Medizin
Nachdem Meldungen über eine
bisher nie beobachtete Variante der
Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung in England und Frankreich
die Öffentlichkeit aufhorchen ließen und erneut die
Diskussion über die Übertragbarkeit von BSE auf den
Menschen aufkam, hat die Prionentheorie selbst neuen
Aufwind bekommen. Erstmals sind Prionen bei Hefe entdeckt
worden.
Stanley Prusiner von der Universität von
Kalifornien in San Francisco entdeckte bereits 1982 bei
Scrapie-kranken Schafen das maßgeblich beteiligte
Protein und nannte es Prion oder PrP. Kurze Zeit darauf
konnte er zusammen mit dem Molekularbiologen Charles
Weissmann von der Universität Zürich parallel mit
anderen Arbeitsgruppen das Gen für PrP bei gesunden
Mäusen und Hamstern nachweisen. Es codiert für ein
normales zelluläres Protein, PrP
c
genannt.
Die dreidimensionale Struktur des zellulären Proteins
gesunder Zellen weist viele spiralförmige a-Helices auf.
Seine Funktion ist zur Zeit noch unklar. Die
Wissenschaftler bezeichneten das bei den
Prionenerkrankungen auftretende Gegenstück zu PrP
c, das von dem gleichen Gen
codiert wird und folglich auch dieselbe
Aminosäuresequenz hat, als PrP
sc.
Die dreidimensionale Struktur des falsch gefalteten
Proteins besteht vorwiegend aus ß-Faltblättern. Die
Hypothese der Prionenerkrankungen geht davon aus, daß
ein falsch gefaltetes PrP
sc
in die Gehirnzellen gelangt und wie in einer
Dominosteinreaktion die PrP
c-Moleküle
in der Zelle dazu veranlaßt, sich ebenfalls falsch zu
falten.
Obwohl die Theorie der Prionenerkrankungen ein
wesentliches Dogma der Biologie untergräbt, daß
nämlich Pathogene sich ohne DNA oder RNA nicht
vervielfältigen können, hat sie mittlerweile viele
Anhänger. Der endgültige Beweis für die Richtigkeit
der Theorie ist jedoch noch nicht erbracht. Dazu müßten
die Wissenschaftler zunächst Prionen in vitro unter
Bedingungen synthetisieren, die garantiert frei von
viralen Nukleinsäuren sind. Danach müßten sie zeigen,
daß das Protein die krankmachende Konformation annehmen
und Tiere infizieren kann. Obwohl viele Arbeitsgruppen an
diesem Experiment arbeiten, ist es bis heute nicht
gelungen.
So glauben viele Wissenschaftler immer noch, daß hinter
der bovinen spongiformen Encephalopathie (BSE), Scrapie
und den menschlichen Prionenerkrankungen
(Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, fatale familiäre Insomnie,
Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom und Kuru) doch
ein sich langsam replizierendes, sehr widerstandsfähiges
Virus steckt, das bisher noch nicht entdeckt werden
konnte.
Richtige Spur durch falsche Faltung?
Interessanterweise haben die Forscher
mittlerweile zwanzig verschiedene Prionenstämme
isolieren können, die sich in der Geschwindigkeit, mit
der sich die Infektion in unterschiedlichen
Mäusestämmen etabliert, in der Art der Symptome und den
Gehirnläsionen unterscheiden. Die Kritiker der
Prionentheorie sehen darin deren Achillesferse. Eine
solche Plastizität scheint für ein Virus leicht zu
erklären, aber nicht für ein einzelnes Protein.
Ein Hinweis auf die Richtigkeit der Prionentheorie kam
nun aus den USA. Susan Lindquist und ihre Mitarbeiter von
der Universität Chicago untersuchten einen Hefestamm,
den sie mit PSI
+
bezeichnet haben. Es handelt sich dabei um Hefezellen,
die ein falsch gefaltetes Protein weitergeben. Dieses
Protein sorgt nach Lindquist dafür, daß andere
Proteinmoleküle mit derselben Aminosäuresequenz
ebenfalls ihre Form ändern, unlöslich werden und
zusammenklumpen. Die DNA in diesen Hefezellen bleibt
unverändert. Das Protein (Sup35) kann allein durch seine
Anwesenheit die Eigenschaften der Zellen verändern, ohne
daß DNA oder RNA im Spiel sind.
In Hefezellen ist das normale, richtig gefaltete Protein
an der Translation beteiligt. In PSI
+-Zellen
funktioniert das Protein dabei nicht, es liegt dort nach
Lindquists Ergebnissen unlöslich und zusammengeklumpt
vor. Damit das Eiweißmolekül die unlösliche
Konformation annehmen kann, braucht es nach den
Ergebnissen der Arbeitsgruppe aus Chicago die Hilfe eines
anderen Proteins, eines sogenannten Chaperons. Chaperone
sind Eiweißmoleküle, die anderen Proteinen helfen, eine
bestimmte Konformation einzunehmen.
Die Eigenschaften von Sup35 in seiner löslichen und
unlöslichen Konformation erinnern an die von PrP
c und PrP
sc.
Die von Lindquist und ihren Mitarbeitern entwickelte
Theorie geht davon aus, daß die Proteinklumpen von der
Mutter- auf die Tochterzellen weitergegeben werden, wenn
die knospenden Tochterzellen sich ablösen. Die wenigen
in den Tochterzellen vorliegenden Proteinklumpen dienen
dann als Keime, die neu synthetisiertes Sup35 anziehen
und mit Hilfe des Chaperons dafür sorgen, daß es seine
Konformation ändert und wiederum zusammenklumpt. So
vermehrt sich auch das falsch gefaltete Molekül ohne die
Hilfe von RNA oder DNA.
Neben PSI
+ gibt es noch
einen weiteren genetischen Faktor bei Hefe, URE3, dessen
Weitergabe sich die Wissenschaftler ebenfalls nur mit der
Prionentheorie erklären können. Auch hinter URE3 steckt
die proteaseresistente Form eines normalen zellulären
Eiweißmoleküls. Daß die Anwesenheit eines
Helferproteins für die Ausbildung der unlöslichen
Konformation verantwortlich ist, könnte darauf
hinweisen, daß auch für die Bildung von PrP
sc ein solches Protein nötig
ist. Diese Theorie würde die Schwierigkeiten erklären,
ein Prion in vitro herzustellen und damit Tiere zu
infizieren. Vorstellbar wäre, daß die Infektion nur
zusammen mit einem solchen Helferprotein funktioniert.
Die Existenz von Prionen bei Hefen beweist sicherlich
nicht die Infektiosität von PrP
sc
bei Säugetieren, wo es keine knospenden Tochterzellen
gibt. Aber es scheint eine von Nukleinsäuren
unabhängige Form von Vererbung zu geben, die bisher
nicht beachtet wurde. Das Phänomen ist offensichtlich in
der Natur weit verbreitet, da es diese Art, Information
weiterzugeben, sowohl in Hefen als auch bei Säugetieren
zu geben scheint.
Kritiker bezweifeln eine Übertragbarkeit des Hefesystems
auf Säugetiere, da nach ihrer Ansicht Hefeprionen wenig
mit dem Erreger von BSE und der
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gemein haben.
PZ-Artikel von Ulrike Wagner, Gießen
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