Geheimnisvolle Zeichen der Alchemie |
10.06.2002 00:00 Uhr |
von Martin Militz, Potsdam
Alchemistische Symbole blicken auf eine lange Geschichte zurück. Sie wandelten sich von mystisch und fremdartig anmutenden Zeichen in eine Wissenschaft von der "Umwandlung der Stoffe" und fanden auch Eingang in den Apothekenalltag.
"Die pharmazeutisch- chemischen Schriftsteller bedienen sich öfters gewisser Charaktere, um dadurch verschiedene Dinge zu bezeichnen." Mit diesem Satz lässt der gelernte Apotheker, Arzt und weiland Professor der Medizin in Halle, F. A. Carl Gren (1760 bis 1798 ), einen Abschnitt in seinem "Handbuch der Pharmacologie oder der Lehre von den Arzneymitteln" beginnen. In diesem 1790 erschienenen Werk geht der Verfasser - ein Protegé von Bartholomäus Trommsdorff - auf die in dieser Zeit gebräuchlichen, der Alchemie entlehnten, Symbole und Zeichen ein, welche er hier "Charaktere" nennt.
Sie wurden, seit dem 17. Jahrhundert verstärkt, zu den gängigen Apothekerzeichen. Auf den kunstvoll gestalteten Beschriftungen von Apothekengefäßen dieser Zeit sind häufig entsprechende alchemistische Symbole zu erkennen. Auch amtliche Arzneibücher wie das "Dispensatorium pharmaceuticum Austriaco Viennense" verwendeten die Kürzel. Sie garantierten nicht nur zeit-, sondern auch platzsparendes Schreiben. Allerdings sollte man sie nie dort einsetzen, wo sie leicht zu Irrtümern führen könnten, ja, wo es um Leben und die Gesundheit des Menschen ginge, so der Verfasser. Auch mancher Stümper und Scharlatan bediene sich der Zeichen gerne, um bei "Nichtkönnern" zu prahlen, gibt Gren zu bedenken.
In dem alten Handbuch der Pharmacologie, in dem Gren beschreibt, was zur "geschickten Bereitung von Arzneyen nötig" ist, befindet sich auch eine vier mal sieben Zentimeter große handschriftliche Aufzeichnung. Diese in zierlichen Schriftzügen verfasste Notiz enthält eine Folge von alchemistischen Symbolen. Die Zeichen scheinen in einem Verhältnis zum "Sal polychrestum de Seignette", dem Seignettesalz zu stehen. Darauf deutet ein der Formelschrift beigefügter Hinweis auf Paragraf 188 hin, unter dem Gren in seinem Handbuch die chemische Bereitung und Prüfung des genannten Salzes beschreibt. Das Datum "27. September 1793" in gleicher Handschrift gestattet eine zeitliche Zuordnung. Vermutlich stammt der Schriftzug von einem damaligen Kollegen, der dem Chemismus des Seignettesalzes seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Weitere Zeilen mit ausschließlich pharmazeutisch relevanten Daten wie dem Erscheinungsjahr verschiedener Pharmakopöen, Arzneitaxen und anderer pharmazeutischer Werke, mögen diese Vermutung bestätigen.
Der Versuch, die geheimnisvollen Zeichen zu deuten, erweist sich als äußerst schwierig. Zum einen waren die alchemistischen Symbole mehrdeutig, zum anderen sind sie durch ihre sehr kleine Schreibweise schwer interpretierbar.
Da mir die Deutung der Zeichen in ihrem Zusammenhang nicht gelingen wollte, wandte ich mich an das Niederlausitzer Apotheken-Museum in Cottbus und an das Deutsche Apotheken-Museum in Heidelberg. Bei beiden stieß ich auf großes Interesse und Hilfsbereitschaft. Doch trotz der vereinten Bemühungen gelang die Deutung des Textes nur teilweise.
Von der Schmiedekunst zur Chemie
Die Ursprünge der für Pharmazie, Medizin und Botanik so wichtigen Chemie dürfte bei den Metallschmelzern und Schmieden alter Völker zu suchen sein, speziell der Ägypter und Babylonier. Etwa zu Beginn der Eisenzeit bildeten diese Kundigen mehr oder weniger geheime Bünde mit dem Ziel der Geheimhaltung ihrer hoch entwickelten Fertigkeiten in der Metallurgie, Emailleherstellung und anderer Künste. Eine weitere Quelle für die sich bildende Wissenschaft von der "Umwandlung der Stoffe" finden sich in der ägyptischen Mysterientradition.
