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Erschöpfungszustände quälen Tumorpatienten

01.01.2001  00:00 Uhr

FATIGUE-SYNDROM

Erschöpfungszustände quälen Tumorpatienten

von Brigitte M. Gensthaler, München

Mehr als drei Viertel aller Tumorpatienten leiden unter anhaltenden körperlichen und geistigen Erschöpfungszuständen, die sich auch durch Schlaf und Ruhe nicht bessern. Etliche empfinden diese Müdigkeit schlimmer als Schmerzen. Das Fatigue-Syndrom ist bei jedem achten Patienten so stark, dass er lieber sterben möchte.

Tumorpatienten stellen das Fatigue-Syndrom im Gespräch nicht in den Vordergrund, obwohl sie es als sehr belastend empfinden. Sie glauben, dass die Erschöpfung unabänderlich zu ihrer Krankheit gehört. "Viele Patienten sind sehr erleichtert, wenn der Arzt das Problem, das ihnen so viele Sorgen bereitet, anspricht", berichtete Professor Dr. Petra Feyer, Leiterin der Abteilung Strahlentherapie am Krankenhaus Berlin-Neukölln. Bei einem Pressegespräch der Firma GlaxoWellcome in München stellte sie Zahlen aus einer Studie vor. Danach gaben 78 Prozent der Patienten an, regelmäßig an Erschöpfungszuständen zu leiden, jeder dritte sogar täglich. Dennoch hielten nur 27 Prozent der Ärzte eine Therapie für nötig, zwei Dritteln erschien Ruhe als geeignetes Mittel.

Zu erschöpft zum Lesen

Die Fatigue ist eng verknüpft mit der Tumorerkrankung, besteht also bereits vor der Therapie und hat nichts mit anstrengenden Aktivitäten zu tun. Die Symptome reichen von allgemeiner Müdigkeit, verminderter Leistungsfähigkeit und anhaltender Schwäche bis hin zur geistigen Erschöpfung mit eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit. So fühlen sich viele Patienten schon nach kleinen Anstrengungen wie Duschen oder Treppensteigen nachhaltig erschöpft und können kaum ihren alltäglichen Aufgaben, etwa in der Familie oder ihrem Beruf, nachkommen. Einige sind so stark betroffen, dass sie sich selbst zum Lesen oder Telefonieren zu müde fühlen. Andere werden antriebslos oder depressiv. Soziale Kontakte leiden, ebenso die seelische Kraft zur Bewältigung der Erkrankung und der Therapie.

Begünstigend wirken ein schlechter körperlicher Zustand, Immobilisierung und Anämie. Ein direkter Tumoreffekt, zum Beispiel durch Zytokin-Freisetzung, ist denkbar, obwohl bislang keine eindeutige Korrelation zu Interleukin-2 oder Tumornekrosefaktor nachgewiesen wurde, berichtete die Radiologin. Ebenso können tumorbezogene Symptome wie Apnoe oder Therapie-Nebenwirkungen die Erschöpfung fördern. "Die Radiotherapie hat den geringsten, die Kombination von Chemo-, Radio- und Hormontherapie den höchsten Fatigue-Score."

Auf den Hämoglobin-Wert achten

Eine umfassende supportive Therapie kann das Erschöpfungssyndrom bessern. Dazu gehört eine gute analgetische, antiemetische und antidiarrhoische Behandlung, im Bedarfsfall künstliche Ernährung sowie die Beseitigung einer Anämie.

Eine Anämie kann beim Krebspatienten durch den Tumor selbst oder durch die Therapie entstehen. Der Mangel an roten Blutkörperchen schränkt die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff und damit die körperliche Leistungsfähigkeit ein. Nicht nur bei älteren, auch bei jungen Krebspatienten ruft eine Anämie Symptome wie Atemnot und ständige Müdigkeit hervor. Feyer: "Ein Hämoglobin-Wert unter 11 muss unbedingt behandelt werden", zum Beispiel mit Erythropoietin oder Erythrozytenkonzentraten. Kurzfristig könne man auch Steroide einsetzen, Anabolika verordnen die Ärzte beim Fatigue-Syndrom sehr zurückhaltend.

Die Seele stärken

Es geht aber auch darum, die seelische Grunderkrankung zu behandeln. Hilfreich sei es, den Patienten psychotherapeutisch zu betreuen, seine Angst zu behandeln und ihm zu helfen, die Lebensführung dem aktuellen Befinden anzupassen, sagte die Berliner Radiologin. Angemessene Bewegung regt Muskeln an und trägt damit zum Erhalt der Mobilität bei. Ein dosiertes Bewegungstraining empfehle sie zum Beispiel Patientinnen mit Brustkrebs.

Erster Schritt ist immer, die Fatigue als gravierende Befindensstörung anzuerkennen, mahnte die Ärztin und resümierte: "Wie ein Schatten begleitet Fatigue die Tumorerkrankung und die Therapie. Das einfühlsame Eingreifen des Therapeuten sollte ein positiver Lichtblick für den Patienten sein."

Der Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg informiert gut verständlich und patientennah über Fatigue und Erschöpfung. Viele praktische Tipps für die Gestaltung des Alltags und weitergehende Information zu den Ursachen bietet die Broschüre "Fatigue" der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. (DKG). Wer über den "Acrobat Reader" verfügt, kann sich die Broschüre als pdf-Datei herunterladen, ansehen und ausdrucken (www.krebsinformation.de/fatigue.html)..

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