Unredlich |
02.02.2004 00:00 Uhr |
Aktuell stehen Kassenärzte und pharmazeutische Industrie unter Beschuss aus dem Regierungslager. Die Industrie, weil sie angeblich die Änderung der Arzneimittelpreisverordnung dafür genutzt hat, ihre Abgabepreise zu erhöhen; die Ärzte, weil sie keine Selbstmedikationsarzneimittel mehr verordnen.
Während die Vorwürfe gegen die Industrie zumindest im Kern nicht ganz falsch sind, ist die Kritik an den Ärzten doch mehr als unredlich. Auch wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen mit ihrer generellen Empfehlung, keine OTC-Arzneimittel mehr zu verschreiben, sicher über das Ziel hinausschießen, gebührt der schwarze Peter doch anderen. Denn die Unsicherheit, welche OTC-Arzneimittel Ärzte noch bei welchen Erkrankungen aufschreiben dürfen, ist maßgeblich Resultat des Reformprozesses und damit Regierung und Union anzulasten.
Wirklich überraschend kommt die Zurückhaltung der Ärzte nämlich nicht. Eine verbindliche Liste der erstattungsfähigen OTC-Arzneimittel erstellt der gemeinsame Bundesausschuss bis zum 1. April. In der Übergangsfrist dürfen Ärzte zwar im begründeten Einzelfall bei schwer wiegenden Erkrankungen zur Standardtherapie gehörende nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verordnen. Die Regierung hätte aber wissen müssen, dass diese Regelung den Elan der Ärzte bremst. Denn sie beschert den Medizinern Mehrarbeit und ein finanzielles Risiko. Angesichts der Freude von Krankenkassen am Retaxieren von Apothekenrechnungen ist es naheliegend, dass die hauptberuflichen Kostendämpfer der Kassen die Begriffe „schwer wiegende Erkrankung“ und „Therapiestandard“ durchaus restriktiver interpretieren als die verordnenden Ärzte.
Wenig aufrichtig ist die Kritik der Bundesregierung an den Ärzten auch angesichts der Äußerungen ihres Chef-Arzneimittelberaters Professor Dr. Gerd Glaeske. Der bezeichnete in den vergangenen Monaten auf zahlreichen Veranstaltungen Selbstmedikationsarzneimittel als größtenteils unwirksam. Den Patienten riet er, diese Präparate überhaupt nicht mehr zu kaufen. Dem hat bislang weder Ulla Schmidt noch ein anderer führender Gesundheitspolitiker der Bundesregierung widersprochen. Übrigens steht auch in den Publikationen des Bundesgesundheitsministerium zur Reform die Ausgrenzung im Vordergrund. Dass OTC-Produkte in manchen Fällen weiter erstattet werden dürfen, wird gar nicht oder nur in einem Nebensatz erwähnt.
Die Breitseiten der Bundesregierung gegen die Ärzteschaft können auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die aktuellen Schwierigkeiten bei der Verordnung von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auch ein Resultat der wissenschaftlich schwer nachvollziehbaren Verquickung von Verschreibungspflicht und Erstattungsfähigkeit sind. Apotheker, und hier vor allem die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft, haben immer wieder darauf hingewiesen, dass Selbstmedikationsarzneimittel sich per Definition nicht in der Wirksamkeit von verschreibungspflichtigen Medikamenten unterscheiden, sondern im Gefährdungspotenzial. Eine zwingende Konsequenz der Regelung ist deshalb, dass auch wirksame und gut verträgliche Arzneimittel aus dem Erstattungskatalog herausgenommen werden. Auch der Bundesgesundheitsministerin muss dies bekannt gewesen sein. Sie sollte jetzt auch zu den Konsequenzen stehen.
Daniel Rücker
Stellvertretender Chefredakteur
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