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Expertenrat

14.07.2003  00:00 Uhr

Expertenrat

Experten, die nicht die gewünschte Meinung vertreten, gelten in der Politik entweder als inkompetent oder als Lobbyisten. Auch die Bundesregierung hat die schlechte Angewohnheit, sich in der Gesundheitspolitik fast ausschließlich von einem kleinen Kreis von Fachleuten beraten zu lassen, die ihre politische Stoßrichtung unterstützen. Diese Ignoranz könnte negative Folgen haben.

So könnte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt in den kommenden Monaten mehr mit dem Europäischen Gerichtshof zu tun bekommen als ihr lieb ist. Sieht sie ihn beim Thema Versandhandel noch als Verbündeten, dürfte er in einem zentralen Punkt der Gesundheitsreform zum Gegner werden: Hält die Ministerin an selektiven Verträgen zwischen Krankenkassen und Ärzten fest, dann dürfte sie nach Meinung des Europarechtlers Professor Dr. Meinhard Heinze bald einen weiteren Termin in Luxemburg bekommen.

Die im GMG-Entwurf angekündigten selektiven Verträge zwischen Krankenkassen und Ärzten (oder Versandapotheken) sind nach Heinzes Überzeugung eine Bildung kartellartiger Strukturen, die den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr in der EU behindern (siehe Seite 9). Ulla Schmidt, die sich beim Versandhandel gerne an die Spitze der europäischen Bewegung setzte, scheint dies zu ignorieren. Ihre Juristen teilen die europarechtlichen Vorbehalte offensichtlich, werden aber nicht gefragt oder überhört.

Experten nicht zu fragen hat in der Politik zurzeit leider Hochkonjunktur, vor allem wenn diese eine zur gewünschten Aussage konträre Meinung vertreten. Angeblich um den Lobbyismus auszuschließen, wurden viele Expertengruppen erst gar nicht in die Gesundheitsreform einbezogen. Ärzte und Apotheker schon gar nicht. Es sei denn, sie arbeiten nicht in ihrem Beruf. Aber offensichtlich hat man auch auf den Rat von Juristen weitgehend verzichtet. Das könnte sich rächen.

Ein weiteres Beispiel, bei dem das politisch Erwünschte nicht mit der Realität abgeglichen wurde, ist die geplante Aufhebung des Mehrbesitzverbotes, vielleicht auch des Fremdbesitzverbotes. Apothekenketten sollen Arzneimittel preiswerter abgeben als Individualapotheken, glaubt die Bundesregierung. Ein Blick nach Norwegen lässt Zweifel aufkommen. Dort gibt es seit zwei Jahren Apothekenketten. Sie haben in kürzester Zeit ein Oligopol gebildet und diktieren die Preise nach Belieben. Außerdem ist die Zahl der Apotheken um 25 Prozent gestiegen. Spekulierte die Bundesregierung nicht auf weniger Apotheken? Ignoriert wurde auch der Verweis der Apotheker auf die USA, wo Apothekenketten zwar erlaubt, die Arzneimittelpreise dennoch Weltspitze sind.

Die Politik befindet sich auf einem falschen Weg, wenn sie glaubt, sie könne auf das Fachwissen von Experten verzichten. Es ist ein Fehler, in Apothekern und Ärzten nur Lobbyisten zu sehen und Juristen nur dann zu hören, wenn sie die eigene Meinung unterstützen. Eine Gesundheitsreform, die allein von Ökonomen gemacht wird, hat ihren Namen nicht verdient und schadet letztlich auch den Patienten.

Vielleicht bieten die aktuellen Gespräche zwischen Regierung und Opposition einen geeigneten Rahmen für ein Konzept, bei dem die tatsächlichen Notwendigkeiten die allein parteipolitisch opportunen Ideen in den Hintergrund drängen. Möglicherweise besinnen sich Regierung und Opposition auf den Rat der praktisch tätigen Fachleute. Die Aufforderung „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ gilt auch für Politiker. Niemand erwartet, dass die Vorschläge der Heilberufler eins zu eins ins Gesetz kommen. Es reicht, wenn sie ernsthaft und vorurteilsfrei geprüft werden.

Die Politik sollte dann auch noch einmal die Erklärung des Zusammenschlusses der Apotheker in der Europäischen Union (ZAEU) lesen. Dort legen Europas Apotheker eindeutig dar, warum der Versandhandel mit Arzneimitteln keine geeignete Alternative für die Versorgung von Patienten ist. Sie betonen darin den Wert des direkten Kontaktes zwischen Patienten und Apothekern und die Gefahren des Versandes. Die Erklärung ist keineswegs Lobbyismus pur, sondern Ausdruck einer echten Sorge. Sollten die Politiker von Regierung und Opposition Zweifel daran haben, dann sei auf ein Papier des Europäischen Rates verwiesen. Das Gremium der europäischen Staaten hatte vor zwei Jahren mit großer Mehrheit fast dieselbe Position wie die Apotheker vertreten.

Daniel Rücker
Stellvertretender Chefredakteur
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