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Zukunftsretter

01.11.2004  00:00 Uhr

Zukunftsretter

Die Deutschen rauchen weniger - ein Erfolg der stufenweise erhöhten Tabaksteuer. Die Deutschen fahren weniger Auto und tanken weniger Benzin - ein Erfolg der mehrmals erhöhten Ökosteuer. Die Deutschen gehen seltener zum Arzt und senken damit die Ausgaben bei den Krankenversicherungen. Das ist ein Erfolg der Praxisgebühr und der höheren Zuzahlungen der Versicherten. Die Ärzte haben in den ersten neun Monaten des Jahres 23,2 Prozent weniger Packungen verschrieben, apothekenpflichtige Arzneimittel wurden sogar um 62,6 Prozent weniger verordnet, der Anteil der Generika an den Verschreibungen stieg von 36,5 auf 39,5 Prozent und wird noch weiter steigen - Erfolge des GKV-Modernisierungsgesetzes.

Eigentlich genug Gründe, sich zu freuen. Aber richtige Freude über diese Erfolge will nicht aufkommen, denn die Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme sind gravierend. So sollte die Ökosteuer das wachsende Loch in der Rentenversicherung stopfen. Doch der geringere Benzinverbrauch lässt das Defizit noch größer werden. Die Finanzreserven der Rentenversicherung schmelzen dahin und genügen bald nicht mehr den gesetzlichen Vorgaben. Der Bund wird die Löcher in den Kassen stopfen müssen. Die Folge: Die Staatsverschuldung wird weiter steigen und macht Hans Eichels Prognose, im nächsten Jahr die EU-Stabilitätskriterien erfüllen zu können, mehr als nur unglaubwürdig.

Die Mehreinnahmen aus der dreistufigen Erhöhung der Tabaksteuer sollten eigentlich in die Gesetzliche Krankenversicherung fließen und familienpolitische Leistungen wie das Mutterschaftsgeld finanzieren. Dass die Steuer die Raucher so abschrecken würde, war zwar ein gesundheitspolitisches Ziel, der große Erfolg aber finanzpolitisch nicht einkalkuliert. Das Geld fehlt nun nicht nur bei der Finanzierung von Gesundheitsleistungen. Der Forderung von Finanzpolitikern, die nächste Stufe der beschlossenen Steuererhöhung auszusetzen, lehnt das Gesundheitsministerium entschieden ab. Das Argument: Auf lange Sicht würden die Krankheitskosten sinken, wenn weniger Menschen rauchen. Aber so lange kann Eichel nicht warten. Sollte Deutschland 2005 erneut bei der Neuverschuldung die 3-Prozent-Marke überschreiten, drohen aus Brüssel zusätzliche Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Die Staatsfinanzen würde dies noch weiter in den Keller ziehen.

Die Beispiele Tabaksteuer und Ökosteuer, die zur Verhaltensänderung der Bundesbürger führen, aber Einnahmen garantieren sollten, zeigen, dass die augenblickliche Steuerpolitik und die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme nicht nachhaltig genug geplant sind. Wer nachhaltig denkt, muss sich vorher entscheiden, ob er die Einnahmen erhöhen oder die Menschen vom Rauchen und Autofahren abbringen will. Beides zusammen kann nicht funktionieren.

Es wird Zeit, dass über Parteigrenzen hinweg endlich eine Steuerreform und eine Reform der Finanzierung des Gesundheitssystems eingeleitet werden, die ihren Namen gerecht werden und den Bürgern und dem Staatshaushalt Planungssicherheit geben.

Professor Dr. Hartmut Morck
Chefredakteur
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