»Ich möchte das Spektrum der Apotheken erweitern« |
Alexandra Amanatidou |
08.09.2025 09:00 Uhr |
»Wir müssen den Apotheken mehr Möglichkeiten in präventiver Hinsicht geben und die finanziellen Rahmenbedingungen verbessern«, sagt Christos Pantazis (SPD) im PZ-Interview. / © photothek.net
Mit Nina Warken stellt in dieser Legislatur wieder die CDU die Bundesgesundheitsministerin. Wie ist die Zusammenarbeit bisher?
Ausgesprochen gut. Wir pflegen ein offenes, ehrliches und kollegiales Verhältnis auf Augenhöhe. Ich möchte die Ministerin auch ein Stück weit in Schutz nehmen, da sie als fachfremde Politikerin oft in der Kritik steht. Das muss jedoch kein Nachteil sein – im Gegenteil: Sie hat sich sehr schnell eingearbeitet. Natürlich ist die öffentliche Wahrnehmung derzeit nicht die beste, etwa durch die Maskenaffäre. Dennoch gilt: Wir sitzen alle in einem Boot und sind gemeinsam zum Erfolg verpflichtet. Kritik äußern wir aber selbstverständlich dort, wo sie notwendig ist.
War das Gesundheitsministerium ein großer Verlust für die SPD?
Als Gesundheitspolitiker hätte ich es natürlich begrüßt, wenn wir weiterhin das Gesundheitsministerium geführt hätten. Schließlich hat die SPD die Gesundheitspolitik in den vergangenen Jahren entscheidend geprägt. Es wäre schön gewesen, die Modernisierung und Digitalisierung unseres Gesundheitssystems, die Sicherung der Versorgung sowie konkrete Verbesserungen im Alltag in eigener Verantwortung weiter voranzubringen. Erste wichtige Schritte wie die elektronische Patientenakte (ePA) oder das E-Rezept haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode umgesetzt. Doch in einer Koalition gilt es, Schwerpunkte zu setzen. Für uns liegt dieser klar im Bereich Arbeit und Soziales – daher ist das Gesundheitsministerium an die Union gegangen.
Die Probleme beim E-Rezept reißen nicht ab. Wie bewerten Sie die wiederholten Ausfälle und was muss jetzt geschehen?
Zunächst einmal: Der Weg des E-Rezepts war genau richtig und überfällig. Dass wir da als Politik so viel Zeit gebraucht haben, das umzusetzen, stimmt mich im Nachhinein nachdenklich. Da sind andere Staaten deutlich weiter als wir. Digitalisierung muss entschieden vorangetrieben werden, weil wir in dem Bereich massive Effizienzreserven heben können. Wir haben ein sehr kostenintensives Gesundheitswesen. Leider haben wir Fehlallokationen und Fehlbehandlungen, sodass wir zu einer Verbesserung kommen wollen und müssen. Leider konnten wir aufgrund des vorzeitigen Koalitionsendes das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gematik nicht mehr umsetzen. Und natürlich kann es bei der Einführung eines neuen Systems zu Kinderkrankheiten kommen. Trotzdem müssen diese zügig beseitigt werden. Deswegen haben wir uns intern darauf verständigt, dass wir schnell für Abhilfe sorgen. Es darf nicht sein, dass ein neues System – was aus meiner Sicht gut gestartet ist – durch technische Probleme und auch durch möglicherweise mangelnde Wartung und Ausweitung der Wartungsintervalle plötzlich an Akzeptanz verliert. Wenn das passiert, haben wir ein grundsätzliches Problem. Und ich erwarte, dass dann operativ und steuernd eingegriffen wird.
Laut dem Koalitionsvertrag sollen Apothekerinnen und Apotheker als Heilberuf gestärkt werden. Welche konkreten Schritte sind geplant?
