»In diesem Politikfeld kann man viel Gutes bewirken« |
Der CDU-Gesundheitspolitiker hält eine rasche Stärkung der Apotheken für geboten. / © Tobias Koch
PZ: Herr Sorge, wo tut sich im Gesundheitssystem die größte Baustelle auf? Was muss in der neuen Legislatur also als Erstes angegangen werden?
Sorge: An einer deutlichen finanziellen Stabilisierung der Kranken- und Pflegekassen wird kein Weg vorbeiführen. Eine zukunftssichere Finanzierung ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir das hohe Versorgungsniveau in Deutschland halten können. Neben den Finanzierungsfragen gibt es einige Vorhaben, die dem abrupten Ende der Ampelregierung zum Opfer fielen. Diese wollen wir rasch aufgreifen, etwa die Reform der Notfallversorgung oder Nachschärfungen an der Krankenhausreform. Gleichzeitig planen wir Maßnahmen für mehr Steuerung in der Versorgung oder auch Entlastungen für die Apotheken.
PZ: Kommt die Soforthilfe für Apotheken? Welches Zeitfenster ist realistisch?
Sorge: Die konkrete Vorhabenplanung werden wir klären, sobald wir mit der SPD loslegen. Einigen Apotheken läuft aber schon jetzt die Zeit davon, gerade auf dem Land schmerzt jede Apothekenschließung besonders. Die Anpassung des Fixums würde vielen Apotheken dringend benötigte Spielräume verschaffen, wir möchten sie möglichst schon zu Beginn der Legislatur auf den Weg bringen.
PZ: Apotheken wollen mehr Verantwortung in der Gesundheitsversorgung, etwa bei Lieferengpässen unkompliziert Arzneimittel austauschen können, einfache, akute Erkrankungen behandeln, die Chronikerversorgung ausbauen und mehr Prävention anbieten. Wie bewerten Sie das »Zukunftskonzept Apotheke«?
Sorge: Die Teams in den Apotheken können mehr, als ihnen zuweilen zugetraut wird. Das stellen sie mit verschiedensten Beratungsangeboten und Dienstleistungen längst unter Beweis. Dieser Gedanke findet sich neben dem Positionspapier auch im Koalitionsvertrag wieder. Starke Apotheken entlasten die gesamte Versorgungslandschaft um sie herum. Es ist gut, wenn sie nun eigene Vorschläge für die medizinische Versorgung vor Ort vorlegen. Das unterscheidet sie auch von den meisten Versandhändlern.
PZ: Die Koalition will Versender bei der Einhaltung von Kühlketten und Nachweispflichten strenger kontrollieren. Wie wird die Einhaltung der gesetzlichen Auflagen durch die Aufsichtsbehörden sichergestellt? Wäre anderenfalls ein Ausschluss aus der Versorgung denkbar?
Sorge: Zumindest kann man nicht dauerhaft an der Versorgung teilhaben, aber nach anderen Regeln spielen als die niedergelassenen Apotheken. In bestimmten Bereichen muss der Rosinenpickerei ein Ende gesetzt werden, nötigenfalls durch strengere Kontrollen und entsprechende Sanktionen. Wer immer wieder gegen gesetzliche Pflichten verstößt, wird mit Konsequenzen zu rechnen haben.
PZ: Um das Finanzproblem der Kranken- und Pflegeversicherung soll sich eine Expertengruppe kümmern, erste Ergebnisse dürften nicht vor 2027 vorliegen. Ist das noch rechtzeitig?
Sorge: Wäre das unsere einzige Maßnahme, wäre 2027 zu spät. Wir werden schon früher gegensteuern müssen. Realistisch könnten wir als schwarz-rote Koalition zweigleisig vorgehen: mit einer größeren Finanzierungsreform, die eine gewisse Vorbereitungszeit braucht – und mit kurzfristigen Maßnahmen dort, wo sie schon im Vorfeld nötig werden. Sollten zum Beispiel Kassen in akute Finanznot geraten oder die Pflegebeiträge noch stärker steigen, werden wir vorzeitig eingreifen. Angesichts der allgemeinen Haushaltslage ist ein Fahren auf Sicht hier der richtige Weg. Die Ampel ist letztlich daran gescheitert, dass wohlklingende Pläne nicht umgesetzt wurden. Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen.
PZ: Der CDU-Wirtschaftrat begrüßt die Anpassung beim Apothekenfixum. Der AOK-Bundesverband sieht darin eine »offene Ausgabenschleuse«. Was meinen Sie?
