Pharmazeutische Zeitung online

Märchen statt Medizin

19.11.2001  00:00 Uhr
AUSSTEIGER AUS DER PHARMAZIE

Märchen statt Medizin

von Ingeburg Unterhalt-Schüler, Marburg

Ludwig Bechstein gehört zu den fast vergessenen Märchenerzählern des 19. Jahrhunderts. Noch weniger bekannt ist, dass er auch Apotheker war. Er kehrte dem Beruf jedoch den Rücken, um sich mehr seinen dichterischen Talenten zu widmen. Am 24. November jährt sich sein Geburtstag zum 200. Mal.

Die ersten Lebensjahre verbrachte Bechstein als Pflegekind in ärmlichen Verhältnissen. Er wurde als uneheliches Kind der Johanna Carolina Dorothea Bechstein in Weimar geboren. Sein Vater war Louis Hubert Dupontreau, ein französischer Emigrant.

Im Oktober 1810 holte ihn sein Onkel, Johann Matthäus Bechstein, Forstwissenschaftler, Naturforscher und Gründungsdirektor der angesehenen Forstakademie Dreißigacker bei Meiningen, nach dem Tod des eigenen Sohnes zu sich. Der Pflegevater schickte ihn auf das Meininger Lyceum. Leider ließ der Fleiß oft zu wünschen übrig. Im folgenden Hausarrest in der Gesindestube interessierte sich der Junge eher für die Sagenerzählungen des Kutschers oder die heimliche Lektüre von Gespenstergeschichten und Volksbüchern wie "Siegfried" oder "Genofeva".

Die Probleme mit und in der Schule führten zu einem vorzeitigen Ende der Schulzeit. Ludwig Bechstein begann darauf 1818 in Arnstadt eine Apothekerlehre. Schon bald zeigte sich sein dichterisches Talent. Bereits 1823 erschien ein Bändchen mit Thüringer Volksmärchen. Nach Gehilfenjahren in Arnstadt, Meiningen und Bad Salzungen, die ihm aber die berufliche Erfüllung versagten, gewährte ihm der Herzog von Sachsen-Meiningen ein dreijähriges Stipendium. Dieser war durch die 1828 erschienenen "Sonettenkränze" auf Bechstein aufmerksam geworden.

Nach dem Studium der Philosophie, Geschichte und Literatur ab 1829 in Leipzig und Studien in München, kehrte Bechstein 1831 nach Meiningen zurück. Er trat als Kabinettsbibliothekar und zweiter Bibliothekar an der Herzoglich öffentlichen Bibliothek in die Dienste des Landesherrn. Zwei Jahre später übernahm er die Leitung der Bibliothek. Mit Freunden gründete er 1832 den Hennebergischen altertumsforschenden Verein, dessen Direktor er bis kurz vor seinem Tode blieb.

 

Ausstellung zum 200. Geburtstag PZ Apotheker, Dichter, Forscher, Sammler, Bibliothekar und Archivar - Ludwig Bechstein war ein vielseitiger Mann. Der Nachwelt ist sein Name vor allem durch das Bechstein'sche Märchenbuch in Erinnerung geblieben. Die bis heute verlegte Fassung mit Holzschnitten von Ludwig Richter war zeitweise beliebter als die Märchensammlung der Brüder Grimm.

Der 200.Geburtstag Bechsteins ist Anlass für die Meininger Museen, an das Lebenswerk der Thüringers in einer ausführlichen Ausstellung zu erinnern. Sieben verschiedene Ausstellungsräume führen den Besucher durch Bechsteins umtriebiges Leben. Zu sehen sind Dokumente und museale "Sachzeugen" seiner Kindheit in Weimar und Meiningen ebenso wie Gerätschaften aus seiner Apothekerzeit. Literarische Arbeiten während des Studiums in München und Leipzig deuten auf die folgende Auswahl seiner Märchen- und Sagenbücher hin.

Ur- und frühgeschichtliche Funde und Folterwerkzeuge sind vertreten - kaum ein Genre, das er nicht gesammelt hat. Einrichtungen wie die Wartburg oder das Germanische Nationalmuseum profitieren noch heute von der Sammelleidenschaft des Dichters.

Ausstellung: 
Ludwig Bechstein - Dichter, Sammler und Forscher
vom 30. September 2001 bis 31. März 2002
Dienstag bis Sonntag: 9 bis 17 Uhr.

Museum im Schloss Elisabethenburg
Meininger Museen
98605 Meiningen
Telefon: (0 36 93) 50 36 41

 

Es folgten die Bestallung als Hofrat 1840 und 1848 die Ernennung zum Archivar des Hennebergischen Gesamtarchivs. Ludwig Bechstein starb am 14. Mai 1860 im Alter von 58 Jahren in Meiningen. Aus zwei Ehen überlebten ihn vier Kinder, so der spätere Professor der Germanistik Reinhold Bechstein und der Maler Ludwig Bechstein (1) .

Trotz seiner beruflichen Pflichten brachte es Bechstein zu einem umfangreichen literarischen und wissenschaftlichen Werk. Als Sammler von Sagen und Märchen, die er aus pädagogischen Gründen bearbeitete, schloss er an die Frühromantik an, wobei die heimatkundliche Prägung auffällt. Sein "Deutsches Märchenbuch" von 1845 erfuhr zahlreiche Auflagen, die zwölfte erschien 1853 mit Illustrationen von Ludwig Richter. Lyrik, Reisebeschreibungen, Volksbücher, Novellen, Biographien und historische Romane, Veröffentlichungen über Mineralogie, Zoologie, Topographie und Ethnographie runden sein Schaffen ab (2).

Kritiker werfen Bechstein vor, dass sein umfangreiches Werk mehr in die Breite als in die Tiefe gehe (3). Zu dieser Produktivität dürften ihn seine ständigen Geldnöte gezwungen haben.

Eine Ursache dieser finanziellen Schwierigkeiten war seine Sammelleidenschaft für Kunst- und Kulturgegenstände (4). Hierzu gehörte auch eine Sammlung von Totentanzbildern. Die Anregung zu dem Gedicht "Der Totentanz" (1831) soll Bechstein am Giftschrank der Arnstädter Apotheke bekommen haben (5).

 

Literatur

  1. Bens, Rainer. Einige "Aussteiger aus der Pharmazie". (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 53). Stuttgart, 1989, S. 11-26, 37-46,51f, 81, 100 u. 103f.
  2. Goedeke, Karl. Grundrisz zur Geschichte der Deutschen Dichtung. Bd.13. Dresden 1938, S. 163-179. Bechstein, R(einhold). Allgemeine Deutsche Biographie. Bd.2. Leipzig 1875, S. 206-208.
  3. Goedeke, S. 163.
  4. Schorn, Adelheid von. Ludwig Bechstein zu seinem 100jährigen Geburtstag, 24.Nov. 1901. In: Frankfurter Zeitung Nr. 324, 1901. o.P.
  5. Bens, S. 26.

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