IKK: Höheres Apothekenfixum hat keinen Mehrwert für Versorgung |
Im Koalitionsvertrag ist eine Honoraranpassung für Apotheken verankert – keine gute Idee, meint der Verband der Innungskrankenkassen. Ausgabensteigerungen ohne »nachweisbaren Mehrwert in der Versorgung« sollten auf den Prüfstand. / © IMAGO/Chris Emil Janßen
Die Lage ist dramatisch, diese Erkenntnis zur Finanzausstattung der Krankenkassen schwebte auch über der Pressekonferenz, die die Innungskrankenkassen heute abhielten. Nicht weniger eindringlich war die Pressemeldung, die der IKK-Verband im Nachgang verschickte. Der Tenor: Die GKV steht an einem historischen Wendepunkt – und wenn es der Politik nicht gelingt, die Eskalation zu stoppen, sei nicht nur das Solidaritätsprinzip in Gefahr, sondern es drohe ein massiver Vertrauensverlust »von Millionen Versicherten und Arbeitgebern in unser Gesundheitssystem«.
Für 2025 prognostizierten die Kassen demnach ein Defizit von 46 Milliarden Euro, flankiert von explodierenden Zusatzbeiträgen. 88 von 94 Krankenkassen hätten ihre Zusatzbeiträge erhöht – »ein Rekord, während weitere Anhebungen bereits angekündigt sind«. Dass die Bundesregierung bislang dennoch vor allem auf Überbrückungsdarlehen setze, belaste Versicherte und Arbeitgeber am Ende doppelt. Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK-Verbands, forderte: »Jetzt braucht es keine Symbolpolitik und keine Verschuldungstaktik, sondern Mut zur ordnungspolitischen Korrektur.«
Korrigiert werden soll demnach kurzfristig mithilfe von drei Sofortmaßnahmen. Zum Ersten solle die Versorgung von Bürgergeld-Beziehenden »vollständig und kostendeckend aus Steuermitteln« finanziert werden. Versicherungsfremde Leistungen würden aktuell aus Beiträgen gestemmt, obwohl es sich um originär staatliche Aufgaben handele. Dies verursache eine Lücke von zehn Milliarden Euro pro Jahr für die GKV. Das Thema hat die Bundesregierung durchaus als Knackpunkt erkannt. Im Ergebnispapier der Arbeitsgruppe Gesundheit hatte es noch geheißen, dass die Finanzierung komplett vom Staat übernommen werden solle, in den Koalitionsvertrag schaffte es der Passus allerdings nicht.
Zweitens will der Verband an politisch zugesagte Vergütungsanpassungen heran. Gesetzliche Ausgabensteigerungen müssten kritisch überprüft werden, »wenn sie keinen nachweisbaren Mehrwert in der Versorgung bringen«, heißt es in der Mitteilung. Insbesondere zählt der Verband die Entbudgetierung bei Fachärzten sowie die Honoraranpassung für Apotheken dazu. Drittens brauche es ein verbindliches Ausgabenmoratorium, bis die Ergebnisse der eingesetzten Expertenkommission vorlägen und Reformen griffen.
Thomas Preis, ABDA-Präsident wie auch langjähriger Vorsitzender des Apothekerverbands Nordhrein (AVNR), reagierte auf die IKK-Vorstoß. Der »Rheinischen Post« sagte Preis: »Allein in den letzten zehn Jahren haben wir fast 20 Prozent der Apotheken verloren, weil seit über zwölf Jahren keine Honoraranpassung stattgefunden hat.« Das Nachsehen hätten Alte und Kranke, für sie würden die Wege zur nächsten Apotheke immer weiter. Apotheken gehörten zur Daseinsvorsorge, so Preis weiter. Mithin führe an der im Koalitionsvertrag verankerten Honoraranpassung »kein Weg vorbei«.
Dass rasche Reformen nötig seien, belegten Umfragen, die einen Stimmungswechsel in der Bevölkerung ausmachten. So habe eine Forsa-Umfrage im Auftrag des IKK-Verbands ergeben, dass 65 Prozent der Befragten inzwischen die zu hohen Beitragssätze als eines der drängendsten Probleme im Gesundheitswesen ansehen – im Unterschied zu 46 Prozent im Vorjahr. Zudem sei die Zufriedenheit mit der Gesundheitspolitik »auf ein erschreckend niedriges Niveau« gesunken: Nur noch 28 Prozent der Menschen sind demnach aktuell zufrieden oder sehr zufrieden, während es 2024 noch 39 Prozent waren.
Der jüngste ARD-Deutschlandtrend zeige zudem, dass mehr als 40 Prozent der Bevölkerung eine grundlegende Reform der Sozialversicherungen für notwendig halten. Gleichzeitig sprächen 72 Prozent der Befragten der Bundesregierung das Vertrauen ab, die nötigen Schritte einzuleiten. »Die Politik gefährdet nicht nur das Prinzip der Solidarität, sondern auch das Vertrauen von Millionen Versicherten und Arbeitgebern in unser Gesundheitssystem, wenn sie weiter auf Zeit spielt«, warnt Vorstandschef Hans-Jürgen Müller.
Mit einem Bündel an Vorschlägen will der Verband die Einnahmen wie Ausgaben gleichermaßen in den Blick nehmen. So sollten bei den Einnahmen neue Erwerbs- und Geschäftsmodelle wie die digitale Plattformarbeit in die solidarische Finanzierung mit einbezogen werden. Zudem solle ein Teil der staatlichen Einnahmen aus Genusssteuern – dies seien allein 17 Milliarden Euro jährlich aus Tabak- und Alkoholsteuern – zweckgebunden an die GKV zurückfließen.
Bei den Ausgaben sei nötig, Steuerungs- und Prüfrechte wieder auszubauen. Die Bandbreite solle von Krankenhausabrechnungen bis zu Ausschreibungen im Arznei- und Hilfsmittelbereich reichen. Gleichzeitig müsse evidenzbasiert entschieden werden, welche Leistungen im Katalog bleiben. Für kürzere Wartezeiten und einen leichteren Zugang zur Versorgung solle die Primärversorgung gestärkt werden.