Für uns in der SPD-Bundestagsfraktion ist die Stärkung der Apotheke vor Ort ein zentrales politisches Anliegen. Und das findet sich auch in der Koalitionsvereinbarung wieder. Wir wollen die Apotheken vor Ort als wichtige Anlaufstelle für Präventionsleistungen, konkrete Therapiebegleitungen und auch eine vor allem sichere Arzneimittelversorgung ausbauen und stärken, gerade auch bei der Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das sage ich auch als Mediziner. Cathrin Burs, die Präsidentin der Niedersächsischen Apothekerkammer, hat bei mir in Braunschweig ihre Apotheke, deswegen weiß ich sehr genau, welchen täglichen Einsatz zur Sicherstellung einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung die Apotheken während der Pandemie, aber auch darüber hinaus, geleistet haben. Es ist schlicht falsch, die Apotheken nur auf die Abgabe von Arzneimittelpackungen zu reduzieren. Die Apotheken können so viel mehr und können die Versorgung nachhaltig verbessern. Zum Beispiel durch die pharmazeutischen Dienstleistungen, die nach meiner Überzeugung großes Potenzial haben.
Welche finanziellen Maßnahmen sind für die Apotheken vor Ort geplant?
Finanziell wollen wir die Apotheken vor Ort stärken. Angesichts steigender Energiekosten, der Inflation und der in der Folge erhöhten Ausgaben für Sach- und Personalkosten kann ich die Forderung nach einer Erhöhung des Apothekenhonorars sehr gut nachvollziehen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag klar festgehalten, dass wir das Apothekenpackungsfixum einmalig auf 9,50 Euro erhöhen wollen – abhängig vom Versorgungsgrad sogar auf bis zu 11 Euro. Das ist eine konkrete, wirksame Maßnahme. Nun bleibt abzuwarten, welchen Aufschlag Bundesministerin Warken für die Apothekenreform vorlegen wird. Vieles lässt sich auch auf untergesetzlicher Ebene regeln. Entscheidend ist aber: Was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, muss am Ende auch umgesetzt werden.
Im Vertrag ist auch eine Dynamisierung des Honorars vorgesehen, die Zuständigkeit wird aber an die Vertragspartner abgegeben.
Mich überzeugt der Verhandlungsansatz, dass künftig die Vergütung zwischen Apothekerinnen und Apothekern und dem GKV-Spitzenverband ausgehandelt wird. Das wird teilweise kritisch gesehen, aber die Apotheken müssen künftig nicht mehr beim Verordnungsgeber als Bittstelle auftreten, sondern können wie alle anderen Leistungserbringer im GKV-System ihre Vergütung selbst verhandeln. Wir wollten auch bereits in der vergangenen Legislaturperiode das Skonti-Verbot aufheben, was leider letztlich mit unseren Partnern in der Ampelkoalition nicht mehr möglich war. Diese Maßnahme kann auch aus meiner Sicht schnell umgesetzt werden. Und zur weiteren Entlastung wollen wir auch die Apotheken von unnötiger Bürokratie und Dokumentationspflichten befreien. Die Nullretaxation aus formalen Gründen möchten wir grundsätzlich abschaffen und die Abgabe und den Austausch von Arzneimitteln erleichtern. Aber Letzteres muss vor dem Hintergrund der finanziellen Bedeutung der Rabattverträge für die GKV entwickelt werden.
Sie waren im Juli beim Fachforum industrielle Gesundheitswirtschaft dabei. Wie wichtig ist Ihnen der sogenannte Pharmadialog?
Ich habe beim Forum sehr deutlich gesagt, dass wir die Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln in Deutschland und Europa stärken wollen. Wir möchten unabhängig von globalen Lieferketten sein und für eine Liefersicherheit sorgen, insbesondere bei Arzneimitteln für Kinder und Jugendliche. Das sage ich insbesondere als Vater von 3-jährigen Zwillingen. Wir setzen da auch auf eine starke Gesundheitswirtschaft und auf mehr medizinische Forschung, damit qualitativ hochwertige Therapieoptionen zu erschwinglichen Preisen in der Patientenversorgung zur Verfügung stehen. Es wird nicht einfach sein – das ist keine Frage –, aber der politische Wille ist da. Schließlich entlastet eine bessere Verfügbarkeit von Arzneimitteln die Apotheken vor Ort.
Die Koalition will auch die Auflagen für den Versandhandel verschärfen. Was ist das Ziel?
Für uns als SPD wäre es inakzeptabel, wenn Arzneimittelversorgung in manchen Regionen nur noch über den Versandhandel möglich wäre. Denn die Apotheken vor Ort stellen die Arzneimittelversorgung in der Fläche sicher. Und daher ist es aus meiner Sicht auch richtig und wichtig, dass wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, die Vorgaben für die Vor-Ort-Apotheken und Versandapotheken weiter zu vereinheitlichen, insbesondere bei der Einhaltung der Kühlkette und bei den Nachweispflichten, um die gleichen Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten.