Sorge: Das Apothekenfixum ist das letzte Mal im Jahr 2013 angepasst worden. Zwölf Jahre später wird es nun erstmalig und einmalig erhöht. Offene Schleusen sehen anders aus, zumal der GKV-Spitzenverband das Fixum künftig selbst mitverhandeln kann. Man kann den Arzneimittelsektor nicht jahrelang zusammensparen, nur um sich dann über Apothekenschließungen und Lieferengpässe zu wundern.
PZ: Wo soll das Geld herkommen, um die Beitragsspirale bei Kassen und Pflege zu durchbrechen? Wo kann konkret im ambulanten Sektor gespart werden, ohne bei der versprochenen Stabilisierung zu beschneiden?
Sorge: Als wichtigster Faktor neben den Reformen innerhalb des Systems müssen wir für eine Erholung der Konjunktur sorgen. Wenn die deutsche Wirtschaft im dritten Jahr der Rezession eine Trendwende schafft, wird das auch den Kassen und dem Bundeshaushalt neue Entlastungen verschaffen. Grob gerechnet: Gelingt 100.000 Bürgergeld-Empfängern der Wechsel in einen sozialversicherungspflichtigen Job, bringt uns das bis zu drei Milliarden Euro. Eine starke Wirtschaft ist das Fundament für einen starken Sozialstaat.
PZ: Die Union will die Cannabis-Teillegalisierung kassieren. Der Koalitionsvertrag sieht eine »ergebnisoffene« Evaluation vor.
Sorge: Es ist kein Geheimnis, dass wir das Gesetz als Union immer kritisch gesehen haben. Auch in den Reihen der Sozialdemokraten sind viele Innen- und Gesundheitsexperten skeptisch. Eine ergebnisoffene Evaluation noch in diesem Jahr bedeutet im Kompromiss, dass alle aktuellen Erkenntnisse berücksichtigt werden können – zum Beispiel auch eine kanadische Studie, laut der sich dort seit der Freigabe die Zahl der Psychosen fast verdoppelt hat.
PZ: Für den Fall, dass Cannabiskonsum unter bestimmten Bedingungen legal bleibt: Sind Apotheken als Abgabestellen für Genusscannabis noch eine Option?
Sorge: Für Medizinalcannabis bleibt das zwar möglich, diesen Bezugsweg per Rezept hatten wir 2017 ja selbst eingeführt. Darüber hinaus bleibt die Apotheke eine Institution des Gesundheitswesens. Die Priorität ihrer Tätigkeit sollte in der Abgabe wichtiger Medikamente liegen. Der Verkauf von Drogen für den reinen Gelegenheitskonsum wäre fragwürdig.
PZ: Die Koalition bekennt sich dazu, Gesundheitsberufe besser vor Aggressionen und Gewalt zu schützen. Wann und wie wird das Strafrecht verschärft?
Sorge: Wenn auf schwerste Übergriffe regelmäßig nur milde Strafen folgen, müssen wir als Gesetzgeber nachschärfen und das Vertrauen in staatliche Gewalt auch hier wieder stärken. Das haben wir bereits nach den Silvesternächten der letzten Jahre gefordert. Es wäre ein klares Signal, bei Übergriffen auf Angehörige von Gesundheitsberufen die Mindeststrafe auf sechs Monate heraufzusetzen – und bei besonders heimtückischen Angriffen noch einmal deutlich höher. Ich bin guter Dinge, dass uns das in dieser Legislatur gelingen wird. Auch die SPD sieht hier Handlungsbedarf.
PZ: Schon länger konnte man heraushören, dass die Union das Bundesgesundheitsministerium gern für sich beanspruchen würde. Warum?
Sorge: Gesundheit und Pflege sind elementare Fragen der Daseinsvorsorge. Schließt auf dem Land eine Praxis oder eine Apotheke, wird das schnell zum Politikum. Das spüre ich vor allem in Ostdeutschland, wo die Demografie schon heute eine andere ist als in Westdeutschland. Auch wenn die finanziellen Rahmenbedingungen es in den nächsten Jahren komplizierter machen werden: In diesem Politikfeld kann man viel Gutes bewirken. Man kann zeigen, dass die politische Mitte in der Lage ist, im Interesse der Bürger Probleme zu lösen und das Vertrauen in unser Gesundheitssystem wieder zu stärken. Genau das muss wieder viel öfter der Kern von Politik sein.