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Hauptsache süß

10.11.2003  00:00 Uhr
125 Jahre Saccharin

Hauptsache süß

von Bernard Unterhalt, Marburg

1878 wurde der erste synthetische Süßstoff, o-Benzoesäuresulfimid, besser bekannt unter dem Namen Saccharin, entdeckt (1). Die farblosen Kristalle mit der etwa 500-fachen Süßkraft von Haushaltszucker wurden zur Grundlage des heute ältesten Süßstoffs in Deutschland.

Constantin Fahlberg (1850 bis 1910) kam im Frühjahr 1878 nach Baltimore (2) an das Institut von Ira Remsen (1846 bis 1927). Für die Firma Perot, deren Importzucker beanstandet worden war, führte er Zuckeranalysen durch. Daneben bearbeitete er die Oxidation von Toluolsulfonsäuren und deren Amiden.

Im Mai 1878 stellte er o-Benzoesäuresulfimid her und wurde im Juni desselben Jahres auf den auffällig süßen Geschmack aufmerksam: Als er zufällig seine Finger mit der Zunge berührte, nachdem ihm ein Versuchsansatz übergekocht war, bemerkte er, dass sie süß schmeckten. Die Publikation der Ergebnisse erfolgte erst 1879, weshalb sich diese Zahl als Entdeckungsjahr des Saccharins häufig in der Literatur findet (1).

Nach der Optimierung der Herstellung im so genannten Remsen-Fahlberg-Verfahren, meldete Fahlberg zusammen mit seinem Onkel, dem Agrarwissenschaftler Dr. Adolph List, den verbesserten Prozess zum Patent an. Beide sicherten sich das Warenzeichen Saccharin. Im März 1887 begann die Produktion in einer eigenen Fabrik, der Fahlberg-List AG bei Magdeburg. In den Handel gelangte Saccharin-Natrium als „Kristallsüßstoff“ mit einer etwa 450-fachen Süßkraft im Vergleich zum Haushaltszucker. Insbesondere Diabetikern gewährte das kalorienfreie „Zufallsprodukt“ ein erhebliches Stück mehr Lebensqualität.

Einen Sturm der Entrüstung rief die Markteinführung des Süßstoffs jedoch bei Vertretern der Landwirtschaft und Zuckerindustrie hervor. Der massive Protest führte 1898 schließlich zum 1. Süßstoffgesetz. Es sah zunächst ein teilweises Verbot vor, das 2. Süßstoffgesetz von 1902 schließlich stellte die Herstellung, Einfuhr und gewerbliche Verwendung von Saccharin grundsätzlich unter Strafe.

Nur in Apotheken

Die Abgabe in Apotheken an Personen mit einer amtlichen Erlaubnis zum Süßstoffbezug war jedoch erlaubt. Durch die Kriegsverordnung von 1916 wurde das Verbot zurückgenommen. 1922 erfolgte im 3. Süßstoffgesetz die Freigabe mit gewissen Auflagen. Im Verlauf der beiden Weltkriege und in der Nachkriegszeit wurde Saccharin wegen der Rationierung von aus Zuckerrohr oder Zuckerrüben gewonnener Saccharose zur begehrten Ware.

Als Anfang der 50er-Jahre der Wunsch nach kalorienarmer Süße immer weiter anwuchs, kam es zu Weiterentwicklungen. Zweiter „Süßstoff-Klassiker“ wurde das 1937 erfundene Cyclamat, das sich hervorragend mit Saccharin kombinieren ließ und diesem seinen bitteren Nachgeschmack nahm. Es folgten in den 70er und 80er-Jahren Aspartam und Acesulfam. Heute werden am häufigsten Kombinationen mehrerer Süßstoffe verwendet.

Ende der 70er-Jahre geriet Saccharin in den Verdacht, Krebs erregend zu sein. Untersuchungen an Ratten, die mit extrem großen Mengen Saccharin gefüttert worden waren, hatten ein erhöhtes Risiko für Blasenkrebs ergeben. Das führte dazu, dass in den USA Saccharin den Lebensmitteln nicht mehr direkt zugesetzt werden durfte. Es war jedoch zum persönlichen Gebrauch weiterhin frei erhältlich. Auf Grund neuerer Forschungsergebnisse sind diese Einschränkungen seit 2001 wieder aufgehoben.

Um Risiken zu vermeiden, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine obere Sicherheitsgrenze (ADI: Acceptable Daily Intake) für den täglichen Süßstoffverbrauch festgelegt, die für Saccharin beispielsweise bei 2,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht liegt.

Der durchschnittliche Saccharoseverzehr von etwa 100 Gramm pro Tag würde bei vollständigem Ersatz etwa 200 Milligramm Saccharin-Natrium erfordern. Das entspricht bei 80 Kilogramm Körpergewicht 2,5 Milligramm Saccharin-Natrium pro Kilo. Nach einer Umfrage bei Diabetikern liegt der durchschnittliche Verbrauch weit darunter, etwa bei 1 Milligramm pro Kilo und Tag (3).

 

Literatur

  1. Fahlberg, C., Remsen, I., Ber. Dtsch. Chem. Ges. 12 (1879) 469-473.
  2. Unterhalt, B., Pharm. Ztg. 145 (2000) 4358-4359.
  3. Unterhalt, B., Pharm. Ztg. 137 (1992) 1207-1212.
  • Übersichten: Hagers Hdb. der Pharmaz. Praxis, Bd VIIB (1977) 425-473 (s. auch unter 2).
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