doch waren in diesen beiden
Feldern auch die Karten mit den höheren Verlusten
versteckt. In den Feldern C und D waren Gewinne und
Verluste zwar moderater, langfristig waren diese beiden
Felder aber profitabler als A und B. Den Spielern wurde
dies nicht mitgeteilt.
Die Wissenschaftler stellten fest, daß von den gesunden
Spielern die meisten sehr bald vornehmlich auf den
Feldern C und D spielten. Dabei konnten sie noch nicht
erklären, warum sie diese Feder bevorzugten, sie hatten
lediglich eine Ahnung, daß dies vorteilhaft sei.
Unbewußt registrierten sie auch, daß die Felder A und B
riskanter sind, denn ihr Hautwiderstand änderte sich,
wenn sie auf diesen Feldern spielten. Ein Zeichen für
Emotionen. Die meisten Spieler mit einer Gehirnverletzung
entwickelten dagegen keine Vorliebe für die
ertragreichen Felder C und D. Veränderungen des
Hautwiderstandes konnten auch nicht gemessen werden.
Nach längerer Spieldauer hatten sieben von zehn Gesunden
das Prinzip des Spiels durchschaut und spielten
ausschließlich auf den Feldern C und D. Die drei anderen
hatten das Prinzip kognitiv zwar noch nicht erfaßt,
spielten aber trotzdem auf den guten Feldern. Völlig
anders zeigte sich die Situation bei den Menschen mit
Hirnverletzung. Zwar hatten hier drei auch das Spiel
durchschaut, trotzdem spielten sie weiter auf allen
Feldern. Die Wissenschaftler schließen aus ihren
Untersuchungen, daß Strategien nicht nur das Resultat
von kognitiven Prozessen sind, sondern auch das Resultat
von intuitivem Verhalten sind. Eine entscheidende Rolle
spielt dabei der ventromediale frontale Cortex.
Quelle: Bechara, A., et al., Science,
Vol.275, 28. Februar 1997
Über den langfristigen Nutzen von Herzglykosiden bei
der Behandlung von Herzinsuffizienz gibt es bislang keine
gesicherten Erkenntnisse. Eine Studie der
US-amerikanischen Digitalis Investigation Group kommt
jetzt zu dem Schluß, daß das Herzglykosid Digoxin zwar
nicht die Mortalität bei Herzinsuffizienz positiv
beeinflußt, aber zumindest die Zahl der
Krankenhauseinweisungen signifikant reduziert.
Teilstudien deuten auch auf eine Verlangsamung der
Progredienz hin.
Insgesamt nahmen an der Studie 6800 herzinsuffiziente
Patienten mit einer linksventrikulären Auswurffraktion
von 0,45 oder weniger teil. 3397 erhielten neben ihrer
bestehenden Medikation (Diuretika und ACE-Hemmer)
zusätzlich 0,25mg Digoxin, 3403 Patienten erhielten
Placebo. Die Probanden wurden über durchschnittlich 37
Monate beobachtet. Die Mortalitätsrate war in der
Digoxingruppe mit 34,8 Prozent auf dem Niveau der
Placebogruppe (35,1 Prozent). Das Sterberisiko infolge
einer Verschlimmerung der Herzinsuffizienz war unter
Digoxin leicht erniedrigt (88 Prozent). Etwas deutlicher
scheint der Nutzen in Bezug auf Krankenhausaufenthalte zu
sein. Insgesamt lag die Zahl der stationären
Einweisungen sechs Prozent niedriger als in der
Placebogruppe. Einweisungen aufgrund einer
Verschlimmerung der Herzinsuffizienz waren in der
Digoxingruppe um 23 Prozent reduziert. Die Studienleiter
hoffen, dieses Ergebnis werde die Rolle von
Herzglykosiden bei der Behandlung von Herzinsuffizienz
exakter bestimmen.
Quelle: The Digitalis Investigation Group, New England
Journal of Medicine, Vol. 336, 20. Februar 1997
Schädel-Hirn-Traumen setzen verschiedene
Stoffwechselprozesse im Gehirn in Gang, die die
Kopfverletzung noch verschlimmern können.
Wissenschaftler an der Universität Pittsburgh haben
jetzt einen Weg gefunden, mit dem sie den neurologischen
Schaden begrenzen konnten: die Hypothermie.
82 komatöse Patienten mit Schädel-Hirn-Traumen nahmen
an der Studie teil. 40 von ihnen wurden sofort nach der
Einlieferung einer Kältebehandlung, der Hypothermie,
ausgesetzt. Mit Hilfe von Kältedecken wurde ihre
Körpertemperatur auf 33 Grad Celsius abgesenkt. 24
Stunden lang wurde die Temperatur auf diesem Niveau
gehalten. Anschließend wurden die Kranken langsam wieder
erwärmt, bis sie eine normale Körpertemperatur hatten.
Die übrigen 42 Patienten wurden bei normaler Temperatur
behandelt.
Es zeigte sich, daß die sofortige eintägige Abkühlung
der Patienten nach einigen Monaten zu besseren
neurologischen Ergebnissen führte als die Behandlung bei
normaler Temperatur. Die Wirksamkeit der Hypothermie hing
allerdings mit der Schwere des Hirnschadens zusammen.
Patienten mit starken Verletzungen profitierten nicht von
der Hypothermie.
Die Wissenschaftler führen ihre Ergebnisse unter anderem
darauf zurück, daß die Kälte die Glutamatkonzentration
in der Zerebrospinalflüssigkeit senkte.
Glutamatrezeptoren vom NMDA-Typ werden für
posttraumatische Schäden verantwortlich gemacht. Man
vermutet außerdem, daß die Hypothermie sekundäre
Hirnschäden dadurch verhinderte, daß sie
posttraumatische Entzündungsprozesse unterdrückte.
Quelle: Marion, D. W., et al., New England
Journal of Medicine Vol. 336, 20. Februar 1997, 540-546.
Zusammengestellt von Monika
Noll und Daniel Rücker, Eschborn
© 1997 GOVI-Verlag
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