Der vorherige Gesundheitsminister Karl Lauterbach wollte die »Apotheke Light«, also eine Apotheke ohne Apothekerinnen und Apotheker. Wie ist dazu die Position in Ihrer Fraktion heute?
Das war ein Referentenentwurf, der nie ins Parlament eingebracht wurde – also eine Position des Bundesgesundheitsministeriums. Inzwischen hat sich die SPD-Bundestagsfraktion hier auch völlig neu aufgestellt. Grundsätzlich sehe ich die Idee einer Apotheke ohne Apotheker sehr kritisch. Wir brauchen inhabergeführte Strukturen, sonst öffnen wir einem Wettbewerb Tür und Tor, den ich nicht für richtig halte. Gleichzeitig schaue ich mir jeden Gesetzentwurf genau an und treffe meine Abwägungen. Schließlich geht es immer auch um die Sicherstellung der Versorgung. Deshalb halte ich gerade den Ausbau der Telepharmazie für einen wichtigen Schritt.
Was schlägt Ihre Fraktion vor, um das Apothekensterben zu beenden?
Wir müssen den Apotheken mehr Möglichkeiten in präventiver Hinsicht geben und die finanziellen Rahmenbedingungen verbessern. Die Botendienstvergütung wurde schon eingeführt, der Zuschlag für Nacht- und Notdienste angehoben, ebenso die Gebühr für die Abgabe von Betäubungsmitteln. Diesen Weg müssen wir fortsetzen und mehr Kompetenzen verlagern. Damit werden auch Mittel verlagert und die ländlichen Strukturen gestärkt. Ich glaube, im urbanen Bereich ist der Bedarf ein anderer als im ländlichen Bereich.
Welche zusätzlichen Aufgaben sehen Sie konkret in den Apotheken-Teams, auch mit Blick auf die alternde Gesellschaft?
Gerade weil die Apotheken vor Ort ein niedrigschwelliges Angebot machen können, sollen sie als wichtige Anlaufstelle für die Präventionsleistungen gestärkt werden, etwa bei der Therapiebegleitung. Aber auch in der Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die einen erheblichen Kostenfaktor darstellen, wollen wir die Leistungen ausbauen. Bei tabak-assoziierten Erkrankungen könnten die Apotheken mehr Verantwortung in der Versorgung übernehmen. Die Menschen vertrauen ihren Apotheken. Dieses Vertrauen wollen wir stärken. Wir wollen zudem die Telepharmazie weiter stärken. Apotheken nehmen bei der Digitalisierung bereits eine Vorreiterrolle ein – das ist bemerkenswert und soll uns als Orientierung dienen.
Und welche Leistungen sehen Sie nicht in der Apotheke?
(lacht) Wenn Sie mich fragen, gibt es etliche Leistungen, die Apotheken – gerade wenn wir sie als Heilberufe stärken wollen – übernehmen können. Ich weiß, dass die Ärzteschaft auf den Facharztstandard pocht. Aber das gilt nicht in allen Bereichen. Präventiv muss nicht überall ein Facharztstandard gegeben sein. Deswegen würde ich die Frage noch offenlassen, sehen was geht und nicht sofort mit Verboten kommen. Ich möchte das Spektrum, wo möglich, erweitern.
Wie sieht es mit Impfen aus?
Beim Besuch der Apotheke von Frau Burs sind mir die Augen geöffnet worden. Apotheken bieten ein niedrigschwelliges soziales Angebot und erreichen Menschen, die sonst vielleicht keine Arztpraxis aufsuchen würden. Genau darin liegt ihre besondere Stärke: Die Hemmschwelle ist oft geringer, eine Apotheke zu betreten. Eine Impfung zu verabreichen, ist kein Hexenwerk – das haben die Apotheken schon in der Pandemie eindrucksvoll bewiesen. Deshalb bin ich weiteren Impfangeboten in Apotheken sehr aufgeschlossen. Das ist zugleich ein Ausdruck von Wertschätzung, Respekt und Anerkennung.