Pharmazeut, Chemiker und Erfinder |
21.10.2002 00:00 Uhr |
Ernst Otto Beckmann
von Bernard Unterhalt, Marburg
In gesundheitspolitisch stürmischer Zeit rüsten sich interessierte Kreise zum Angriff auf die altbewährte Institution Apotheke. Es ist Genugtuung und Ansporn zugleich, zu betonen, dass schon Goethe von examinierten Pharmazeuten beraten wurde, die zum Teil ein Chemiestudium angehängt hatten. Den gleichen Ausbildungsweg beschritten später bedeutende Chemiker, die in loser Folge hier vorgestellt werden.
Einer der bekanntesten Chemiker, der der Pharmazie entstammt, ist Ernst Otto Beckmann. 1886 beobachtete er in Leipzig die intramolekulare Umlagerung von Ketoximen zu substituierten Amiden. Sie wurde nach ihm benannt und ist allen Pharmaziestudenten geläufig. Besonders wertvoll war die Erfindung des „Beckmann“-Thermometers, das für beliebige Temperaturbereiche die Messung von Differenzen auf einige tausendstel Grad genau erlaubt. So wurde die Molmasse-Bestimmung durch Gefrierpunkterniedrigung beziehungsweise Siedepunkterhöhung möglich. Außerdem lieferte er in seinen 170 Publikationen Beiträge zur Bestimmung des Fuselgehalts alkoholischer Flüssigkeiten, über die Verbindungen des Schwefels mit Chlor sowie über die Vitali-Reaktion zum Atropin-Nachweis.
Beckmann war der mittlere dreier Söhne eines Solinger Fabrikanten. Auf Wunsch seines Vaters sollte er Apotheker werden. Nach dem Abitur an der höheren Bürgerschule seiner Vaterstadt absolvierte er eine Apothekerlehre in einer Elberfelder Apotheke. Er arbeitete als Apothekergehilfe in verschiedenen Städten und kam schließlich, im Frühjahr 1874, zur theoretischen Weiterbildung zum Meister der analytischen Chemie in Wiesbaden: C.R. Fresenius. Nach dem Studium der Pharmazie und Chemie sowie Promotion zum Dr. phil. in Leipzig leistete er einen einjährigen Militärdienst in Straßburg, davon die zweite Hälfte der Zeit als Militärapotheker. Auf Grund seiner vorzüglichen Ausbildung bei Fresenius wurde er im Herbst 1879 Unterrichtsassistent bei F.W. R. Otto in Braunschweig. Er habilitierte sich 1882 für Chemie und Pharmazie, las über analytische und pharmazeutische Chemie und war Mitglied der pharmazeutischen Prüfungskommission.
Zeittafel
Im Herbst 1883 zog es ihn nach Leipzig zurück, wo er sich unter A.W.H. Kolbe umhabilitierte. Dazu musste er das Reifezeugnis eines humanistischen Gymnasiums erwerben, was ihm innerhalb eines Semesters mit Nachprüfungen in Latein, Griechisch und Geschichte gelang. Nach dem Tod Kolbes wurde er von dessen Nachfolgern übernommen. Im so genannten zweiten Chemischen Labor unterrichtete er gemeinsam Pharmazeuten und Chemiker. Er würzte seine Vorlesungen mit humorvollen Bemerkungen, war freundlich und hilfsbereit und bei den Studenten sehr beliebt. In dieser Zeit erreichte er den Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Laufbahn und erhielt an seinem Geburtstag 1890 die Ernennung zum außerordentlichen Professor.
Nach einjähriger Tätigkeit in Gießen als außerordentlicher Professor für Physikalische Chemie wechselte er nach Erlangen als ordentlicher Professor für Pharmazeutische Chemie und Direktor der staatlichen Untersuchungsanstalt für Nahrungs- und Genussmittel. Er bezog in der alten markgräflichen Orangerie eines der ersten selbstständigen pharmazeutischen Universitätsinstitute. Nach fünf Jahren übernahm er die für ihn neu gegründete Professur für Angewandte Chemie in Leipzig. Verhandlungen in Berlin aus Anlass des Neubaus des pharmazeutischen Instituts in Dahlem verliefen nicht erfolgreich, einen Ruf nach München lehnte er ab.
Anlässlich der 100-Jahr-Feier der Berliner Universität 1910 fand die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft statt. Sie beschloss den Bau des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie, dessen Direktor Beckmann wurde. Er hält 1913 in einer öffentlichen Sitzung der Preußischen Akademie der Wissenschaften seine Antrittsrede und feiert im Kreis vieler Freunde und Schüler seinen 60. Geburtstag.
Der erste Weltkrieg verhinderte eine weitere erfolgreiche Forschung. Beckmann wurde unter anderem Mitglied des Kriegsausschusses für Ersatzfutterstoffe und entdeckte ein verbessertes Verfahren zum Strohaufschluss sowie zur Entbitterung von Lupinen. Das Maß des Auslaugens der Bitterstoffe bestimmte er geschmacklich, was ihm eine in der Veterinärmedizin bekannte Lupinose eintrug, an deren Folgen er schließlich 1923 starb.
Literatur
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