Pharmazeutische Zeitung online

PZ Editorial

11.03.2002  00:00 Uhr

Kriminell

Leserinnen und Leser der ärztlichen Fach-, Standes- und Klatschpresse sehen sich in diesen bewegten Wochen zurückversetzt in die Zeit des Klassenkampfes. Auf der einen Seite: der liebenswerte Onkel Doktor, der sich durch Unbestechlichkeit und höchste Patientenorientierung auszeichnet. Gegenüber die bösen Apothekerinnen und Apotheker, die nur eines im Sinn haben: dem armen Arzt von nebenan das Leben schwer zu machen.

Den Höhepunkt einer tumben und nicht im Mindestmaß sachorientierten Kampagne deutscher Ärzteverbände gegen Aut idem und die Apothekerschaft zelebrierte am Wochenende der NAV - Virchow-Bund, der Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands. Von den Strahlen der wohl zu kräftigen Frühlingssonne gekitzelt, forderte der Kölner Verband ohne Umschweife das Dispensierrecht für Ärzte. Im Aut-idem-Chaos sollten nun die niedergelassenen Ärzte "im Interesse der Patientinnen und Patienten die Grundversorgung mit Arzneimitteln selbst in die Hand nehmen".

Wenn der Karneval nicht gerade Vergangenheit, und der 1. April noch in weiter Ferne wäre, bliebe Anlass zum Schmunzeln. Doch weit gefehlt. Die Mediziner verstehen sich mit ihrer Forderung als Speerspitze der deutschen Ärztelobby.

Das Rauschen im Wald der Ärztepresse sorgt dafür, dass Aut idem kaum angewendet wird. Per Stempel wird die Substitution vom Arzt generell ausgeschlossen, auch PC-Programme sorgen für konsequenten Ausschluss und die Kassenärztliche Bundesvereinigung rät den Ärzten, selbst im unteren Preisdrittel zu verordnen.

Ärztelobbyisten nutzen die allgemeine Konfusion, an der das Gesundheitsministerium maßgeblich beteiligt ist, um der Apothekerschaft aus dem sinnvollen Aut idem einen Strick zu drehen. Dispensieren wollten sie schon immer gerne, die Ärzte. Und einige fischen fröhlich in fremden Teichen vor sich hin. Ärzte gründen oder beteiligen sich auf vielfältigste Weise an Pharmafirmen. Ein Gewissenskonflikt ist für die Rezeptausfüller nicht auszumachen.

Die Kritik der Ärzte, Apotheker würden bei der Substitution nur nach den Rabatten schielen, erscheint mit Blick auf den aktuellen Ärzteskandal geradezu lächerlich. Ermittlungen gegen mehr als 3700 Mediziner sprechen für sich. Ärzten ein - und wenn auch nur teilweises - Dispensierrecht einzuräumen, wäre vor diesem Hintergrund katastrophal. Man würde den Bock zum Gärtner machen.

Im Gesundheitsministerium reibt man sich die Augen, Ärztekammern und -verbände erklären sich dünn oder besser gar nicht. Was in der Kölner Politik als schwerwiegender Klüngel gilt, haben Ärzte hier zu Lande perfektioniert. Scherzbolde behaupten schon, die Abkürzung KV stehe nicht für Kassenärztliche, sondern für Kriminelle Vereinigung.

Während Ärzte die Gerichtsbarkeit mit ihren Machenschaften massenhaft lahm legen, kümmern sich Apothekerinnen und Apotheker darum, wie die Aut-idem-Regelung sinnvoll umgesetzt wird. Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft hat das wissenschaftliche Rüstzeug erarbeitet. Ärzte täten gut daran, ihre Blockade aufzugeben und nun endlich zum Wohl der Patienten zu handeln.

Thomas Bellartz
Chef vom Dienst
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