Schwangerschaft: Paracetamol könnte Hirnentwicklung stören |
Nehmen Frauen in den ersten 32 Wochen einer Schwangerschaft Paracetamol ein, könnte das beim Kind zu Aufmerksamkeitsdefizit-Symptomen führen. Bei männlichen Nachkommen steigt einer aktuellen Studie im «International Journal of Epidemiology» zufolge möglicherweise das Risiko für Störungen aus dem Autismus-Spektrum. Diese Zusammenhänge belegen die Autoren um Claudia Avella-Garcia vom Forschungszentrum CREAL in Barcelona mit einer Auswertung der Daten von 2644 Mutter-Kind-Paaren einer spanischen Geburtenkohorte.
Die Mütter wurden abhängig vom selbst berichteten Paracetamol-Gebrauch bis zum achten Schwangerschaftsmonat in drei Gruppen eingeteilt: nie, sporadisch und dauerhaft. Paracetamol ist offenbar auch in Spanien ein beliebtes Schmerzmittel bei Schwangeren, denn mehr als 40 Prozent der Frauen gaben an, es in dieser Zeit zumindest einmal eingenommen zu haben. 89 Prozent der Kinder wurden im Alter von einem Jahr und 80 Prozent als Fünfjährige mittels standardisierter Tests auf Symptome von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) untersucht.
Es stellte sich heraus, dass Kinder mit einer Paracetamol-Exposition im Mutterleib im Alter von fünf Jahren ein höheres Risiko für Hyperaktivität und Impulsivität hatten als nicht Exponierte. Besonders Kinder von Müttern mit dauerhaftem Paracetamol-Gebrauch in der Schwangerschaft schnitten in einem computerbasierten Test unter anderem bei Aufgaben zur Aufmerksamkeit und zur Impulsivität schlechter ab. Jungen zeigten zudem mehr Symptome von ASS, wenn sie im Mutterleib dauerhaft Paracetamol ausgesetzt gewesen waren. Im Vergleich zu Kindern von Müttern, die das Schmerzmittel in der Schwangerschaft nie angewendet hatten, betrug der Risikoanstieg für mindestens eine Auffälligkeit im ADHS-Test bei Jungen und Mädchen und für mindestens zwei Auffälligkeiten im ASS-Test bei Jungen etwa 30 Prozent.
Die Autoren betonen, dass sie in ihrer Studie Symptome gemessen haben und keine Diagnosen. Sie machen keine Aussage darüber, ob die festgestellten Auffälligkeiten im Einzelfall für die Diagnosen ADHS beziehungsweise ASS ausreichen. Allerdings könne ein Anstieg der Zahl von Symptomen einer dieser Störungen ein Kind auch dann stark beeinträchtigen, wenn sein Zustand eine klinische Diagnose noch nicht rechtfertigt, so Avella-Garcia.
Wie könnte Paracetamol der neurologischen Entwicklung schaden? Darüber stellt Koautor Dr. Jordi Julvez in einer begleitenden Pressemitteilung Mutmaßungen an. Eine Schädigung könne über die Aktivierung von Cannabinoid-Rezeptoren im Gehirn zustande kommen. Diese Rezeptoren seien an der Reifung von Nervenzellen und deren Verbindung miteinander beteiligt; Paracetamol könne diesen wichtigen Prozess verändern. Zudem sei denkbar, dass Paracetamol direkt toxisch auf Feten wirke, die den Wirkstoff noch nicht wie Erwachsene verstoffwechseln können, oder oxidativen Stress auslöse. Avella-Garcia fügt hinzu, dass Paracetamol eventuell als androgener endokriner Disruptor wirke, was sich auf die Gehirne von Jungen stärker auswirke als auf die von Mädchen.
Insgesamt sei der breite Einsatz von Paracetamol in der Schwangerschaft kritisch zu sehen und könne zu einem Anstieg der Fallzahlen von ADHS oder ASS beitragen, so die Autoren. Sie betonen jedoch, dass weitere Studien insbesondere mit genaueren Angaben zur verwendeten Dosis erforderlich sind. (am)
DOI: 10.1093/ije/dyw115
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05.07.2016 l PZ
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