Diabetes: Fast alle Patienten dürfen Auto fahren |

Eine Diabetes-Erkrankung ist für sich genommen kein Grund, auf das Autofahren zu verzichten. «Die allermeisten Menschen mit Diabetes können sicher am Straßenverkehr teilnehmen, auch als Taxi-, Bus- oder Lkw-Fahrer», sagte Professor Dr. Reinhard Holl vom Universitätsklinikum Ulm heute bei einer Pressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in Berlin. Das gelte auch für Patienten, die Insulin spritzen. Das immer noch verbreitete Vorurteil, dass Insulin-pflichtige Diabetiker generell nicht Auto fahren dürfen, sei falsch. Auch ein hoher HbA1C-Wert an sich reiche nicht als Begründung für ein Fahrverbot.
Anlass der Pressekonferenz war die Vorstellung der neuen S2e-Leitlinie «Diabetes und Straßenverkehr», die die DDG als erste diabetische Fachgesellschaft in Europa erarbeitet hat und an deren Erstellung Holl als Koordinator und Mitautor beteiligt war. Diabetiker seien im Straßenverkehr nur wenig häufiger in Unfälle verwickelt als Stoffwechselgesunde; die Unfallhäufigkeit sei um etwa 10 Prozent erhöht, sagte Holl. Im Vergleich dazu seien etwa das Schlafapnoesyndrom aufgrund der erhöhten Tagesschläfrigkeit (200 Prozent erhöhte Unfallhäufigkeit) oder das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (400 Prozent erhöhte Unfallhäufigkeit) viel gravierendere Einschränkungen.
Nicht alle Diabetiker könnten jedoch unbesehen immer Autofahren. Einen Hinderungsgrund stellten beispielsweise schwere Unterzuckerungen dar: «Wenn der Patient während des vergangenen Jahres zwei oder mehr schwere Unterzuckerungen im Wachzustand hatte, kann er erst einmal nicht Autofahren», erläuterte Holl. Auch eine eingeschränkte Sehfähigkeit oder Nervenschäden in den Beinen, die dazu führen, dass der Patient die Pedale im Auto nicht sicher bedienen kann, seien mögliche Gründe für ein Fahrverbot. Vorübergehend nicht fahrtüchtig seien Patienten in der Einstellungsphase einer Insulinbehandlung sowie bei relevanten Therapieumstellungen und Dosisänderungen.
Ein einmal ausgesprochenes Fahrverbot müsse jedoch nicht auf ewig Bestand haben, sagte Holl. So könnten etwa Patienten, die Hypoglykämien nur schlecht wahrnehmen, die Sensibilität für Unterzuckerungen in speziellen Schulungen erlernen. Beispiele seien HyPOS (Hypoglykämie – Positives Selbstmanagement) und BGAT (Blood Glucose Awareness Training). Bei Typ-2-Diabetikern sei meist eine Umstellung auf Medikamente mit geringerem Hypoglykämierisiko möglich, insulinpflichtige Patienten könnten beispielsweise ein kontinuierliches Blutzuckermesssystem mit akustischer Warnfunktion nutzen.
Welche Voraussetzungen ein Autofahrer erfüllen muss, um sich hinter das Steuer setzen zu dürfen, regeln in Deutschland das Straßenverkehrsgesetz und die Fahrerlaubnisverordnung. Letztere sieht unter anderem vor, dass die Details zur gesundheitlichen Eignung in den sogenannten Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung verbindlich geregelt sind. Diese Leitlinien erstellt die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), ein Forschungsinstitut in der Zuständigkeit des Bundesverkehrsministeriums, in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Fachgesellschaften.
«Unsere Leitlinien sind zwar rechtlich verbindlich, aber nicht sehr detailliert», sagte Dr. Martina Albrecht, die als Referatsleiterin bei der BASt unter anderem für Fragen der Fahreignung zuständig ist. Insofern stelle die Leitlinie der DDG eine sinnvolle und begrüßenswerte Ergänzung dar. Sie gebe sehr viel konkretere und detailliertere Handlungsempfehlungen für Gutachter und Ärzte als die der BASt. So heiße es etwa in der entsprechenden Begutachtungsleitlinie, dass «eine stabile Stoffwechsellage» gegeben sein muss, damit ein Diabetiker Autofahren darf. Was das ist, war jedoch bislang mitunter Ermessenssache von Gutachtern. Jetzt macht die DDG-Leitlinie klare Vorgaben.
Albrecht betonte, dass alle Beteiligten Pflichten hätten, wenn es um die Beurteilung der Fahrtüchtigkeit geht: Ärzte, Patienten, Gutachter und Behörden. Die Ärzte müssten ihre Patienten über eine mögliche Einschränkung der Fahrtüchtigkeit aufklären und das auch dokumentieren. Die Patienten seien verpflichtet, den ärztlichen Rat zu befolgen, denn wer Auto fahre, obwohl er dazu gesundheitlich nicht in der Lage ist, mache sich strafbar. Gutachter schließlich müssten stets den aktuellen Stand des Wissens für ihre Beurteilungen heranziehen, was wiederum die Behörde auch überprüfen müsse. (am)
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22.03.2018 l PZ
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