Medizin
Mindestens 10 Prozent der
Angestellten in medizinischen Berufen haben eine
Latexallergie, Tendenz steigend. Vor etwa 15 Jahren noch
unbekannt, nahm die Allergisierungsrate Anfang der 80er
Jahre enorm zu, weil Infektionsschutz vor dem HI-Virus
angesagt war. Billige Massenprodukte deckten den Bedarf
an riesigen Mengen medizinischer Schutzhandschuhe aus
Latex. Heute bilden OP-Schwestern, Pfleger und Chirurgen
die größte Gruppe unter den Latexallergikern. Strikte
Allergenkarenz ist für Latexallergiker die Therapie der
Wahl. Was liegt da näher, als latexfreie Alternativen zu
verwenden? Oder tauscht man dadurch nur ein Risiko gegen
das andere aus?
"Für Latex gibt es aus Preis- und
Sicherheitsgründen keine hundertprozentige
Alternative", konstatierte Dr. Christian Zimmermann,
Regent Medical, auf einer Informationsveranstaltung
"Latex und Latexallergien" des
Bundesfachverbandes Medizinprodukteindustrie. Andere
Materialien können nur in Teilbereichen als
Ausweichmöglichkeit für derzeit aus Latex hergestellte
Güter dienen. Das Naturprodukt hat eine Reihe von
Vorteilen, mit denen alternative Materialien sowohl im
medizinischen als auch alltäglichen Bereich nicht alle
aufwarten können: hoher Tragekomfort, reißfest,
elastisch, tastempfindlich, günstig herzustellen.
Als "zukunftsweisendes Ersatzmaterial" stellte
Zimmermann Polyurethan vor. In den USA sei ein Kondom mit
dem Namen "Avanti" aus Polyurethan auf dem
Markt. Polyurethan ist doppelt so reißfest wie Latex.
Produkte mit vergleichbarer Reißfestigkeit müssen also
nur halb so dick sein wie die aus Latex. Was Kondome und
Handschuhe angeht, ist diese Eigenschaft geradezu ideal,
zumal Polyurethan auch virendicht und elastisch ist. Aber
bereits die Kondome sind extrem schwierig herzustellen.
Für die Handschuhproduktion in großem Maßstab müßte
eine neue Technologie entwickelt werden. Polyurethan ist
deshalb zwar exzellent geeignet, aber derzeit noch zu
teuer.
Bei Allergie auf Alternativen ausweichen
Bei bestehender Latexallergie empfahl Zimmermann
das von Taucheranzügen bekannte Neopren. Das Material
eigne sich ideal für Handschuhe, es sei aber teurer und
schlechter dehnbar als Latex. Styren-Ethylen-Buthylen ist
ein weiteres Material für latexfreie Handschuhe. Es
wurde 1992 in den USA vorgestellt. Das Polymer kann ohne
Akzelleratoren (Vulkanisationsbeschleuniger) hergestellt
werden. Dehnbarkeit und Reißfestigkeit sind deutlich
geringer als bei Latex, es ist in der Herstellung und
Verarbeitung teuer und riecht unangenehm. Pluspunkt: Es
kann bei gleichzeitiger Typ-I-Allergie gegen
Latexproteine und Typ-IV-Akzelleratorallergie verwendet
werden. Als Material für Kondome ist es in der Planung.
Nach Zimmermanns Ausführungen muß jedenfalls
sorgfältig abgeschätzt werden, ob alternative
Materialien wirklich die Lösung für die Zukunft
darstellen oder ob man langfristig nicht nur ein Risiko
gegen ein anderes austauscht. "Auch gegen die
Austauschsubstanz kann es Sensibilisierungen geben",
gab Zimmermann zu bedenken. Andere bereits aufgetretene
Negativbeispiele: Latexfreie Kondome sind nicht
virusdicht, Silikonschnuller sind nicht bißfest.
Um der Ausbreitung von Latexallergien Herr zu werden,
habe die Verbesserung der allergologischen Eigenschaften
des Naturlatex oberste Priorität, so Zimmermann. Das
betrifft erstens den Verzicht auf Akzelleratoren aus der
Gruppe der Thiurame, die den Herstellungsprozeß
erheblich beschleunigen und die Produktionskosten senken
würden. Thiurame lösen aber Reaktionen vom Spättyp
aus. Deshalb haben mittlerweile bis auf einen Hersteller
von OP-Handschuhen alle die Thiurame gegen Carbamate oder
Thioharnstoffe ausgewechselt. Die Zahl der
Neuerkrankungen mit Typ-IV-Allergien geht seitdem
zurück.
Die Typ-IV-Allergien nehmen ab, die Typ-I-Form gegen
Latexproteine nimmt jedoch stetig zu. Etwa 50 der 200
Latexproteine in der Latexmilch lösen eine
Soforttyp-Allergie aus. Die Hersteller sind deshalb
angehalten, möglichst latexproteinarme Einmalhandschuhe
zu produzieren.
Ein weiteres Problem ist der Handschuhpuder. Beim
Abstreifen werden die Latexproteine aerosoliert und in
der Raumluft aufgewirbelt. Besonders in Operationssälen
und Krankenstationen inhaliert man dann die
Latexproteine. "Das Problem der Latexallergien
betrifft nicht mehr nur die Träger von
Einmalhandschuhen, sondern immer mehr auch die
Patienten", sagte Zimmermann. Die Tatsache, daß
gerade Kinder mit Spina bifida prädisponiert sind, eine
Latexallergie zu entwickeln, wird darauf zurückgeführt,
daß sie schon im ersten Lebensjahr operiert worden und
deshalb sensibilisiert sind. Nach und nach reagieren die
Hersteller mit der Entwicklung von puderfreien oder
innenbeschichteten Handschuhen.
PZ-Artikel von Elke Wolf, Wiesbaden
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