Neuer Ansatz für die Grippetherapie entdeckt |
12.03.2001 00:00 Uhr |
Die Grippeimpfung bietet nach wie vor den besten Schutz gegen die weltweit unterschätzte Infektionskrankheit. Ergänzend dazu gibt es inzwischen die Neuraminidasehemmer Zanamivir und Oseltamivir. Einen weiteren, viel versprechenden Ansatz im Kampf gegen das Influenzavirus erforschen zurzeit deutsche Wissenschaftler aus Gießen, Würzburg, Berlin und Tübingen. Durch die Blockade eines Signalweges in Zellen, auf den die Influenza-A-Viren offensichtlich angewiesen sind, verhinderten sie deren ansonsten ungebremste Vermehrung.
Grippeviren sind heimtückische Invasoren. Sie dringen in menschliche Zellen ein und programmieren sie für eigene Zwecke um. Dazu kidnappen sie die verschiedensten Proteine und Strukturen innerhalb der Zellen und nutzen sie zur eigenen Vermehrung. Dabei verändern die Viren ihr Äußeres in rasendem Tempo, so dass gerade entwickelte Medikamente und Impfstoffe schnell wieder wirkungslos werden. Ein Grund, weshalb die mit Hilfe von Hühnereiern hergestellten Impfstoffe jährlich aufs Neue maßgeschneidert werden müssen.
Die deutschen Forscher interessierte deshalb, ob die menschlichen Zellen Funktionen besitzen, derer sich Grippeviren grundsätzlich bedienen. Fündig wurden sie bei den so genannten Kinasen, Enzymen, die als Signalübermittler in der Zelle wirken. Angriffspunkt des Grippevirus ist die MEK-Kinase. "Normalerweise ist sie wichtig für die Teilung und Ausbildung der Körperzellen", erklärt der Gießener Virologe Dr. Stephan Pleschka. Dazu werde MEK über Phosphatmoleküle aktiviert und gibt in der Folge das Signal zur Zellteilung und Spezialisierung an nachgeschaltete Instanzen weiter. "Auf Grund unserer Daten scheint das Grippevirus diese Aktivität der Signalkaskade für einen viralen Transportprozess innerhalb der Zelle zu missbrauchen. Damit kann es im Zellkern produzierte Virus-Bausteine in das Zellplasma transportieren", beobachtete der Würzburger Zellforscher Dr. Stephan Ludwig. Deshalb versuchte er mit seinen Kollegen diesen Signalweg mit einer Substanz (I0126, es handelt sich um ein Butadienderivat) zu unterbrechen. Im Zellkulturversuch stoppte der Hemmstoff die Vermehrung der Viren.
Wenn nun aber der Kinase MEK eine so entscheidende Rolle bei der Zellteilung zukommt, ist dann nicht mit einer Zellschädigung als Nebenwirkung zu rechnen? "Ein berechtigter Einwand", räumt Ludwig ein. Und auch Pleschka bestätigt: "Normalerweise könnte das tatsächlich die Zelle schädigen. Wir haben aber festgestellt, dass sich die Gesamtzahl und Lebensfähigkeit der Zellen trotz Hemmung des Signalweges nicht veränderte."
Zellen schalten einfach um
Ludwig erklärt das so: "Die Zellen scheinen auf einen parallelen Signalweg umzuschalten, wenn die Kinase MEK blockiert ist. Das Virus aber scheint dies nicht zu können". Und Pleschka ergänzt: "Offensichtlich wird der Signalweg nur zu bestimmten Zeiten der Zellentwicklung genutzt. Ist die Zelle ausgereift, und das sind Lungenzellen ja, bilden sie ein stabiles ruhendes Gewebe, das die Kinase MEK nicht oder nur in untergeordnetem Maße benötigt".
Andere Forschergruppen haben an Mäusen nachgewiesen, dass über eine Blockade dieses Signalweges auch die Entstehung von Darmkrebs verhindert werden kann. "Offensichtlich ohne gesundheitsschädigende Wirkung des Hemmstoffes für normale Mäuse", so Pleschka.
"Wir haben nun einen zellulären Zielpunkt identifiziert, an dem man die Grippeviren angreifen kann", erläutert Ludwig den Stand der Dinge. "Wir denken bei einem zukünftigen Medikament auf der Basis der Hemmstoffe an einen lokalen Einsatz, etwa in Form eines Sprays, welches erlaubt, die Substanz dort einzubringen, wo die Infektion mit Grippeviren zuerst stattfindet, nämlich in der Lunge." Ludwig und Pleschka wurden unterstützt von Dr. Thorsten Wolff vom Berliner Robert-Koch-Institut und Dr. Oliver Planz von der Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere in Tübingen. Ihre Ergebnisse haben sie in der März-Ausgabe von "Nature Cell Biology" ausführlich dargestellt.
Im nächsten Schritt muss sich der neuentdeckte Ansatz im Tierversuch als wirksam erweisen. Dabei müssen Fragen der Substanzlöslichkeit, der Wirkdosis, der Verträglichkeit und der Verabreichung geklärt werden. Erst dann können klinische Studien folgen. Es wird also noch eine Weile dauern bis feststeht, ob sich der zunächst viel versprechende Ansatz tatsächlich für die Bekämpfung der Grippe eignet.
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