Immer ein medizinischer Notfall |
Brigitte M. Gensthaler |
18.01.2024 13:10 Uhr |
Empfindliche Füße: Langjähriger Diabetes und Polyneuropathie belasten die Füße massiv. Hornhaut, Blasen, Geschwüre und schlimmstenfalls Knochenbrüche gehören zum Bild des diabetischen Fußsyndroms. / Foto: Adobe Stock/troyanphoto
Jedes Jahr erkrankt in Deutschland fast eine Viertelmillion Menschen mit Diabetes mellitus an einem Diabetischen Fußsyndrom (DFS). Dies ist eine krankhafte Veränderung des Fußapparats, die sich mit schlecht heilenden chronischen Wunden manifestiert. Schmerzen als erstes Warnsignal spüren viele Patienten nicht, da die diabetische Polyneuropathie das Schmerzempfinden reduziert oder sogar ausschaltet. »Im schlimmsten Fall bemerken sie selbst Knochenbrüche im Fuß nicht«, erklärt Diabetesberaterin Yvonne Häusler in einer Pressemeldung des Verbands der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD).
Neben Wunden an den Fußballen und auf der Fußunterseite ist der Charcot-Fuß, genauer die diabetisch-neuropathische Osteoarthropathie, eine Spätfolge der Polyneuropathie. Benannt ist die Erkrankung nach dem Pathologen und Neurologen Jean Martin Charcot (1825 bis 1893). Sie wird laut VDBD jährlich bis zu 10.000-mal diagnostiziert.
Durch Fehlstellungen und Überlastungen am Fuß kommt es zum Ermüdungsbruch einzelner Fußknochen, der durch die häufig bestehende Osteopenie befeuert wird, und es entsteht ein entzündliches Ödem. In mehr als der Hälfte der Fälle brächen die Gelenke zwischen Fußwurzel und Mittelfußknochen, da dort die Belastung am größten sei, berichtet Häusler. Bei jedem Fünften seien die Gelenke zwischen Zehen und Mittelfußknochen und bei jedem Zehnten die Sprunggelenke betroffen. Da sie keine Schmerzen spüren, belasten die Patienten den gebrochenen Fuß teilweise wochenlang weiter. Unbehandelt kann Knochen deformiert zusammenwachsen.
Personen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes erkranken gleichermaßen häufig am Charcot-Fuß. »Entgegen geläufiger Meinung beobachten wir in der Praxis, dass auch Menschen mit einem optimalen Langzeit-Blutzuckerwert (HbA1c) betroffen sein können«, warnt Häusler. Vermutlich spiele neben der Stoffwechseleinstellung und der Länge einer Diabeteserkrankung auch die genetische Veranlagung eine Rolle.
Typisches Warnzeichen: Der Charcot-Fuß ist geschwollen, gerötet und warm – im Gegensatz zum anderen Fuß. »Weitere mögliche Symptome sind Unruhe, Kribbeln und ein Gefühl der Instabilität«, erklärt die Diabetesberaterin und Wundexpertin. Menschen mit Diabetes sollten die Füße täglich auf Druckstellen, Blasen und Hautveränderungen untersuchen (lassen) und eine sorgfältige Fuß- und Nagelpflege betreiben. Bei den kleinsten Fußveränderungen sollten sie sich gleich an ihr Diabetesteam wenden oder eine diabetologische Schwerpunktpraxis oder Fußambulanz einer Klink aufsuchen. »Ein Charcot-Fuß ist immer ein medizinischer Notfall.«
Die akute Erkrankung wird nicht operativ behandelt. Es ist eine vollständige Entlastung und Ruhigstellung des Fußes erforderlich. Der Patient bekommt einen speziellen Vollkontaktgips (Total-Contact-Cast) oder eine Zwei-Schalen-Orthese. Später kann eine Versorgung mit einem überknöchelhohen, orthopädischen Maßschuh erfolgen.
Ziel ist es, bei fortgeschrittener Erkrankung eine Amputation abzuwenden. »Seit 2021 können sich Menschen mit Diabetes und einem DFS vor einer Amputation eine kostenfreie unabhängige ärztliche Zweitmeinung einholen«, erklärt Häusler. Sie empfiehlt, sich dazu an spezialisierte Einrichtungen zu wenden, denn häufig seien Amputationen mithilfe moderner Therapien vermeidbar.