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Individuelle Filter schnappen Auto-Antikörper

01.04.2002  00:00 Uhr
Blutwäsche

Individuelle Filter schnappen Auto-Antikörper

von Wolfgang Kappler, Homburg/Saar

Derzeitige Blutreinigungssysteme zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen binden nicht nur spezifische Auto-Antikörper, sondern auch lebensnotwendige Immunzellen. Rostocker Experten haben nun die patientenspezifische Immunadsorption (PSIA) entwickelt.

Das neue System arbeitet mit individuell abgeglichenen Filtern und könnte zur Behandlung unterschiedlicher Autoimmunerkrankungen wie Rheuma Allergien, Asthma und möglicherweise sogar Tumoren eingesetzt werden. Zurzeit bereiten Mediziner die klinische Erprobung in den Apheresezentren der Berliner Charité und im Klinikum Lüdenscheid vor.

Einer der am einfachsten vorstellbaren Mechanismen einer Autoimmunerkrankung funktioniert so: Aus meist unbekannter Ursache bildet der Organismus plötzlich Antikörper gegen körpereigenes gesundes Gewebe. Der so eingeleitete Angriff gegen sich selbst führt zu weiterem Zerfall des Gewebes und erneuter Stimulation des Abwehrsystems. Es ist ein sich selbst erhaltender, zerstörerischer Kreislauf entstanden, in dessen Ergebnis im Blut eine hohe Konzentration so genannter Immunkomplexe nachgewiesen werden kann, eine Zusammenballung von Autoantikörpern, körpereigenen Substanzen und anderen Eiweißstoffen.

Über das Blut verbreitet können sie sich in bestimmten Körperregionen ablagern und Entzündungen hervorrufen. Mit diesem Modell werden derzeit Krankheiten wie die rheumatische Polyarthritis oder der systemische Lupus Erythematodes (SLE) erklärt, die durch Hautveränderungen, Entzündungen der Gefäße, Gelenke, Nerven, Muskeln oder verschiedener Organe gekennzeichnet sind. Medikamente helfen meist nur unzureichend. Deshalb setzen Mediziner verstärkt auf die Apherese, die Blutwäsche, um die krankmachenden Immunkomplexe aus dem Blut zu filtern. Das bekannteste Blutwäsche-System ist die Dialyse, die giftige Stoffwechselsubstanzen aus dem Blut nimmt.

Die Vorstellung, das krank machende Stoffe sich mit dem Blutserum ausbreiten, führte bereits 1940 zur Entwicklung der so genannten Plasmapherese, mit der - vereinfacht gesprochen - das gesamte Blutplasma ausgetauscht wird, ein Verfahren, das auf Spenderplasma angewiesen ist und die Gefahr der Krankheitsübertragung in sich birgt. Vor diesem Hintergrund wurden Verfahren entwickelt, die selektiv an Krankheiten beteiligte Stoffe aus dem Blutserum entfernen.

Etabliert sind Verfahren wie die HELP-Apherese, DALI, KANEKA, DIAMED oder RheoSorb, die LDL-Cholesterol oder den Bluteiweißstoff Fibrinogen festhalten. Mit der so erreichten Senkung von LDL-Cholesterol soll Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Infarkten vorgebeugt werden, wenn andere Maßnahmen versagt haben. Zudem hofft man, so die Fließeigenschaften des Blutes durch Ausfilterung von Fibrinogen zu verbessern, um Durchblutungsstörungen wie dem Diabetischen Fuß, Tinnitus oder bestimmten Augenerkrankungen entgegenzusteuern.

Seit wenigen Jahren kommen Apharese-Verfahren auch bei der Behandlung von Autoimmunkrankheiten zum Einsatz, bei denen der Körper eigene Strukturen bekämpft. Das an der Kölner Universität entwickelte Verfahren Ig-TheraSorb beispielsweise ist mit Filtern bestückt, deren Oberflächen mit aus Schafen gewonnenen Antikörpern besetzt sind. Sie können alle Immunglobuline binden, aber auch Immunkomplexe und Rheumafaktoren. Auch die Berliner Affina Immuntechnik GmbH hat einen Filter zum Abfangen von Immunglobulinen entwickelt. Globaffin nutzt dazu Bestandteile aus dem Eidotter.

Hochselektiver arbeitet dagegen der Filter Coraffin, der mit bestimmten Herzmuskelrezeptoren besetzt ist. Dagegen gerichtete Antikörper verursachen die schwere Herzkrankheit dilatative Cardiomyopathie (DCM), bei der oft nur noch eine Transplantation hilft. Getestet wird das Verfahren unter anderem von Professor Dr. Roland Hetzer am Deutschen Herzzentrum in Berlin.

Die Nachteile dieser Beispiele: Sie arbeiten nicht selektiv genug oder sind nicht auf die individuell geformten Auto-Antikörper und Immunkomplexe abgestimmt. Hier setzt der PSIA der Bioserv AG an. Der Vorstandsvorsitzende der Aktiengesellschaft, Professor Dr. Hans-Werner Heinrich: "Zunächst wird dem Patienten Blutplasma entnommen. Daraus isolieren wir die Immunkomplexe. Sie werden besonders aufbereitet und in die noch bindungsaktiven Untereinheiten gespalten". Im Labor erhält man so die vom Körper gebildeten Auto-Antikörper, deren Gegenspieler, die Auto-Antigene, und andere wichtige Immunkomplexbestandteile. Alle Untereinheiten funktionieren wie Magnete, die sich gegenseitig anziehen. Die so zerlegten Immunkomplexbestandteile werden in zwei Adsorbersäulen an eine Matrix aus Sepharose-Gel gekoppelt, eine Substanz, die aus 100 Mikrometer kleinen Kügelchen besteht. Über diese individuellen Filter, die für weitere Einsätze für den gleichen Patienten gereinigt werden können, wird im Rahmen der Apherese das Blutserum aus der Armvene geleitet.

Autoantikörper, Immunkomplexe, Autoantigene und spezialisierte Immunglobuline bleiben hängen, das gereinigte Blut wird dem Körper wieder zugeführt. Die Vorteile fasst Heinrich zusammen: "Der Patient liefert sein eigenes Heilmittel, Spenderblutprodukte entfallen, es entstehen keine Abwehrreaktionen gegen die Filter und es werden ausschließlich nur die schädlichen Immunkomplexe und Antikörper entfernt, ohne weitere lebensnotwendige Immunglobuline zu entziehen".

Der Firmenchef ist zuversichtlich, in Amerika die Zulassung für PSIA zu bekommen. In Deutschland sieht er das Problem, dass PSIA im Rahmen von Studien mit größerer Patientenzahl seinen Nutzen beweisen muss. Dazu müssen aber erst neue Studienkonzepte entwickelt werden, weil PSIA individuell arbeitet. Der übliche Vergleich nach dem Muster: Gruppe A wird behandelt, Gruppe B nicht oder bekommt ein Placebo, funktioniert hier eben nicht.

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