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Prionen bei Hefe entdeckt

10.03.1997  00:00 Uhr

- Medizin

  Govi-Verlag

Prionen bei Hefe entdeckt

  Nachdem Meldungen über eine bisher nie beobachtete Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung in England und Frankreich die Öffentlichkeit aufhorchen ließen und erneut die Diskussion über die Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen aufkam, hat die Prionentheorie selbst neuen Aufwind bekommen. Erstmals sind Prionen bei Hefe entdeckt worden.

Stanley Prusiner von der Universität von Kalifornien in San Francisco entdeckte bereits 1982 bei Scrapie-kranken Schafen das maßgeblich beteiligte Protein und nannte es Prion oder PrP. Kurze Zeit darauf konnte er zusammen mit dem Molekularbiologen Charles Weissmann von der Universität Zürich parallel mit anderen Arbeitsgruppen das Gen für PrP bei gesunden Mäusen und Hamstern nachweisen. Es codiert für ein normales zelluläres Protein, PrPc genannt.

Die dreidimensionale Struktur des zellulären Proteins gesunder Zellen weist viele spiralförmige a-Helices auf. Seine Funktion ist zur Zeit noch unklar. Die Wissenschaftler bezeichneten das bei den Prionenerkrankungen auftretende Gegenstück zu PrPc, das von dem gleichen Gen codiert wird und folglich auch dieselbe Aminosäuresequenz hat, als PrPsc. Die dreidimensionale Struktur des falsch gefalteten Proteins besteht vorwiegend aus ß-Faltblättern. Die Hypothese der Prionenerkrankungen geht davon aus, daß ein falsch gefaltetes PrPsc in die Gehirnzellen gelangt und wie in einer Dominosteinreaktion die PrPc-Moleküle in der Zelle dazu veranlaßt, sich ebenfalls falsch zu falten.

Obwohl die Theorie der Prionenerkrankungen ein wesentliches Dogma der Biologie untergräbt, daß nämlich Pathogene sich ohne DNA oder RNA nicht vervielfältigen können, hat sie mittlerweile viele Anhänger. Der endgültige Beweis für die Richtigkeit der Theorie ist jedoch noch nicht erbracht. Dazu müßten die Wissenschaftler zunächst Prionen in vitro unter Bedingungen synthetisieren, die garantiert frei von viralen Nukleinsäuren sind. Danach müßten sie zeigen, daß das Protein die krankmachende Konformation annehmen und Tiere infizieren kann. Obwohl viele Arbeitsgruppen an diesem Experiment arbeiten, ist es bis heute nicht gelungen.

So glauben viele Wissenschaftler immer noch, daß hinter der bovinen spongiformen Encephalopathie (BSE), Scrapie und den menschlichen Prionenerkrankungen (Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, fatale familiäre Insomnie, Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom und Kuru) doch ein sich langsam replizierendes, sehr widerstandsfähiges Virus steckt, das bisher noch nicht entdeckt werden konnte.

Richtige Spur durch falsche Faltung?

Interessanterweise haben die Forscher mittlerweile zwanzig verschiedene Prionenstämme isolieren können, die sich in der Geschwindigkeit, mit der sich die Infektion in unterschiedlichen Mäusestämmen etabliert, in der Art der Symptome und den Gehirnläsionen unterscheiden. Die Kritiker der Prionentheorie sehen darin deren Achillesferse. Eine solche Plastizität scheint für ein Virus leicht zu erklären, aber nicht für ein einzelnes Protein.

Ein Hinweis auf die Richtigkeit der Prionentheorie kam nun aus den USA. Susan Lindquist und ihre Mitarbeiter von der Universität Chicago untersuchten einen Hefestamm, den sie mit PSI+ bezeichnet haben. Es handelt sich dabei um Hefezellen, die ein falsch gefaltetes Protein weitergeben. Dieses Protein sorgt nach Lindquist dafür, daß andere Proteinmoleküle mit derselben Aminosäuresequenz ebenfalls ihre Form ändern, unlöslich werden und zusammenklumpen. Die DNA in diesen Hefezellen bleibt unverändert. Das Protein (Sup35) kann allein durch seine Anwesenheit die Eigenschaften der Zellen verändern, ohne daß DNA oder RNA im Spiel sind.

In Hefezellen ist das normale, richtig gefaltete Protein an der Translation beteiligt. In PSI+-Zellen funktioniert das Protein dabei nicht, es liegt dort nach Lindquists Ergebnissen unlöslich und zusammengeklumpt vor. Damit das Eiweißmolekül die unlösliche Konformation annehmen kann, braucht es nach den Ergebnissen der Arbeitsgruppe aus Chicago die Hilfe eines anderen Proteins, eines sogenannten Chaperons. Chaperone sind Eiweißmoleküle, die anderen Proteinen helfen, eine bestimmte Konformation einzunehmen.

Die Eigenschaften von Sup35 in seiner löslichen und unlöslichen Konformation erinnern an die von PrPc und PrPsc. Die von Lindquist und ihren Mitarbeitern entwickelte Theorie geht davon aus, daß die Proteinklumpen von der Mutter- auf die Tochterzellen weitergegeben werden, wenn die knospenden Tochterzellen sich ablösen. Die wenigen in den Tochterzellen vorliegenden Proteinklumpen dienen dann als Keime, die neu synthetisiertes Sup35 anziehen und mit Hilfe des Chaperons dafür sorgen, daß es seine Konformation ändert und wiederum zusammenklumpt. So vermehrt sich auch das falsch gefaltete Molekül ohne die Hilfe von RNA oder DNA.

Neben PSI+ gibt es noch einen weiteren genetischen Faktor bei Hefe, URE3, dessen Weitergabe sich die Wissenschaftler ebenfalls nur mit der Prionentheorie erklären können. Auch hinter URE3 steckt die proteaseresistente Form eines normalen zellulären Eiweißmoleküls. Daß die Anwesenheit eines Helferproteins für die Ausbildung der unlöslichen Konformation verantwortlich ist, könnte darauf hinweisen, daß auch für die Bildung von PrPsc ein solches Protein nötig ist. Diese Theorie würde die Schwierigkeiten erklären, ein Prion in vitro herzustellen und damit Tiere zu infizieren. Vorstellbar wäre, daß die Infektion nur zusammen mit einem solchen Helferprotein funktioniert.

Die Existenz von Prionen bei Hefen beweist sicherlich nicht die Infektiosität von PrPsc bei Säugetieren, wo es keine knospenden Tochterzellen gibt. Aber es scheint eine von Nukleinsäuren unabhängige Form von Vererbung zu geben, die bisher nicht beachtet wurde. Das Phänomen ist offensichtlich in der Natur weit verbreitet, da es diese Art, Information weiterzugeben, sowohl in Hefen als auch bei Säugetieren zu geben scheint.

Kritiker bezweifeln eine Übertragbarkeit des Hefesystems auf Säugetiere, da nach ihrer Ansicht Hefeprionen wenig mit dem Erreger von BSE und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gemein haben.

PZ-Artikel von Ulrike Wagner, Gießen
       

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