Von großer Bedeutung für die Ikonografie der Alchemie ist auch das von den alten Völkern genutzte astrologische System. Die Verwendung des Dreiecks - der ersten geometrischen Figur - für die Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde soll auf die Ideenwelt des großen griechischen Philosophen Plato zurückgeführt werden können.
Die Alchemie, so die auf die Araber zurückgehende Bezeichnung (al-kimiya, lat.: alchemie) für die anfänglich aus mineralogisch, technischen Fertigkeiten entstandene Wissenschaft, wurde durch Aufnahme von Religion und Kunst zur "ganzheitlichen Wissenschaft" Arabische Gelehrte übernahmen im achten und neunten Jahrhundert teils die alexandrinische Alchemie, zum Teil schöpften sie aus antiken Quellen. Über Spanien und Sizilien nahm die Wissenschaft ihren Weg nach Mitteleuropa. Hier wurden zum Beispiel die Fertigkeiten bei der Destillation und die Kenntnisse von der Mineralsäuren-Herstellung verfeinert und erweitert.
Suche nach dem Stein der Weisen
Alchemie ist ein Wort, das an Betrug erinnert, aber auch an den Weisen, der mit geheimnisvollen Geräten in dunklen Laboratorien hantierte. Generationen von Alchemisten bemühten sich, den "Stein der Weisen" herzustellen. Die geheimnisvolle Substanz sollte unedle Metalle in wertvolles Gold oder Silber verwandeln und galt als Allheilmittel des Lebens.
Nach Justus von Liebig war die Alchemie mehr als betrügerische Goldmacherei: "Die Alchemie war in Beziehung auf Naturerkenntnis anderen Naturwissenschaften voraus. Die Unkenntnis der Chemie und ihrer Geschichte ist der Grund der sehr lächerlichen Selbstüberschätzung, mit welcher viele auf das Zeitalter der Alchemie zurückblicken. Wie wenn es möglich oder überhaupt denkbar wäre, dass über 1000 Jahre lang die kenntnisreichsten Männer, ein Francis Bacon, Spinoza, Leibnitz eine Ansicht für wahr halten können, der aller Boden gefehlt und welche keine Wurzel gehabt hätte."
Wege zur neuen Zeichensprache
Die experimentelle Beschäftigung mit Stoffen und chemischen Reaktionen machte es notwendig, Beobachtungen und Ergebnisse so aufzuzeichnen, dass sie reproduziert und verglichen werden konnten. Schon früh entwickelten sich in der Praxis spezielle Schreibweisen für die unterschiedlichen Substanzen, aber auch für Geräte und alchemistische Verfahrensschritte. Teilweise wurden die astronomischen Symbole der Gestirne in die Formelsprache mit einbezogen.
Das Schmelzen, Brennen und Destillieren ganzer Alchemisten-Generationen hatten zur Entdeckung von Substanzen geführt, die den Arzneischatz der Apotheken beträchtlich erweiterten. Beispielhaft genannt seien das Wismut, einige Salze des Metalls und das von Glauber 1658 entdeckte Natriumsulfat. Wegen seiner guten Wirkung hieß es auch Sal mirabile Glauberi oder kurz Wundersalz.
Mit der stürmischen Erweiterung des Wissens wandelte sich die dem philosophisch-mystischen Denken verbundene Alchemie zur nüchternen, sachlich forschenden Chemie mit einer neuen Zeichensprache. Auf den Schweden Berzelius geht die jetzige chemische Schreibweise zurück. Er wählte zur Kennzeichnung der Elemente die lateinischen Anfangsbuchstaben ihrer Namen. Auch für die chemischen Verbindungen fand er um 1820 eine der heutigen Schreibweise ähnliche Form. Im "Repetitorium und Examinatorium über pharmaceutische Chemie" von Professor Wilibald Artus von 1850 wird die neue Schreibweise bereits erläutert und angewandt. Erwähnenswert ist dennoch, dass Hermann Hager in seiner "Technik der Pharmaceutischen Receptur" von 1890 in einer tabellarischen Übersicht nebst Abbildungen auf die alten Symbole eingeht.
Die angeführte zeitgenössische Scriptur mit den alten Symbolen gibt einen Hinweis darauf, dass diese Zeichen in der Praxis durchaus in Gebrauch waren, wie Gren am Anfang seines Handbuches vermerkt. Heute gestatten sie einen Blick in eine längst vergangene Epoche der Pharmazie.
Literatur
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