»Ich war an vielem beteiligt, was liegengeblieben ist« |
Lukas Brockfeld |
07.05.2024 16:30 Uhr |
Gesundheitsminister Lauterbach hielt eine Rede zur Eröffnung des 128. Deutschen Ärztetages. / Foto: Bundesärztekammer / Screenshot
Krankenhausreform, E-Rezept und der demografische Wandel – auch das Gesundheitswesen erlebt eine Zeitenwende. Auf dem 128. Deutschen Ärztetag, der am heutigen Dienstag in Mainz beginnt, gibt es also viel zu besprechen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach war eingeladen, eine Rede zur Eröffnung der viertägigen Veranstaltung zu halten. In dieser sprach er über die alten und neuen Probleme der Gesundheitsversorgung und erläuterte die Reformvorhaben seines Ministeriums.
Das deutsche Gesundheitssystem habe viele Probleme, die es teilweise seit Jahrzehnten ungelöst mit sich herumschleppe. Als Beispiel nannte Lauterbach die zu hohe Zahl stationärer Behandlungen und ein Vergütungssystem, das im Krankenhaussektor falsche Anreize setze.
»Ein Drittel der Krebsbehandlungen wird in Deutschland in Kliniken gemacht, die dafür nicht optimal ausgestattet sind. Das ist kein Vorwurf an die Ärzte, die in den Kliniken arbeiten. Hier folgt die Einweisung der ökonomischen Notwendigkeit. Kleine Krankenhäuser, die eine Daseinsfürsorge leisten, müssen leben können, ohne dass sie Leistungen erbringen, die besser in Spezialkliniken gemacht werden«, betonte der Minister. Daher müssten kleine Krankenhäuser anders finanziert werden, sodass sie sich auf ihre eigentlichen Kompetenzen konzentrieren können.
Außerdem gebe es weiter Probleme wie die mangelhafte Digitalisierung und eine im internationalen Vergleich niedrige Lebenserwartung, die das Bundesgesundheitsministerium (BMG) angehen werde. Die großen Unterschiede in der Lebenserwartung von armen und reichen Menschen seien nicht hinnehmbar. »Wir haben über 20 Jahre über Prävention gesprochen, aber in der Praxis hat sich kaum etwas geändert. Auch das kann auf keinen Fall so bleiben«, sagte Lauterbach.
In der medizinischen Forschung sei die Bundesrepublik inzwischen weit abgeschlagen. Ein schwer kranker Patient habe in Deutschland nur ein Zehntel der Chance in eine klinische Studie aufgenommen zu werden, wie beispielsweise in Dänemark. »Das ist nicht hinnehmbar. Klinische Studien und die daraus entwickelten Leitlinien sind die Grundlage für die Forschung und die Produktion in Deutschland. Sie sind aber auch die Grundlage für eine bessere Behandlung«, betonte der Minister. Das Land brauche eine massive Entbürokratisierung und Beschleunigung in der Forschung.
Zu den bestehenden Defiziten kämen eine ganze Reihe neuer Probleme, die vor allem mit dem demographischen Wandel zusammenhängen. »In den nächsten Jahren werden jährlich etwa 800.000 junge Menschen ihren 18. Geburtstag feiern und etwa 1,4 Millionen Menschen werden ihren 65. Geburtstag feiern. Daraus ergeben sich ganz neue Herausforderungen«, so der Sozialdemokrat. Deutschland habe es in der Vergangenheit versäumt, eine ausreichende Zahl junger Ärzte auszubilden. Hier müsse mehr investiert werden.
Lauterbach erläuterte im Anschluss die wichtigsten Gesetzesvorhaben, an denen sein Ministerium arbeitet. So wolle man mit dem Krankenhausreformgesetz das System der Fallpauschalen überwinden und die Kliniken stattdessen mit Vorhaltepauschalen finanzieren. »Die Häuser müssen aus dem Hamsterrad herauskommen, dass ein Fall nach dem anderen gemacht werden muss. Wenn 60 Prozent der Finanzierung über die Vorhaltepauschale gemacht wird, kann auch die Zahl der Fälle etwas schwanken, das bedroht das Haus dann nicht wirklich«, erklärte der Minister.
Außerdem wolle man die Sektorengrenzen öffnen und den Not- sowie Rettungsdienst reformieren. Das Pflegekompetenzgesetz soll Pflegekräften, die in vielen Ländern deutlich mehr Aufgaben übernehmen dürfen, zusätzliche Befugnisse geben. Lauterbach bedankte sich in dieser Frage für die Mitarbeit der Ärzteschaft: »Dieser alte Grabenkampf, Pflege gegen Ärzteschaft, den können wir uns nicht mehr leisten«, betonte der Minister.
Karl Lauterbach nutze seine Rede um diverse andere Reformen zu erläutern, an denen sein Ministerium aktuell arbeitet. Darunter ist ein eigenes Gesetz zur Entbürokratisierung des Gesundheitssystems. Zuvor wurde ein solches Gesetz immer wieder aus den Reihen der FDP gefordert. Die Ärzteschaft sei zur Mitarbeit daran eingeladen. »Wir haben in unserem Gesundheitssystem eine Kultur des Misstrauens aufgebaut. Das gilt insbesondere für die Qualitätsüberwachung. Es ist nicht richtig, dass jeder einzelne Krankenhausfall darauf überprüft wird, ob es wirklich ein Krankenhausfall gewesen ist, ob die Verweildauer zu kurz oder zu lang war und ob die Ressourcen richtig eingesetzt wurden«, erklärte Lauterbach.
Zum Abschluss seiner Rede gab sich der Gesundheitsminister selbstkritisch. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten seien viele Baustellen nicht angegangen worden. »Das ist keine Parteipolitik, ich war an vielem beteiligt, was liegengeblieben ist«, räumte der Sozialdemokrat, der schon unter Angela Merkel eine führende Rolle in der Gesundheitspolitik spielte, ein. Die Ärzteschaft sei dazu eingeladen, die aktuelle Zeitenwende mitzugestalten. Sein Ministerium werde die Diskussionen und Beschlüsse des Ärztetages genau auswerten und gegebenenfalls in die Vorhaben integrieren.
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, bedankte sich beim Gesundheitsminister und lobte den »korrekten und absolut fairen Umgang«, den man trotz inhaltlicher Differenzen miteinander habe. Reinhardt wünscht sich einen gemeinsamen Gesundheitsgipfel mit Kanzler Scholz und Vertretern aller Gesundheitsberufe. »Es ist völlig unverständlich, dass wir einen Chemie- und Autogipfel im Kanzleramt haben, aber keinen Gesundheitsgipfel«, sagte der BÄK-Präsident.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.